‚Hilfe! Allah, hilf mir!’

'Der Ruf des schwarzen Jagdgehilfen gellte über die menschenleere Savanne. Sein Atem brannte, in den Seiten stach es, als hätte ihn ein Speer getroffen.

Das Weiß seiner Augen leuchtete im schweißnassen Gesicht; er hörte den Atem seines Verfolgers, spürte ihn als heißen Hauch im Nacken. Noch drei Schritte bis zum Baum, der in der Gluthitze der Savanne knorrig aufwuchs. Er nahm Maß, prüfte die Höhe des Astes. Er wusste, dass die Löwin schneller lief als er, dass dies seine letzte Chance war.

Nicht weit entfernt wellte sich der Boden und dorniges Gestrüpp bot einen kleinen Sichtschutz. Dahinter, den Kopf im Gestrüpp versteckt, lauerte Bernd Krause, der große weiße Jäger, den alle Schwarzen wegen seines Mutes verehrten.

Er hielt das doppelläufige Gewehr im Anschlag und wartete. Der Schweiß lief unter dem Tropenhelm herunter, kitzelte im Nacken und brannte in den Augen. Angespannt schaute er über die Zielvorrichtung; sein Blick wurde von den Schweißtropfen getrübt und der Tierkörper verschmolz mit der flirrenden Savanne.

Der schwarze Treiber machte einen verzweifelten Satz, fasste den Ast, zog sich hoch, warf die Beine in die Höhe und zog sein lendenschurzbedecktes Hinterteil mit letzter Kraft …'

Die Klingel schrillte; er riss seinen Kopf hoch; die Bilder der Jagdszene blieben abrupt stehen und lösten sich in Ingos Kopf auf – es war wie ein Filmriss.

„Verflucht!“

Widerwillig nahm er die Hände von der Tastatur und blickte zur Tür. Es half alles nichts; er musste den Schwarzen eine Weile am Ast hängen lassen, musste seine Rettung – oder seinen Tod - verschieben.

„Mist! Immer, wenn mir die Ideen nur so zufliegen, kommt was dazwischen“, dachte er und schwor sich, nachher die Klingel abzustellen. Mit steifen Beinen stakste er zur Tür, massierte seinen schmerzenden Nacken.

„Ach Sie!“

Sein Gesichtsausdruck wechselte blitzschnell von „Ich ärgere mich über die Störung“ zu „Wie schön, Sie zu sehen!“

„Entschuldigen Sie, Herr Burg, ich hoffe, ich störe nicht; ich wollte Ihnen nur die Afrika-Geschichte zurückgeben“, sagte die junge Frau mit kokettem Augenaufschlag.

„Sie stören nie, liebe Ina. Kommen Sie! Kommen Sie! Setzen Sie sich! Bitte!“

Er ging voraus, fegte Kuchenkrümel vom Wohnzimmertisch, schob Schuhe unter die Couch und zeigte auf einen Sessel. Sie zögerte, hielt einen Stapel Papiere ausgestreckt vor sich – wie einen Passierschein.

„Kommen Sie! Nehmen Sie Platz. – Übrigens – wir waren uns doch einig, liebe Ina! – Ingo und nicht Herr Burg! Das hört sich so formell an, nicht wahr?“

„Ach, ich weiß nicht. – Ich, die einfache Hausfrau, nenne den großen Dichter beim Vornamen? Ich habe richtige Hemmungen, verstehen Sie das?“

„Nun ja, schon. Nur wenige Menschen dürfen mich mit Vornamen anreden – eigentlich nur Sie, liebe Ina, wenn ich’s genau bedenke.“

„Danke für diese Auszeichnung, Herr Burg – äh – Ingo. Ich freue mich. Ich habe aber heute nicht viel Zeit; ich muss in den Garten. Sie wissen? Die Bewertung durch die Gartenkommission ist am Montag.“

„Ach, ja? Nehmen Sie wieder teil an der Aktion ‚Unser Dorf soll schöner werden’? – Ach, was frag’ ich! Natürlich, wer sollte denn sonst gewinnen, nicht wahr?“

„Ach Sie! Sie sind ein Schmeichler. Aber ich habe diesmal wahre Kostbarkeiten angepflanzt. Sie müssen es sich ansehen. Am besten direkt nach der Bewertung, ja? Dann trinken wir ein Glas Wein und stoßen auf den Erfolg an – wenn es ihn gibt. Ich habe komponiert – mit Noten aus Blumen, Sträuchern und Blüten. Die Wege sind die Notenlinien. Meine Pflanzen ergeben die Melodie, die Gartenmelodie, sie sind wie Tonfolgen in Mozarts Opern.“ Mit einem verschämten Augenaufschlag blickte sie hoch, sah ihn um Zustimmung bittend an.

„Oh! Wunderbar! Ich bewundere Sie, liebe Ina. Sie werden bestimmt den ersten Preis gewinnen.“

„Ich bin auch mächtig stolz – und aufgeregt. Oh mein Gott! Mein Albizia julibrissin! Er braucht dringend Wasser; wo hab’ ich bloß meine Gedanken. Ich muss los.“

„Schade, schade! Ich wollte noch etwas mit Ihnen besprechen. Soll ich uns nicht noch einen Tee machen?“

„Nein, nein! Ein andermal. Ich wollte ihnen nur diese Geschichte zurückgeben. ‚Der Tod lauert in der Wüste’! Wunderbar, schrecklich aufregend und sehr kenntnisreich geschrieben - sie hat mir gut gefallen. Was Sie alles über Löwen wissen! Meine Güte! Woher haben Sie das bloß? Waren Sie wirklich noch nie in Afrika?“

„Leider nicht, liebe Ina“, seufzte er und setzte sich auf ihre Sessellehne. Lange schaute er auf das gesenkte Haupt, auf den schön geflochtenen Dutt, sog den Duft ein, der von ihrem Haar aufstieg. Zögernd hob er eine Hand, stockte und ließ sie wieder fallen. „Hm! Vielleicht, liebe Ina, können wir ja einmal gemeinsam unseren Urlaub dort verbringen.“

Es war still – für lange Sekunden; er hörte sein Blut rauschen.

„Ach Sie!“, seufzte Ina endlich. „Sie scherzen, Herr ... Ingo. Aber Sie! Sie müssen da hin – unbedingt müssen Sie da hin. Sie wären doch der ideale Jäger in diesen riesigen Savannen mit den Löwen und Elefanten.“

„Ich – äh – ich ... Also, ich meine – ich wollte sagen ...“

„Was – was wollten Sie sagen?“

„Ahnen Sie das nicht, liebe Ina? Ich – also ...“

Er stand auf, reckte sich und blickte auf ihren Nacken. Sein Lächeln war verzerrt vor Angst und Verlegenheit.

„Ich habe es ernst gemeint mit unserer gemeinsamen Reise – sehr ernst. Afrika als Hochzeitsreise – dachte ich mir.“

Er atmete tief durch; sie richtete sich auf und blinzelte irritiert. Er sah die Falten, die sich auf ihre Stirn gelegt hatten.

„Wie ...? War das ...? Oh mein Gott! Ja, sicher war es das – oder?“

„Ja“, seufzte Herr Burg, „ich – ich habe mir die Freiheit genommen.“

„Oh, mein Gott! Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Sagen Sie ja! Es kam ja nicht plötzlich, es ist schon länger so, nicht erst seit heute. Alles, wirklich alles, was ich schreibe, ist nur für Sie – für Sie, liebe Ina, gedacht und geschrieben.“

In ihrem Gesicht kämpften die weißen mit den roten Flecken und die großen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.

„Herr Burg! – Oh, Ingo, meine ich. – Bitte, ich hab’ das nicht gehört, verstehen Sie? Ich will und kann mich nicht binden, das wissen Sie schon lange. Nicht bevor meine Mutter unter der Erde ist ... äh, ich meine, ich will sagen, ich muss für Mutter da sein. Noch lebt Mutter – und das wird hoffentlich noch lange so sein. Ach was rede ich für ein Zeugs.“

„Wir könnten sie mitnehmen ...“

„Nein, nein! Sie wissen, dass es nicht geht.“

„Ich tue alles für Sie! Ich könnte eine Sänfte ... Träger ...?“

„Hören Sie auf!“ Sie hielt sich die Ohren zu und stampfte mit dem rechten Fuß auf.

„Nein, bitte! Seit langer Zeit warte ich auf diesen Moment. Jede Geschichte war nur für Sie, sollte Sie wie ein Zauberstein näher zu mir führen.“

„Oh! – Jetzt verstehe ich! Die Geschichten waren also Köder, nichts als Köder, mit denen man das Wild in den Käfig lockt? Das ist doch ... Über Tiere wissen Sie wohl Bescheid, aber von weiblichen Gefühlen haben Sie keine Ahnung.“

„Oh doch, liebe Ina, ich glaube schon. Sicher, ich weiß sehr gut, wie man mit diesen mächtigen Tieren - den Königen der Tierwelt, wie wir Fachleute sagen - umgehen muss; ich bin ja Fachmann, Spezialist sozusagen. Mit der richtigen Taktik und etwas Mut bändige ich Ihnen jeden Löwen in freier Wildbahn. – Aber deshalb kenne ich mich mit Menschen nicht weniger aus. Denn mit den Menschen ist es kaum anders; glauben Sie mir. – Auch Frauen wollen eingefangen werden. Ha, ha! Das war ein Scherz, liebe Ina.“

„Nein, Herr ... Ingo. – Ich vertue mich immer, entschuldigen Sie. – Aber ich bin kein Wild, das man einfängt. Ich nicht!“, sagte sie und legte die Blätter auf den Tisch.

„Aber, ich dachte ... Â Wenn ich Sie doch ...“

„Wie auch immer. Es geht nicht! Mutter braucht mich und mein Garten auch. Ich habe für Männergeschichten einfach keine Zeit. Ich liebe Ihre Erzählungen, wie Sie bemerkt haben, aber sonst ... Wissen Sie was? Lassen Sie uns Zeit. Wir kennen uns doch kaum.“

„Wissen Sie noch, wie wir uns kennen gelernt haben? Es ist mir noch wie heute. Ich habe im Zoo – am Löwengehege – Studien für meine Erzählungen gemacht und Sie haben Ihre Mutter im Rollstuhl durch den Zoo geführt. Ich habe mir erlaubt, Ihrer Mutter eine kurze Erklärung über das Wesen der Löwen, zu geben.“

Sie errötete, nickte, stand auf und strich den Rock glatt. „Ja, ja, ich erinnere mich. Da wohnt man zehn Jahre in derselben Straße und sieht sich nie. Die Löwen haben uns miteinander bekannt gemacht, möchte ich sagen. Seitdem – und durch ihre Erzählungen natürlich – mag ich diese Tiere.“

„Oh! Ich verstehe. Ein gutes Zeichen – meinen Sie nicht auch, liebe Ina? Sie sind doch im Sternzeichen des Löwen geboren, nicht wahr?“

„Das haben Sie nicht vergessen, Herr Burg?“

„Ingo, wollten Sie sagen! – Natürlich nicht, Sie erwähnten es damals scherzhaft, als ein Löwe Sie anbrüllte. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen angeboten habe; ich meine es ernst. Ich würde alles für Sie tun – wirklich alles! Und ich hoffe darauf, dass Sie es sich überlegen“, sagte er mit belegter Stimme, ergriff ihre Hand und brachte die völlig versteift Schreitende zur Tür.

„Gehen Sie noch nicht!“, stammelte er, als sie die Haustür öffnen wollte. „Ich – wie soll ich es sagen? – Liebe Ina, ich liebe Sie!“

„Oh mein Gott!“, rief sie und huschte aus der Tür.

Er starrte auf die geschlossene Tür. Wie gerne hätte er ihr erzählt, dass er Tag und Nacht von ihr träumte, die wildesten Abenteuer erfand und sie tausend Mal vor dem sicheren Tod gerettet hatte.

Â

Der schwarze Jagdhelfer hing noch immer am Ast, der Löwe war noch nicht gesprungen, der Jäger noch unentschlossen, hatte wohl den Löwen aus den brennenden Augen verloren.

Lange saß Ingo schon da, träumte sich mit Ina in die Savanne, legte sie neben sich, spürte ihre Haut, küsste sie mit geschlossenen Augen und sprach: „Ich rette ihn. Jawohl, ich rette ihn.“

Er blickte in Inas verzweifeltes Gesicht. „Töte den Löwen nicht, lieber Ingo; er ist doch mein Sternzeichen.“ Sein Seufzer erleichterte ihn nicht, brachte keine Lösung.

„Lasse ich den Löwen leben? Dann wird der Schwarze gefressen. Nimmt sie mir das übel? Oder töte ich den Löwen aus Rache? Was wird sie sagen, wenn sie Mitleid mit dem Schwarzen hat und mir seinen Tod nicht verzeiht? – Oh mein Gott, was für eine verzwickte Lage.“

Er saß vor der Tastatur, überdachte die Möglichkeiten, die sich anboten, als es erneut klingelte; stürmischer, schriller, anhaltender als zuvor. Es klang wie ein Alarm, wie ein Hilfeschrei in höchster Not!

„Verflucht! Die Klingel! – Die hab ich schon wieder vergessen.“ Er sprang auf, stieß den Stuhl zurück, rannte zur Tür.

„Ach - Sie sind´s wieder!“, rief er und tauschte schnell das empörte Stirnrunzeln gegen das einladende Lächeln, das nur ihr gebührte. „Können wir doch ...? Den Tee meine ich ...“ Da erst bemerkte er ihren ungewöhnlichen Zustand.

„Ina! Was ist passiert?“

Sie sah völlig desolat aus; Schweiß perlte von ihrer Stirn, die Haare hatten sich aus dem Dutt gelöst und hingen im hektisch roten Gesicht, die Hände fuchtelten wie wild.

„Schnell! Kommen Sie! Sie müssen mir helfen, Herr Burg! Etwas Entsetzliches ist passiert! Schnell!“

Ihre Stimme klang schrill. „Ingo!“, würgte er hervor und wusste im Unterbewusstsein, dass er nur seine ausgetretenen Latschen an den Füßen hatte.

Sie fasste seine Hand und zog ihn, der leicht widerstrebte, mit sich; über die Straße, durch die offene Haustür, in den Hauseingang. In der dämmerigen Diele wurde sein Widerstand erheblich größer – er blieb einfach stehen.

„Halt! Liebe Ina. Jetzt sagen Sie mir - um Himmelwillen - was passiert ist. Worauf muss ich mich einstellen? Ist Ihre Mutter gestorben? Wo liegt sie?“

„Mutter? Mutter ist im Bett; sie hält ihre Mittagsruhe. Sie will dabei nicht gestört werden – niemals!“

„Ja, aber – was ist es dann, was Sie so erregt?“

„Da! Gehen Sie rein! Sehen Sie doch selber. Da ist er – und er legt sich auf meinen Cassia – meinem einzigartigen Kerzenstrauch – mein Notenschlüssel sozusagen. Er macht ihn platt. – Oh, mein Gott! Sehen Sie nur! Er dreht und wälzt sich.“

Durch die deckenhohe Glastür der Terrasse konnte er den Garten sehen. Er erblickte die Sträucher und Büsche, die durch fantasievollen Schnitt wie Figuren wirkten; die Blumenbeete, deren Farben aufeinander abgestimmt waren; das Schilfgras, das sich im Wind wiegte – und mitten drin ein schmutzig-brauner Körper, der sich wälzte und rollte. Verwundert ging er näher zur Tür, mochte nicht glauben, was sich da tat.

„Ein panthera leo, ein echter afrikanischer Löwe! Ein wunderbares Exemplar! Mein Gott! Sehen Sie nur seine lange Mähne – und seinen riesigen Kopf.“

„Wunderbares Exemplar? Was sagen Sie? Was reden Sie da? Das Untier zerstört meine Komposition, meinen herrlichen Mozart-Garten.“

„Leben und sterben, wachsen und vergehen – das ist eben Natur.“

„Natur? Ha! Es geht um meinen Garten, um Schönheit, um mein Glück, um ...“

„Moment! Moment! Wie ... wie kommen Sie überhaupt an den Löwen?“

„Wie ich was? – Wie ich an dieses Tier komme? Dieses schreckliche Vieh war einfach da. Wie kommt man an einen Verkehrsunfall – Herr Burg?“

„Ingo! Bitte! Sagen sie doch Ingo – bitte! Äh – und außerdem ist das kein Vieh, sondern ein Löwe, ein wunderbares Tier, ein Geschenk Gottes.“

„Das Geschenk habe ich mir nicht gewünscht – und ich will es auch nicht haben.“

„Nicht? Aha, Sie wissen also nicht, woher er kommt?“

„Nein, verdammt ... Oh, entschuldigen Sie. Ich dachte, Sie könnten es wissen.“

„Nun ja, da gibt’s nicht so viele Möglichkeiten. Aus dem Zoo, ausgerissen, denke ich mal, wird er sein. Da muss er auch wieder hin!“

„Ach ja? Und wie? Inzwischen kratzt er in meinen Beeten, schiebt seinen dicken Schädel durch die Fuchsien, zerwühlt meinen herrlichen Garten! - Er frisst die einmaligen Petunien.“

„Nein, tut er nicht; Löwen sind keine Pflanzenfresser.“

„Ach? Und was macht er gerade da bei den Petunien?“

„Er schnuppert, prüft, ob schon ein anderer Löwe hier war.“

„Was? Spinnen Sie? Das ist der erste Löwe in meinem gepflegten Garten – sagen Sie ihm das.“

„Ich?“

„Ja, Sie! Sie kennen doch seine Sprache – haben Sie wenigstens immer wieder geschrieben. Brüllen Sie ihn an; geben Sie ihm ein Kommando. ‚Sitz’ oder was man so sagt. Und er soll verschwinden, sofort!“

„Das wird er nicht tun, das mit ‚Sitz’ und so. – Er ist doch ganz friedlich. Sehen Sie? Jetzt juckt er sich das Fell an Ihrem Gummibäumchen. Wahrscheinlich hat er Tausende Flöhe. Das ist natürlich bei diesen wilden Tieren.“

„Oh, Himmel! Natürlich? Natürlich zerstört er meinen Garten. Und Flöhe? Die springen auf meine Blumen. Mein Gott! Was wird die Kommission von mir denken.“

„Tierflöhe gehen nicht auf Pflanzen, sie saugen nur das Blut der Tiere.“

„Igittigitt! Nie haben Sie geschrieben, dass die Viecher Flöhe haben, blutsaugende Flöhe. Oh mein Gott, er zerstört alles, was ich komponiert habe. Werfen Sie ihn endlich raus! Sie sind doch der Großwildjäger.“

„Also, liebe Ina! – Ich kann doch nicht einfach da raus gehen und husch, husch machen. Das ist doch keine Hauskatze.“

„Ach nein? Und in Afrika? Wie haben Sie das in der – warten Sie mal – in der siebzehnten Geschichte gemacht? Mit bloßen Händen hat Ihr Großwildjäger Krause mit der Katze gekämpft.“

„Hier ist nicht Afrika – und ich heiße nicht Krause.“

„Ach nein? Was ist denn hier anders? Wie wollen Sie ihn dann verjagen? – Soll ich mein Küchenmesser holen?“

„Nein, nein! Lieber nicht. Ein Gewehr haben Sie nicht – zufällig?“

„Was? Ein Gewehr? Sind Sie wahnsinnig, Herr Burg? Mir kommt keine Waffe ins Haus.“

„Äh, Ingo. Bitte! – Wissen Sie was, liebe Ina? Man muss es strategisch anfassen. Wir machen die Terrassentür ein Stück auf, klatschen beide kräftig in die Hände und brüllen ganz laut.“

„Meinen Sie, das würde ihn verjagen? Macht man das in Afrika so?“, fragte Ina zweifelnd.

Ingo nickte und öffnete mit schweißnassen Händen die Tür einen Spalt weit. Angespannt schaute er dabei zu dem wuchtigen Tier, das inzwischen aufgestanden war und an einem kunstvoll beschnittenen Lorbeerbaum roch; es hatte keinen Blick übrig für Ingo und Ina.

„Jetzt!“, rief Ingo und sie klatschten heftig, fanden den Rhythmus – wie im Theater – und riefen „Buh!“, „Huh!“ und auch schon mal „Ksch! – Ksch!“.

Der Löwe stand wie angewachsen, verdrehte die Augen, hockte sich neben den Lorbeerbaum, stemmte die rechte Tatze in ein ‚Fleißiges Lieschen’, stierte zur Terrassentür, hechelte – und plötzlich wurden seine Augen vor Anstrengung riesengroß.

„Hilfe! Er scheißt!“, schrie Ina mit sich überschlagender Stimme. Und tatsächlich kringelte sich wenig später ein breit auslaufender Haufen, dem kleine Wölkchen entstiegen, mitten auf einem ehemals rosafarbenen ‚Fleißigen Lieschen’.

„Ich hole die Feuerwehr oder den Katastrophenschutz“, rief Ingo und griff zum Telefonhörer.

„Halt! Auf keinen Fall! Wissen Sie, wie die in meinen Blumen rumtrampeln werden? Dann lieber dieses Untier. Können Sie das verantworten, wenn meine monatelangen Mühen buchstäblich für die Katz’ waren? - Sie, lieber Herr Burg – Ingo, lieber Ingo, wollte ich sagen –, Sie müssen das Vieh verjagen. Bitte, denken Sie daran, was Sie mir heute angetragen haben!“

„Was meinen Sie mit ...?“

„Afrika!“

„Oh! – Das meinen Sie?“

„Ja, das meine ich.“

„Oh! Wunderbar! – Oh, nein! Nein, nein! Das ist ein zu hoher Preis. Wo denken Sie hin? Das Tier ist gefährlich. Lebensgefährlich!“

„Und meine Blumen? Meine Büsche und Bäumchen? Sehen Sie nur. Er wälzt sich schon wieder. Wo bleibt Ihr Mut und Ihr Ideenreichtum?“

„Das da, das erholt sich alles wieder. Aber mein Leben ... Warten Sie! Einen Moment! Ich habe eine Idee! Haben Sie ein Stück Fleisch im Haus?“

„Fleisch? Wollen Sie das Scheusal auch noch belohnen?“

„Haben Sie oder haben Sie nicht?“

„Ich werde doch noch wissen dürfen, wofür das gut sein soll“, sagte sie pikiert und betrachtete die Tatzen, die in ihrem Geranienfeld scharrten.

„Zur Ablenkung! – Nun?“

„Also gut! Im Kühlschrank – Rindergulasch für morgen. – Morgen ist Sonntag.“

„Gut! Das ist gut! Ich meine, dass Sie Gulasch haben. Ideal! Her damit, ich werde ihn aus Ihrem Garten verjagen.“

Sie rannte in die Küche und er hörte ihr leidvolles Stöhnen, als sie das Fleisch einpackte.

„Was man nicht alles aus Liebe tut“, dachte er und fühlte sich wie in der wilden Savanne.

Widerstrebend hielt sie ihm die Papiertüte hin, schaute ängstlich auf die große Katze, die sich langsam zur Terrasse hin bewegte. Als das Tier mit einem Satz vor die Tür sprang, ließ sie vor Schreck die Tüte fallen.

„Er kommt! Er will ins Haus! Machen Sie schnell die Tür zu!“

„Sie ist zu! Ruhig! Nerven behalten! Ich weiß, wie Ihnen zu Mute ist, liebe Ina, aber ich bin bei Ihnen. Denken Sie daran, dann verschwindet Ihre Angst.“

„Hoffentlich“, stöhnte Ina und zeigte auf das Glas; er sah auf ihr Hand, die zitterte, als gingen Stromstöße hindurch.

Nur durch die Glastür getrennt, standen sie sich gegenüber; der Löwe drehte den Kopf, als versuche er durch die spiegelnde Scheibe zu sehen.

„Er sieht einen Konkurrenten!“, flüsterte Ingo und zeigte auf das Mähnengestrüpp, das sich an die Scheibe drückte. „Er wird ihn in die Flucht schlagen wollen – typisch, typisch.“

Das Tier riss das Maul auf, stemmte sich auf die Hinterbeine und sprang brüllend die Glastür zu. Ingo und Ina hechteten synchron zurück; am Sessel angelehnt blickte Ingo sichernd zur Wohnzimmertür.

„Was jetzt? Was machen wir, wenn er an durch die Scheibe springt?“, hauchte Ina.

„Wir laufen raus, werfen die Tür zu und rufen um Hilfe.“

„Was? Weglaufen? – Und meine schöne Wohnung? Nein! Jetzt ist Schluss – endgültig!“

„Ina! Was wollen Sie machen?“

Sie starrte abwechselnd den bleichen Herrn Burg und den brüllenden Löwen an. „Großwildjäger? Ha!“ Sie hob die Gulaschtüte auf und rannte wortlos aus dem Haus.

Ingo blieb wie festgewachsen stehen und starrte den Löwen an, der am Türrahmen roch. Im Hintergrund bemerkte er - halb verdeckt durch die Kirschlorbeerbüsche – hastige Bewegungen.

„Ina!“, flüsterte er und dann wurde ihm übel. „Was macht sie da? – Verdammtes Weib! Das ist Männersache!“

Sie stand auf dem Gartenweg, direkt neben der offenen Pforte, durch die der Löwe hereinspaziert war. In der einen Hand schwenkte sie die Gulaschtüte, in der anderen hielt sie ein Fleischstück und rief dem Löwen etwas zu.

„Geliebte Ina! Oh mein Gott! Was für ein Weib“, flüsterte er und musste sich am Türrahmen abstützen.

Das Tier drehte langsam den Kopf, den ganzen Körper, starrte Ina an, reckte die Nase in die Luft, schnupperte und trabte auf seine Beute zu.

„Lauf, lauf! Er kommt!“ Seine Stimme war so schwach, dass er sie selber kaum vernahm.

Ina wich zurück, zog Stück für Stück aus der Tüte und warf es, soweit sie konnte, auf den Weg zwischen den Gärten.

Als der Löwe nur noch wenige Meter entfernt war, schleuderte sie die Tüte mit dem Rest weit von sich und verschwand hinter der Hecke. Den Schrei, den sie dabei ausstieß, hörte Ingo sogar durch die geschlossene Terrassentür. Der Löwe rannte auf die Gartenpforte zu und verschwand hinter einem Strauch.

„Fantastisch! Ich hätte es nicht besser machen können“, stöhnte Ingo und fiel in den Sessel.

„Das war knapp!“, sagte er vorwurfsvoll, als Ina ins Wohnzimmer taumelte und nach Atem rang.

Sie gab keine Antwort, öffnete die Terrassentür, als der Löwenschwanz noch halb im Garten hing, rannte raus, warf die Gartentür zu und knallte den Riegel ins Schloss.

Vor den zertrampelten Petunien blieb sie stehen; sie hatte nur noch Augen für ihren Garten, überlegte Reparaturmaßnahmen und Schadensbegrenzungen. Lange stand sie vor den Blumenbeeten, zitterte, strich dem Maulbeerbaum über die Blätter und rümpfte angesichts des stinkenden Haufens die Nase.

Er beobachtete sie vom Wohnzimmer aus, schaute lange auf den Gartenweg, lauschte angestrengt; vom Löwen war nichts zu sehen und zu hören. Er zögerte noch einen Moment, bevor er auf die Terrasse trat.

„Soll ich Ihnen beim Aufräumen helfen, liebe Ina?“, rief er mit dünner Stimme.

„Kann man mit Löwenscheiße düngen?“, fragte sie und starrte den Haufen an.

„Äh – ich weiß nicht recht, davon verstehe ich nichts. Kann ich sonst etwas für Sie tun, liebe Ina? Soll ich den Zoo anrufen? – Oder die Polizei? – Brauchen Sie neues Fleisch für Sonntag?“

„Ob Sie etwas für mich tun können? Oh ja! – Rufen Sie die Polizei, die Feuerwehr oder den Zoo an – ist mir egal. Und dann verschwinden Sie, Herr Burg! Meinetwegen bis nach Afrika, Herr Burg! Da können Sie ja mal üben, wie man Löwen jagt, Herr Burg! Hier gibt´s nichts mehr für Sie zu tun, Herr Burg. Und übrigens, Ihre nächste Löwengeschichte können Sie an den Kindergarten schicken. Auf Wiedersehen, Herr Burg!“

Der arme Schwarze blieb am Baum hängen, der Löwe musste in der Sprungbewegung erstarrt bleiben, der Jäger weiterhin schwitzen, als Herr Burg endlich das Schreibprogramm beendete und – nach absichernder Nachfrage des Programms – das Dokument in den Papierkorb warf.