.Der Verlag united p.c. in Neckenmarkt hat Ende Januar 2016 das Buch Todsicher - ein Band mit 14 Novellen -  herausgegeben. Für das Foto hat der Arzt und Künstler Dr. Rudolf Kraft (Totentanz) die Rechte übertragen.

Todsicher Cover 

Der Tod kommt sehr sicher, Todsicher sogar. Er verschont niemanden. „Geboren um zu sterben“, so sagt man zur Menschwerdung Jesu und zu seinem Tod, den er gewollt hat, und der wie erwartet, verlässlich, zu ihm kam.

Ist das Sterben wirklich der Sinn des Geborenwerdens? Leben wir um zu sterben? Ist der Tod der finale Akkord des Lebens? Immer und unausweichlich? Oh ja, er ist das Finale in jedem Leben – das ist Todsicher. Aber ist er auch der Sinn des Lebens?

Das Einzige, was wir gleichsam gegen den Tod ‚tun‘ können, so der Philosoph Kierkegaard, ist ein Leben zu führen, dem wir angesichts des Todes rückwirkend zustimmen können, für das wir geradestehen können, für das wir uns nicht vor uns selbst genieren müssen. ‚Dem Ernsten gibt der Gedanke des Todes die rechte Fahrt ins Leben und das rechte Ziel, die Fahrt dahin zu richten. Und keine Bogensehne lässt so straff sich spannen, keine vermag dem Pfeile solche Fahrt zu geben wie den Lebenden der Gedanke des Todes anzutreiben vermag, wenn der Ernst ihn spannt. Da packt der Ernst das Gegenwärtige noch heute, verschmäht keine Aufgabe als zu gering, verachtet keine Zeit als zu kurz, arbeitet nach äußerstem Vermögen. ‘

Natürlich ist nichts sicherer, nichts so gewiss, wie der Tod. Und ihm ist es egal, wen er holen darf. Ob jung oder alt, ob arm oder reich, ob Atheist oder Gläubiger, ob Christ oder Muslim, ob Mann oder Frau, ob farbig oder weiß, ob ersehnt oder verflucht; er wird also kommen. Und zwar dann, wenn er es für richtig hält, selten aber, wenn wir ihn erwarten oder herbei sehnen. Der Tod ist eben Todsicher!

Der Tod steht am Ende unseres Erdendaseins, das wir, wie der Philosoph Kierkegaard ausführte, mit Ernst und Nachdruck bestimmen. Von der Geburt, dem Herausgepresst werden aus dem Leib der Mutter, hinein geworfen ins Leben, bis der Tod allem ein Ende macht.

Vom Verlassen der sicheren Höhle im Mutterleib bis zum Versenken in ein Erdloch, verläuft dieser Weg nicht planbar, nicht vorhersehbar und nicht vorhersagbar. Er ist weder in Zeiten, noch in Güte und Qualität bestimmbar; er ist aber auf alle Fälle individuell, also für jeden Menschen verschieden und es liegt an jedem selbst, den Gedanken „Geboren um zu sterben“ zu widerlegen.

Diesen Moment der Geburt und den dann beginnenden Lebensweg, der mit Stationen, Meilensteinen gleich, gepflastert ist, beschreiben wir gerne, ganz ohne Beklemmungen. Wir besingen, wir bejubeln ihn sogar anlässlich besonderer Lebens-Stationen, schildern überschwänglich mit Glückwünschen die „Lebensleistung“.

Völlig anders aber ist es mit dem Vorgang des Sterbens und dem Tod. Nur selten wird dieser Moment besungen, nie wird dieser Endpunkt bejubelt, der so vorhersehbar ist. Hier hört das Bejubeln auf, dafür wächst die Beklemmung, packt uns manchmal das Grauen, wenn wir vom Moment des Übergangs ins Ungewisse lesen. Warum diese Scheu? Vielleicht weil wir nichts wissen; weil weder die Kirchen noch die Philosophen uns endgültige Gewissheit geben können; weil das ‚Danach‘ nicht erklärbar, nicht berechenbar, nicht beweisbar ist.

Gleichwohl ist es gerade dieser – ja fast ausschließlich dieser – Augenblick, der in unzähligen Sagen, Opern, Schauspielen, Mythen und Mysterien, Grafiken und Bildern beschrieben und festgehalten wird. Ein schönes Beispiel liefert uns dafür das Cover-Bild; ‚Der Tanz einer jungen Frau mit dem Tod‘. Der Kontrast zwischen dem blühenden Leben und dem kalten Tod könnte nicht drastischer dargestellt werden.

Der Tod, so Hegel, erinnerte die Griechen ‚… an den Genuss des Lebens, uns daran, es uns zu entleiden; er war ihnen Geruch zum Leben, uns zum Tode. Wie wir in einer ehrbaren Gesellschaft von gewissen natürlichen Dingen nicht sprechen, sie nicht einmal umschreiben, so umschrieben sie den Tod, milderten seine Bilder, – die die Redner und Prediger uns, um Schrecken einzujagen, um uns den Genuss zu verleiden, mit allen möglichen scheußlichen Farben ausmalen.‘

Jede Novelle dieses Buches hat den Tod in irgendeiner Form zum Thema. Mal ist er der Schlussakkord, zu dem die Novelle uns mitnimmt – wie in „Das magische Dreieck“.

Ein anderes Mal ist es ein alltägliches Ereignis das zum Anlass wird, die Verantwortung für den Tod eines Menschen aufzuzeigen und über die Schuld nachzudenken – wie in „Der Tod hat ein Gesicht“.

In immer anderen Dramen und Szenarien wird der Tod zum ‚Todsicheren‘ Ereignis in diesen Novellen: In ihnen erleben wir diesen so gefürchteten Übergang vom Leben zum Tod. ‚Geboren um zu sterben‘, das lässt vermuten, dass es der einzige Sinn des Lebens ist, in den Tod zu gehen. Dass er das nicht ist, auch das belegen diese Novellen, die immer wieder die unzähligen, schönen und lebenswerten Stationen eines Lebens aufzeigen, wie in „Der Preis der Freiheit“.

Der Tod kommt plötzlich oder vorhersehbar, er kommt ungewollt, ‚ungelegen‘, oder bewusst herbeigeführt, – oft genug als der einzig, erkennbare Ausweg. In jedem Fall aber beschreiben diese Novellen das menschliche, das unausweichliche Schicksal, eben den Tod, der jedes Leben beendet.

Ob unausweichlich, wie in der Novelle „Der Preis der Freiheit“ oder als Schlusspunkt eines verzweifelten, leidenden Lebens, wie in „Die vergessene Melodie“ oder „Unter dem Apfelbaum“, immer wird uns bewusst, dass mit dieser Einmaligkeit ein absolutes Ende, ein nicht umkehrbares Ereignis, eingetreten ist. Das ‚Danach‘ ist nie ein Thema; wie sollte es auch.

Aber auch beim Zurückblicken auf dieses Ereignis, wie in der Novelle „Sigmund“, wird uns seine Endgültigkeit, die nicht Revidierbarkeit, die Bedeutung und Tragödie, dieses Schlusspunktes bewusst.

Nur Momente, nur ein Wimpernschlag im Verlauf der Lebenswege, wird in diesen Novellen beleuchtet, betrachtet und beschrieben. Und doch sollen diese Einblicke klar machen, dass ein Leben mehr ist, als das Warten aufs Sterben.

Zu keiner dieser tödlichen Novellen sage ich dem Leser „Viel Vergnügen“. Nein, ich sage: „Der Tod ist allmächtig; wir müssen ihn zur Kenntnis nehmen, seine Verlässlichkeit akzeptieren, unser Leben danach ausrichten, es nach Kräften nutzen, und nicht sinnlos auf ihn warten. Und wir sollten endlich über sein Todsicheres Kommen – auch zu uns – nachdenken.

Ich möchte zum Schluss den verstorbenen ‚Literaturpapst‘ Reich-Ranicki zitieren:

Einem wirklichen Schriftsteller kann es gelingen, uns an den Tod zu erinnern. An unseren ganz persönlichen Tod. Jeder weiß, dass das Leben irgendwann endet. Aber selten machen wir uns klar, dass wir selbst es sind, die sterben werden. Während die Welt ungerührt weiterexistiert. Literatur öffnet uns manchmal für Momente die Augen für diese Wahrheit, vor der wir sie sonst zumeist schließen.Mit dem Gedanken an den Tod kann man nicht fertigwerden. Er ist völlig sinnlos und vernichtend. Die Literatur hilft vielleicht dabei, sich das unvermeidliche Ende des Lebens bewusst zu machen. Aber damit fertigwerden?“

(FOCUS-online 18.09.2013. Auszug aus seinem letzten Interview mit FOCUS-Redakteur Uwe Wittstock. Darin sprach Marcel Reich-Ranicki über seine Angst vor dem Sterben, darüber, warum er nicht an das Jenseits glaubt und was er denkt, versäumt zu haben.)

Eduard Breimann