Das waren noch Zeiten, als man sich - unterschiedlich, je nach Landschaft - ordentlich „die Tageszeit" sagte, wie es so schön hieß.
Das ist lange her. Gut, im hohen Norden, da wo die Schafe ohne Klagen das harte Gras auf den Deichen fressen, sagt man sich eigentlich nie die Tageszeit. Das dort unter Einheimischen - und Urlaubern, die mindestens 25. Mal in Wobbenbüll im selben Haus die jährlichen Ferien verbracht haben - übliche „Moin Moin" gilt sozusagen rund um die Uhr und wird nur von Gelegenheitsbesuchern, also solchen, die weniger als 25 Mal dort geurlaubt haben, als Morgengruß verstanden und zu anderen Tageszeiten mit Verwunderung zur Kenntnis genommen.

Ähnlich sparsam ging man schon immer im frommen Süden mit dem Tagesgruß um. Das dort übliche „Grüß Gott" verleitet aber häufig die weniger frommen Besucher aus dem Norden, also die "Preißen", zu undespektierlich gemurmelten Entgegnungen wie: „Wenn ich ihn sehe."
Abgesehen davon, dass damit die unterschiedliche Gläubigkeit drastisch klar wird, war es für den Besucher immer schon einfach, sich diesen Gruß zu merken, ihn sich anzueignen und sogar als Mitbringesel mit in den Norden zu nehmen. Dort zeugte der beiläufige Gebrauch dieses Grußes, in Verbindung mit anderen Mitbringseln - etwa einem Gamsbarthut oder noch besser, einer Krachledernen - als Beleg dafür, dass man im schönen Bayernland sozusagen heimisch geworden war.

Liegt es daran, dass beide Grußformeln, also die aus dem Norden und die aus dem Süden, für die gesamte Tageszeit gelten und einfach zu verwenden sind, dass sie auch heute noch ohne Anpassungen an den Zeitgeist gebraucht werden? Das könnte der Grund sein.

Betrachtet man nämlich die Entwicklung der Grußgewohnheiten im mittleren Deutschland - von Niedersachsen bis ins südlichste Rheinland, also bis zur Weißwurstgrenze -, dann drängt sich eine solche Überlegung durchaus auf.
Hier war es früher selbstverständlich, dass man sich „die Tageszeit" nannte. Nicht etwa, um sich gegenseitig die richtige Zeit des Tages zu bestätigen, sondern wahrscheinlich, weil man den damit verbundenen Wunsch nur für diese Zeitspanne - und dann mit vollem Gewicht - gelten ließ. „Guten Morgen", hieß übersetzt, dass man dem so begrüßten Menschen eine gute Zeit vom Aufstehen bis zum Mittagessen wünschte. Das Gleiche galt für den fortgeschrittenen Tag, den Abend und die Nacht.

So war es einmal. Und wenn sich die Menschen in diesem mittleren Teil unseres schönen Landes nicht bei den häufigen Besuchen im Norden wie im Süden von den praktischen Grußarten hätten beeinflussen lassen, dann ... Wer weiß.

Angefangen hat es damit, dass man den Abschiedsgruß, dieses schöne „Auf Wiedersehen", was ja übersetzt hieß: „Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen", verschwinden ließ. Begonnen haben damit die Rheinländer, die - zugestanden, durch Napoleons Besatzungszeit - stark frankophiel geprägt sind und alles lockerer sehen.
Sie erfanden den uniformen Abschied mit Hilfe des Wortes „Tschüss!" Dieses Tschüss ist zeitlos, besagt nichts, ist also unverbindlich, lässt weder hoffen noch bangen, dass es zu einem Wiedersehen kommt, noch verlangt es unterschiedliche Akzente je nach Qualität der Beziehung.
Unterschiede finden sich in letzter Zeit trotzdem. Der aufmerksam Lauschende unterscheidet das harte, schnell gesprochene „Tschüss!", was manchmal fast brutal klingt, das gedehnte „Tschüüss", das weicher klingt und verbindlicher und sogar das - besonders von jungen Frauen am Telefon benutzte „Tschüüüüs" (mit einem kaum hörbaren, weich ausklingenden „s" am Ende). Bei letzterem hat der (männliche) Hörer immer das Bild einer süßen Zwanzigjährigen vor Augen.

Dieses "Tschüss" als Verabschiedungsgruß funktioniert nun rund um die Uhr, bei Tag und Nacht. Und seine besondere Eignung zeigt es beim Telefonieren. Wie falsch klang früher das "Auf Wiedersehen", wenn man das Gespräch beendet hatte. Man war doch regelmäßig unsicher, ob es nicht besser "Auf Wiederhören" heißen musste. Aber auch das wirkte gekünstelt und verklemmt. "Tschüss!" war perfekt.
Das ließ zwangsläufig nach einer ähnlich guten Begrüßungsformel suchen. Das zwischenzeitlich verwendete „Tach", was durchaus ökonomisch klingt und implizit „Guten Tag" bedeuten konnte, funktionierte tatsächlich vom Morgen bis zum Abend. Traf man zwei oder mehr zu Grüßende, wurde es als „Tach zusammen" eine wirtschaftliche Grußformel, bei der sich die Angesprochenen, die Gegrüßten also, mit einem im Chor geäußerten, einfachen „Tach" bedanken konnten.
Aber spätestens in der abendlichen Dämmerung musste man doch auf „N`abend" und nach Einbruch der Dunkelheit auf „Nacht" umsteigen. Diese, sagen wir mal Übergangsformeln, wurden dann aber bald durch das herrliche, an das beliebte amerikanische "Hello!" erinnernde, „Hallo!" ersetzt. Das war's! Vom ersten Hahnenkrähen bis zum letzten Bier im romantisch beleuchteten Biergarten verwendbar, sagte es dem Eintretenden, dass er erkannt, bekannt außerdem, und irgendwie sogar willkommen war.

Und einmal erfolgreich, hielt es die Werktätigen, die Schaffenden und Beschäftigten nicht mehr. Es galt das „Guten Appetit" zu eliminieren, anzupassen an das „Hallo". Und bei der Gelegenheit diesem „Hallo" damit einen Partner an die Seite zu stellen.

Das war die Geburtsstunde des wunderbaren Grußes „Mahlzeit". Erst etwas zögerlich, dann aber sich wie eine Masernepedemie ausbreitend, schaffte es dieser sinnvolle Gruß sogar, das „Hallo" an den Rand zu drücken. So ab 10 Uhr am Vormittag, bis etwa zum wohlverdienten Feierabend gegen 16 Uhr erschien „Mahlzeit" passend und wurde bald anstands- und widerstandslos flächendeckend eingesetzt. So erklingt nun allerorten das kollegial und freundlich klingende „Mahlzeit"; am Arbeitsplatz, auf dem Parkplatz, im Bus, sowohl beim Finanzamt wie bei der Kripo und sonst wo.

Nun ist zunächst festzustellen, dass das Wort ja tatsächlich einen inneren, kaum versteckten Sinn beinhaltet; also Sinn macht: Die Mahlzeit möge schmecken / bekommen / gesund sein etc. Das lässt uns eigentlich erfreut aufatmen und feststellen, dass der Deutsche an sich vernünftig, fortschrittlich und begabt mit Wortschöpfungen und mit der Anwendung selbiger umgeht.

Aber die Praxis, die tägliche Verwendung des Grußes, zeigt doch, dass man ihn mit Bedacht anwenden sollte! Geht man durch das Büro, oder durch den Betrieb, trifft einen in der genannten Zeitspanne erwartungsgemäß das „Mahlzeit" von links und rechts, ohne dass man sich auch nur noch einen Gedanken über den Wortsinn macht. Passt schon.
Aber man sollte ihn doch mit Bedacht einsetzen, denn auch hier gibt es Fettnäpfchen, in die man treten kann. Es gibt tatsächlich Zeiten und Gelegenheiten, bei denen man feststellen muss, dass der Gruß deplaziert wirkt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand aus dem Chefbüro kommt, die verpasste Zigarre sichtbar im Gesicht trägt, und der Chor der Kollegen ruft "Mahlzeit!". Und das, wo dem Armen doch soeben der Appetit vergangen ist - bildlich gesprochen.
Gedanken über den tieferen Sinn des Grußes macht man sich auch zwangsläufig, wenn man auf die Toilette geht, und die Kollegen, die in einer Reihe an den Urinalbecken stehen, freundlich - oder versunken in kritischen Betrachtungen beim Wasserlassen - rufen „Mahlzeit". Na, dann Mahlzeit!
Das lässt den so Gegrüßten hoffentlich wenigstens stutzen. Im besten Fall sollte er zurück wünschen: „Guten Appetit!"

Ich für meine Person würde aber lieber mit „Tach zusammen" den allmählichen Rückweg zu den alten Begrüßungsformeln einschlagen. Wer weiß, ob das nicht Schule macht. Einer muss ja mal anfangen.