Manche empfinden es als Erniedrigung, als das unangenehme Gefühl einer Niederlage, wenn man sie bemitleidet. Ich habe Mitleid mit dir, mit ihm. Im Wort Mitleid schwingt tatsächlich so etwas mit. Obschon es meistens nicht so gemeint ist, wirkt das erkennbare, das sogar geäußerte Mitleid auf den so bemitleideten Mitmenschen nicht hilfreich, baut ihn nicht auf - ja, es verletzt ihn manchmal sogar.
Wird ein Liebender von der Angebeteten abgelehnt, wegen seiner Zuneigung, seiner Hingabe sogar bemitleidet, dann ist das für den Betroffenen schrecklicher als eine brüske, gefühllose Ablehnung.
Wie anders strukturiert ist dagegen das Empfinden im Buddhismus. Die Rituale des tibetischen, des tantrischen Buddhismus basieren ja auf den ethischen und philosophischen Grundlagen des „Buddhismus des großen Fahrzeugs" (theg pa schen po). Auf dem Weg zur Erleuchtung sind zwei Aktivitäten unabdingbar: die Entwicklung von Mitgefühl und das hervorbringen von Weisheit. Wobei die Weisheit als weiblicher und das Mitgefühl als männlicher Aspekt gelten.
Mitgefühl! Im Buddhismus muss man auf dem richtigen Weg für diese Aspekte sammeln, Entwicklung und Fortschritt deutlich werden lassen.
Mitgefühl also ist das andere, das treffendere Wort. Ist es nicht schön, dass wir da nicht mehr von „Leid", sondern von „Gefühl" sprechen?
Mit jemandem fühlen, das sagt aus, dass ich mit ihm und seinem Leid, seinen Ängsten und seinen Sorgen fühle - mindestens aber bemüht bin, es zu können. Bei diesem einfachen Beispiel wird deutlich, wie eng wir in unserer Kultur an das Wort gebunden sind. Worte sind mächtig; ob gesagt oder geschrieben. Worte leiten und verleiten uns. Und Wortgewohnheiten führen uns in Richtungen, die ursprünglich so gar nicht beabsichtigt, überhaupt nicht Ziel waren. Selten nur gebrauchen wir das Wort „Mitgefühl"; regelmäßig dagegen verwenden wir das „Mitleid". Und so entsteht etwas Neues: Wir bemitleiden. Das hat wenig bis nichts zu tun mit "mitfühlen".
Der Brockhaus beschreibt Mitleid als eine Form des Mitgefühls und definiert Mitgefühl als selbständigen Begriff gar nicht mehr. Im „Woxikon", einem Online-Lexikon, hingegen geht man so weit, verwendbare Synonyme anzugeben: Anteilnahme, Anteil, Einfühlungsgabe, Einfühlungsvermögen, Entgegenkommen, Herzlichkeit, Rücksicht, Teilnahme, Verständnis, Verstehen, Wärme, Beileid, Nächstenliebe, Sympathie.
Und als Beispiele für die Anwendung werden angeführt: Mitgefühl zeigen mitempfinden, bedauern, miterleben, mitleiden, nachempfinden, nachvollziehen, sich erbarmen, teilnehmen, Anteil nehmen, den Schmerz teilen, Leid tun, mitfühlen, Mitleid empfinden, Mitleid haben, Teilnahme zeigen.

Hier ist also Mitleid nur eine Unterform des Mitgefühls. So ist es richtig. Und alles erscheint mir besser als das "Mitleid". Und dann bleibt nur noch zu hoffen, dass jeder sich wie ein guter Buddhist auf dem Weg befindet, auf dem neben der zu erlangenden Weisheit das immer stärker und häufiger angewendete Mitgefühl Vorrang hat vor anderen Bestrebungen. Man kann hilfsweise auch den Text verwenden, den Jesus vor über zweitausend Jahren sprach: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Denn dann ist Mitgefühl garantiert.