Das Festmahl

„Die Frage ist nicht wann, oder ob, nein, die Frage lautet: W e r!“

„Das, lieber Otto, ist keine ernst gemeinte Frage. Du! Wer denn sonst? Sie ist doch die Deine; nur du kannst entscheiden - und trägst für diese Gräueltat auch alleine die Verantwortung.“

„Eben drum, wegen der Gräueltat, Karl. – Äh. Ich kann das nicht. Und da ich es nicht kann, wer soll es dann tun? Soll ich den Bürgermeister fragen? Der lacht mich aus; der kann doch keiner Fliege was antun. Und außerdem weiß es dann das ganze Dorf. Nee! Mir fällt da nur einer ein. Du! Weil du alles hast, was dafür notwendig ist, um sie ins Jenseits zu befördern. Du hast Erfahrung, machst es nicht zum ersten Mal, hast keine tiefe Bindung zu ihr weil du sie nicht täglich siehst, hast weniger Skrupel als ich, bist nicht so sensibel, und, das ist dabei das Wichtigste, du bist mein Freund – der Retter in der Not, wie der Seemann sagt.“

„Der Seemann! Ich muss lachen. Der Landwirt, der Bauer ist in Not. So einfach willst du dir das machen? Nein, nein, lieber Otto. Es mag zwar stimmen, was du aufgezählt hast, aber das ist beileibe nicht ausreichend. Einige sehr wichtige Dinge hast du vergessen. Was gegen diese Tat spricht? Ich bin ein frommer Mensch, katholisch erzogen, und noch nie – Hörst du? –, noch nie habe ich mutwillig getötet – außer meine Hühner und Hähne.“

„Wer, lieber Karl, spricht denn von mutwillig? Der Not gehorchend, nicht dem inneren Triebe. Den Spruch kennst du doch?“

„Klar. Schiller. Den solltest du beherzigen. Nicht ich. Nur der Not gehorchend, müsste es heißen. Wo ist hier die Not?“

„Sie schwebt über meinem Haupt. – Bist du mein Freund?“

„Ja. Bin ich.“

„Na dann!“

Nun war also offensichtlich alles gesagt, was es in dieser Angelegenheit zu sagen gab, oder, was die Freunde und Nachbarn in diesem Fall für erforderlich hielten. Es musste nur noch reichlich bedacht, auf Bedeutung, Gewicht und Wahrheit untersucht werden.

Also schwiegen sie. Lange, sehr lange. Dachten und dachten, wogen das Eine gegen das Andere auf, saßen derweil auf der Bank vor Ottos Hause, genossen die warme Sonne, schauten übers Holzgatter auf die Wiese, auf der es allerdings nicht viel zu sehen gab.

Nur Sie! Sie in ihrer ganzen Schönheit. Sie, um die sich alle ihre Gedanken drehten. Clothilde war dort zu sehen, trat in Erscheinung, als wüsste sie, dass es um sie ging. Stolz, den schlanken Hals wiegend, in ihrer typisch selbstgefälligen Art und Weise, stolzierte sie daher, immer entlang der Umzäunung. Dabei ignorierte sie die Männer, tat so, als gäbe es sie nicht. Was eine leicht durchschaubare Strategie war. Das wussten beide aus Erfahrung. So war sie halt. Ab und zu warf sie einen Blick auf den Boden, schob mit dem rechten Bein lässig – man könnte auch sagen, gleichgültig – das Gras auseinander, so als suche sie etwas, schaute dann rüber zur Nachbarwiese, auf der Karls Hühner und Hähne scharrten.

„Schön ist sie ja“, sagte Karl schließlich. „Hat noch nie mit einem männlichen … Oder? Du weißt schon.“

„Hm. Nicht dass ich wüsste. Und was mache ich nun mit ihr? Du weißt, dass am Samstag alles auf dem Spiel steht. Alles. Zwanzig Jahre bin ich alleine auf dem Hof. Zwanzig Jahre! Du ahnst nicht, was die Zeit mit einem Mann anrichtet, wenn er abends einsam in der Stube hockt, nur zum Schlafen ins Bett geht. Du kannst nicht mitreden. Du hast ja deine Maria. Du hast es gut.“

„Du weißt eben nicht, wie es ist, wenn man jeden Tag nicht alleine ist, wenn man am Abend nicht ohne Marias Kommentar sein Bier trinken kann, wenn im Bett von dir erwartet wird, was du kaum noch schaffst. Du bist ein verwöhnter Junggeselle, hast immer deine Mutter gehabt, die dich mit ihrer Kochkunst verwöhnt hat.“

„Damals! Das ist lange her. Umso schwerer waren die zwanzig Jahre nach ihrem Tod. Es ist wahr; Mutter konnte kochen. Meine Güte! Wenn ich an ihren Kohleintopf denke; an den mit Mettwurst. Göttlich! Und erst ihre Kuchen mit Beeren aus dem Garten. Na ja. Dann kamen die schrecklichen zwanzig mageren Jahre ohne sie.“

„Hast dich auch nie nach einem Weib umgeschaut. Hättest doch bloß mal im Dorf-Anzeiger was reinsetzen müssen. Bauer sucht Köchin und Bettgesellin. Oder so.“

„Blödmann! Nee. Das ist nicht mein Ding. Nicht so. Aber jetzt geht es richtig los, so wie ich es mir vorstelle. Das Warten hat sich gelohnt. Es wird sich alles auf einen Schlag ändern. Dank dieser kultivierten Fernsehsendung. Das ist was anderes als dieses Dorfblatt. Liest doch eh keine Frau außerhalb vom Dorf. Nur das noch mit Clothilde; sie muss sterben. Das muss jetzt sein. Obschon … das alles ist ergreifend und geht ans Herz.“

„Und ans Geld. Na ja. Kultiviert! Ha! Du meinst damit ja wohl nicht Bauer sucht Bäuerin?’ Der Sender ist was für … Will lieber nix dazu sagen. Das ist doch nichts für dich. Du singst im Kirchenchor. Bist im Gemeinderat. Dass du dich da gemeldet hast, bei diesen Fernsehfritzen! Maria meint, du wärst übergeschnappt. Weißt du, dass die im Dorfsaal eine Großleinwand aufstellen, wenn du da nächste Woche zu sehen bist? Das gibt ein Ding. Du meinst, dass du die richtige Kandidatin gewählt hast?“

„Klar doch. Hatte ja genug Vergleichsmaterial. Karl! Da konnten dir die Augen aus dem Kopf fallen. Diese Fotos! Hatten alle nicht viel an. Konnte gut sehen, was mich erwartet. Oh Mann! Aus dreißig Bewerberinnen habe ich sie erwählt. Sie, die wunderbare Schönheit. Sag Glückspilz zu mir, Karl.“

„Du hast sie gewählt? Oder sie dich. Bist ne gute Partie, Otto.“

„Na na! Ich sie! Jedenfalls ist sie die richtige Frau für mich. Du wirst sehen. Hab ein gutes Gefühl dafür. Kenn mich aus mit den Frauen.“

„Klar; du kennst dich aus. Hast noch nie eine im Bett gehabt. Oder? Und die nimmt dich, die Bildschöne? Na klar. Wenn du ihr das bietest, was sie auf drei Seiten Briefpapier an Bedingungen genannt hat, dann sagt sie vielleicht ja.“

„Karl! Von Bedingung hat sie nie auch nur ein Wort geschrieben. ‚Erwartungen’ hat sie das genannt. Erwartungen! Und das dürfte selbst dir klar sein, ist ein Unterschied.“

„Erklär du mir den Unterschied. Wenn Maria sagt, Ich erwarte, dass du um zwölf vom Frühschoppen kommst, dann ist das eine Bedingung. Sonst kann ich am nächsten Sonntag gleich bis zum Essen in der Kirche hocken bleiben, statt in die Kneipe zu gehen.“

„Wenn eine Frau, also nicht deine Maria, sagt, sie habe Erwartungen, dann ist das doch natürlich. Muss sie doch haben. Sonst könnte sie ja sonst wo landen. Nee, nee. Das muss so sein.“

„Ha! Du hast von Weibern keine Ahnung. Wenn sie schreibt, dass sie zwar gerne auf deinem Hof anpacken täte – Na, wie denn, als Stadtpflanze, die keine Kuh vom Ochsen unterscheiden kann? –, aber das Kochen, das sei nicht ihr Ding, das erwarte sie von ihrem künftigen Bauern oder einer guten Haushälterin, dann stimmt was nicht. Hast du eine Haushälterin? Haste nicht! Hast du schon mal von einer Bäuerin gehört, die nicht kochen kann?“

„Ja. Meine Nachbarin, die Maria. Sagst du selber.“

„Jedenfalls hat Maria noch nie verlangt, dass ich für sie koche. Und sich dann zum Kennenlernen ein Festmahl zu wünschen! Festmahl! Ich fasse es nicht. Ihre Lieblingsspeise, sozusagen als Test, sei Gänsebraten! Mann, Otto! Schreib ihr einfach du hättest es dir anders überlegt.“

„Ich will diese Frau. Hast du ihr Bild gesehen? Traumhaft! Ihre Taille! Ihre Brüste! Ihr sündiger Blick! Die langen, schlanken Beine! Ich träume von ihr. Stell dir die hier auf dem Hof vor.“

„Hab ich. Mit Minirock und Stöckelschuhen. Im Kuhstall! Da lachen meine Hühner.“

„Neidhammel! Deine Maria kannste mit der nicht vergleichen. – Also, sei mein Freund und hilf mir. Du weißt wo der Hauklotz steht, das Beil liegt oben drauf. Ich locke Clothilde mit Rapspflanzen und du packst sie dir. Ich geh dann so lange in den Stall, bis du rufst.“

„Nein! Mache ich nicht. Clothilde ist mir auch ans Herz gewachsen. Ich kenne sie schon seit meiner Kindheit. – Wie alt ist sie eigentlich?“

„Mutter hat sie – warte mal – also fünfzehn Jahre vor ihrem Tod, als Küken vom Markt mitgebracht. Dann ist sie wohl fünfunddreißig. Kein Alter für eine gesunde Gans.“

„Fünfunddreißig? Donnerwetter! Wie die Zeit vergeht. – Weißt du was? Kannst du dir vorstellen, wie ihr Fleisch schmeckt? Zäh, ungenießbar, würde ich mal raten. Und dafür willst du Clothilde opfern? Heinrich, unser Tierarzt, sagte kürzlich, die Viecher könnten glatte fuffzig werden. Fünfzig Jahre! Dann hat sie noch gut und gerne fünfzehn. Schenk ihr die Gnadenzeit. Lass dir was einfallen.“

Clothilde war inzwischen weiter über die Weide stolziert, stellte sich hoch aufgerichtet vor das Gatter, öffnete den Schnabel, schlug mit knarrendem Geräusch die Flügeln und stieß einen an- und abschwellenden Schrei aus. Mit ihren blauen Augen schaute sie die Freunde an, klemmte die Flügel wieder an ihren Körper und schlug den Schnabel aufs Holz der Umzäunung.

„Sie will ihr Futter“, sagte Otto. „Macht die schon ewig so. Hat Mutter ihr wohl beigebracht. Die hat Clothilde geliebt; fast mehr als mich.“

„Na also! Denk an deine Mutter; Gott habe sie selig. Hast du ihren lieben Blick gesehen? Den von der Clothilde? Voller Vertrauen. – Otto, wenn du meinen freundschaftlichen Rat annehmen willst, dann …“

„Ja? Du machst es?“

„Nein, nein! Dann, wollte ich sagen, schenke ich dir einen meiner Hähne. Das ist mein Rat als Freund. Das Vieh kannst du auf den Hauklotz legen, ohne Skrupel und so. Und dann prüfst du die ‚Bäuerin’, ob sie eine Hähnchenbrust von einer Gänsebrust unterscheiden kann. Maria hat ein Rezept, das leiht sie dir.“

„Du meinst … Ich weiß nicht. Geht doch gar nicht. Den Unterschied erkennt doch jeder. Hahn statt Gans! Du spinnst!“

„Na, warte ab. Wir wetten einfach mal. Ich sage, sie erkennt ihn nicht. Du sagst, sie merkt, dass sie einen Hahn isst. Wenn ich gewinne, jagst du sie vom Hof. Was übrigens eh besser wäre. Und wenn du gewinnst, schaffe ich deiner betagten Clothilde einen hübschen Gänserich an. Kann sich dann fünfzehn Jahre von dem besteigen lassen.“

„Ja, aber … Die vom Fernsehen. Die mit der Kamera und dem ganzen Kram. Die wollen doch, dass ich mit der ins Bett gehe, wollen filmen, wie sich unter der Decke was tut. Dann wird das in der Woche danach gesendet. Karl! Das geht gar nicht. Und das ganze Dorf sitzt vor der Leinwand im Dorfsaal und glotzt. Nee, das geht wirklich nicht.“

„Du bist der Bauer! Du sagst, wer dir im Bett unter der Decke was beweisen darf. Das Volk johlt wie doll, wenn du dann sagst: He, Fräulein. Das geht gar nicht. Wer eine Hähnchenbrust nicht von der Gänsebrust unterscheiden kann, der kann auch keinen Ochsen von einer Kuh unterscheiden. Also auf Wiedersehen. Da machst du Quote mit.“

Lange musste nun wieder geschwiegen, gedacht und bewertet werden. Mehr von Otto als von Karl allerdings, der das schnell fertig gedacht hatte. Schließlich gab Otto sich einen Ruck, seufzte, schaute seinen Freund an.

„Du meinst wirklich? Na ja. Auf deinen Rat ist ja meistens Verlass, Karl. Wie ist denn das Rezept von deiner Maria? Hoffentlich hat sie das nicht selbst erfunden.“

„Nee, könnte Maria gar nicht. Hat die vom Fernsehkoch. Abgeschrieben, hat sie das und einmal selbst probiert. Na ja. Hab‘s überlebt.“

„Also gut. Ich wage es. Was kann ich schon verlieren außer meiner Unschuld. – Top! Die Wette gilt“ rief Otto und war nun doch froh. Clothilde würde das Festmahl überleben und Karl war wirklich ein Freund, wie man ihn hier auf dem Lande brauchte.

Sie sah bezaubernd aus. Otto hatte sich in die Tür gestellt, oben auf dem Podest, stemmte die Arme in die Hüften und besah sich das Geschehen auf dem frisch gefegten Hof.

Von hier oben hatte er einen herrlichen Ausblick auf alles, aber auch einen Einblick, einen ins tief, sehr tief, ausgeschnittene Dekolleté des herrlichen Dirndls. Da war was drin! Das war etwas, was sozusagen ins Auge sprang, und Otto bereute bereits seine Wette mit Karl.

„Obschon“, so sagte er sich, beim Blick über die etwa zwanzig Leute vom Fernsehteam, die ihn beobachteten, „das ist hier ja doch nur eine Show. Wenn die erst mal weg sind. Was danach kommt, ohne Fernsehen ... Bin schließlich der Bauer auf dem Hof und entscheide wo’s lang geht.“

Er hatte sich seinen schwarzen Sonntagsanzug extra reinigen lassen, Maria, die als Nachbarin immer ein Auge auf sein Aussehen hatte, und ihn schon mal beim Kirchgang rügte, wenn man mal wieder Eiflecken auf dem Hemd sehen konnte, die hatte ihm sein weißes Sonntagshemd gewaschen und gebügelt. Die Krawatte stammte noch von seinem Vater, war gut erhalten, fleckenlos, sehr farbstark und kräftig geblümt.

So stand er also da, groß, dominant, ganz der Herr im Hause und fühlte sich trotzdem fremd und unsicher. Noch nie hatte er so im Mittelpunkt gestanden. Noch nie war er von einer Fernsehkamera beobachtet worden. Was die nun gerade ausführlich und aufdringlich tat.

Und dann noch diese Frau da unten. Ihre blonden Haare glänzten genauso wie ihre Augen. Hochhackige Schuhe ließen ihre Beine noch schlanker erscheinen als er sie vom Foto her kannte. Und die Figur!

„Herr im Himmel! Gib mir Mut und Kraft“, dachte er. „Und führe mich nicht in Versuchung. Amen.“

„Langsam runter kommen!“, rief ein fetter Kerl, der ein Megaphon in der einen und eine Schreibtafel in der anderen Hand hatte. „Wir drehen jetzt. Geht alles in den Kasten. Will nicht alles doppelt aufnehmen müssen. Hört auf mein Kommando. He! Bauer Otto! Du besonders. Lächeln. Deutlich sprechen. Kluge Sachen sagen. Also aufpassen, und jugendfrei bleiben. Nicht grabschen! Aber sonst ist alles erlaubt. Aufnahme läuft!“

Das war nun soweit klar und Otto stieg steif die drei Stufen runter, an deren Füßen die wunderbare Bäuerin-Anwärterin auf ihn wartete. Der Kameramann filmte, was das Zeug hielt. Der lange Tonarm mit dem dicken Mikrofon hing über Ottos Kopf.

„Küss mich zur Begrüßung“, sagte die Wartende laut und zog ihn an sich. „Auf den Mund. Der Lippenstift ist kussecht.“

Otto nickte, schloss die Augen, legte seine Pranken, mit denen er leicht einen Ochsen aufs Kreuz legen konnte, um die schmalen Schultern und zog das Dirndl und was da drin war, an seine breite Brust. Einen lauten Schmatz tat es, als er seinen weit geöffneten Mund auf den spitz angebotenen der Blondine drückte.

„Willkommen. Gut siehste aus, Mädchen“, sagte er. „Wie war noch dein Name?“

„Haste etwa vergessen wie ich heiße?“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Clothilde, haben mich meine Eltern getauft. Waren im Urlaub im Elsass, als ich gemacht wurde, sagt Papa.“

„Oh! Wirklich? Das ist ja ein Ding. Clothilde? Das ist mehr als ein Ding. Das ist eine Überraschung. Mutter mochte den Namen auch. Daher kommt der Name von.... War auch mal mit Papa im Elsass; die Mutter, glaub ich.“

„Nicht wahr? Bin stolz drauf. Später, wenn wir ein Paar sind, kannst du mich Chlothi nennen. Machen alle meine Freunde.“

„Stopp!“, rief der fette Regisseur. „Was flüstert ihr? Habt ihr schon Geheimnisse? Geht’s um Sex? Ihr müsst lauter sprechen. Das Publikum will hören, was ihr sprecht. Gerade wenn’s um Sex geht. Alles von vorne! Aufnahme!“

Also stieg Otto die drei Stufen rauf, genoss den Blick ins Tiefe des Dekolletés, den feurigen Blick von Clothilde und sah, als er den Kopf – man konnte sehen, dass es ihm schwer fiel – anhob, auf der Wiese die andere, seine, Clothilde. Das wärmte ihm das Herz und nun fühlte er sich stark und alle Unsicherheit war wie Nebel in der Sonne verschwunden.

„Clothilde!“, rief er und ging flotten Schritts die Stufen herab, küsste wieder mit lautem Schmatz, drückte den Dirndlinhalt an seine schwer atmende Brust und sprach: „Willkommen, schöne Maid. Lasst uns zur Tat schreiten.“

„Stopp! Das war filmreif. Wunderbar!“, rief der Regisseur. „Jetzt ab in die Küche. Ist das Essen vorbereitet?“

„Alles, wie verabredet“, sagte Otto. „Muss mir nur noch die Kochschürze umbinden.“

Er legte seinen Arm um die sehr schlanke Taille von Clothilde und schob sie die Treppe rauf, hinein in die riesige Küche.

Kameramann und Tontechniker, Regisseur und all die anderen, vom Kabelschlepper bis zum Maskenbildner, drängten hinter ihnen in die nun übervolle Küche.

„Aufnahme läuft!“, rief der Regisseur. „Häng das Mikro tiefer, du Dusel.“

„So festlich! Alles das nur für mich?“, rief Clothilde, als sie den schön gedeckten Tisch erblickte, und warf sich auf den vordersten Stuhl.

„Das ist meiner. Saß früher Papa. Nach seinem Tode durfte ich … Ach, egal. Bleib sitzen“, sagte Otto und machte in Gedanken ein Minuszeichen auf einer imaginären Checkliste.

„So schön gedeckt. Und Kerzen! Und echtes Silber! Ich glaub, ich hab den richtigen ausgewählt.“

„Ist noch von Mutter. Alles für die künftige Bäuerin“, sagte Otto, band sich die Schürze um, auf der eine lachende Kuh „Muh“ machte, und trat zum Herd. „Muss schon alles fertig sein.“

Die Kamera schwenkte zum Herd, der Tonarm senkte sich zur Pfanne, aus der ein leise brutzelndes Geräusch zu hören war.

„Es duftet! Es riecht! Ich habe Hunger, lieber Otto. Was gibt es denn für mich? Ahh! Lass mich raten. Ich kann’s am Duft schon erkennen. Rinderbraten mit Soße und Blumenkohl. Richtig?“

Die Kamera schwenkte zur begeistert drein schauenden Chlothilde, als der Regisseur aufschrie.

„Stopp“, schrie er. “Stopp! Stopp! Es gibt Geflügel. Das wurde in der Vorankündigung lang und breit verkündet. Das wäre Betrug am Publikum. Also richtet euch danach. Nichts erfinden! Und wenn’s tatsächlich Krokodilfleisch ist, sagt Geflügel. Wir haben ein Drehbuch! – Aufnahme Nummer zwei!“

„Es duftet! Es gibt bestimmt … Also, da fällt es mir ein. Gänsebraten, hatte ich mir gewünscht. Und da sollte es das auch geben; stand auf meiner Liste. Ja, ich rieche es. Den Duft kann man nicht verwechseln. Gänsebraten duftet eben so einmalig. Und den Blumenkohl dazu, den rieche ich auch schon.“

„Wohl wahr“, sagte Otto und tischte auf, als wäre er der Oberkellner im Kölner Maritim. Die Kamera kroch fast in den Fleischteller, schwenkte sodann aufwärts, verharrte zwei Sekunden auf dem Dekolleté, zoomte dann auf das Gesicht von Clothilde, die verzückt die Augen verdrehte, „Himmlisch!“, sagte, und sich mit der Zunge über die Lippen leckte.

Otto stellte die Platte mit dem duftenden Braten in die Tischmitte, schob ein besonders knuspriges Bratenstück näher an Clothildes Teller, rückte ihr die Schüssel mit Kartoffeln und die Platte mit dem Rosenkohl dicht an ihre auf dem Tisch ruhenden Hände.

„Kein Blumenkohl. Passt nicht“, sagte Otto und machte in Gedanken schon wieder ein Minus auf seiner Liste. „Koche alles nach einem Rezept von Maria, meiner Nachbarin. Guten Appetit.“

Nach einem Blick zur Kamera setzte er sich Clothilde gegenüber und schaute zu, wie sie mit ihren zarten Händen, mit sorgfältig gespreizten Fingern auf denen der schwarze Nagellack glänzte, ihren Teller füllte.

Ach nein, sie füllte nicht; sie verteilte ein paar wenige Stücke, wie zur Probe, auf ihrem großen Teller. Sie schnitt sich ein fingerbreites Stück der knusprig gebratenen Brust ab, piekste es auf, legte es mittig auf den Teller, suchte sich die kleinste Kartoffel und ein Rosenköhlchen heraus und drapierte beides sorgfältig neben das Fleischstückchen, gab dann, nach einem Moment des Nachdenkens, eine Spur Soße dazu, betrachtete ihren Teller als sein ihr ein Kunstwerk gelungen, und schaute Otto fragend an.

„Wo sind die Gläser? Wo bleibt der Wein, lieber Otto?“

„Äh. Also … Wein?“

Otto musste nachdenken, schaute zur Kamera, dann zum Regisseur, der ihm zunickte und mit den Augen rollte, fand erst nach einem prüfenden Blick in Chlothildes fragende Augen die einzig passende Antwort.

„Nun, das ist … Wenn ich ehrlich bin … Wir befinden uns hier auf dem Land, also auf meinem Bauernhof. Da gibt es am Tage keinen Alkohol; nicht vor der Dunkelheit. Das hat Mutter schon dem Vater immer gesagt. Obwohl der … . Nun ja. Wir müssen ja nachher noch melken, ausmisten und andere Arbeiten verrichten. Und heute Abend, wenn die Tiere fertig sind, gibt es Bier. Aus der Flasche. Hat Vater schon so gemacht, damit Mutter die Gläser nicht unnötig waschen muss. Wein trinkt man hier nicht.“

„Oh! Na, das werden wir ändern“, sagte Clothilde und nickte heftig. „Du kochst und ich sorge für die Trinkkultur. Man muss doch mit der Zeit gehen.“

Sie schaute nun nicht mehr hoch, konzentrierte sich auf ihren Teller, ignorierte das Kameraobjektiv, das ihr schon wieder in den Ausschnitt schielte, dann zu ihrem mit Hähnchenbrust gefüllten Mund schwenkte.

„Vorzüglich“, sprach sie mit vollen Backen. „Gänsebrust hat meine Mutter so oft gemacht; weil ich es liebte. War nur, kaum merkbar … und doch … Es war etwas besser als diese Gänsebrust. Aber der Geschmack! Unverwechselbar Gänsebrust. Ich liebe Gänsebrust, sagte ich ja schon. Hier werde ich mich wohl fühlen. Hab da draußen noch so ein Vieh gesehen. Könnten wir zu Weihnachten … Das mit dem Wein kriegen wir auch noch hin.“

Otto sagte kein Wort. Er aß seinen Teller leer, lehnte sich zurück und schaute zu, wie Clothilde ihre Lippen mit der Stoffserviette abtupfte und dann mit geschlossenen Augen „Ah!“ sagte.

Nach einem Moment der Stille, in der das Essen sacken konnte, der Regisseur schwieg, die Kamera einige Schwenks vollzog, mal auf Clothilde, mal auf die leer gegessenen Teller und mal auf den sichtlich gesättigten Otto zoomte, erhob dieser sich, räusperte sich zwei Mal, schaute zunächst in das Objektiv der Fernsehkamera, fand, dass alles richtig war und sprach.

„Ich liebe Clothilde.“

„Lieber Herr Gesangverein!“, rief verdutzt der Regisseur, ohne an das eingeschaltete Mikro zu denken.

„Oh! Er will mir einen Heiratsantrag machen. Wunderbar! So schnell! Aber bitte auf Knien“, flüsterte Clothilde.

„Also, ich liebe Clothilde; sagte ich ja schon. Sie ist mir ans Herz gewachsen und wenn ich ihr ein Leid angetan, wenn ich sie geschlachtet hätte, wie ich’s vorhatte, dann hätte Mutter sich im Grabe umgedreht.“

„Nein!“, schrie Clothilde.

„Stopp!“, schrie der Regisseur.

„Was hattest du vor? Ich bekomme Angst!“, rief Chlothilde und presste beide Hände auf die wogende Brust.

„Wer soll hier geschlachtet werden? Das war niemals geplant. Mein Sender lehnt alle Verantwortung ab für solche brutalen … Das schneiden wir raus. Bauer Otto! Reden Sie, was zum Heiratsantrag passt. Machen Sie keinen Horrorfilm draus. Noch mal von vorn. – Aufnahme! Kamera läuft!“

Otto schaute in die Kamera, die ihn nicht mehr aus dem Objektiv ließ. „Also, wo war ich? – Ja, also. Meine Mutter. Genau. Die liebte Clothilde, was unsere wunderschöne Gans ist, und deshalb durfte ich Clothilde nicht schlachten. Darum habe ich mit Karl, was mein Freund ist, gewettet. Und der sagt, dass diese hier“, rief er und schaute Clothilde an. „Das diese hier keine Kuh vom Ochsen und keine Hähnchenbrust von einer Gänsebrust unterscheiden kann. Der Kerl hat das gewettet und gewonnen. Wir aßen Hähnchenbrust, keine von der Gans. Stammte vom Karl seinem Hof, der Hahn, um genau zu sein. Ich habe keine Hühner und Hähne. Und weil das so ist, gehört meine Clothilde, was meine alte, aber schöne, Gans ist, auf diesen Hof, bis sie stirbt. Aber diese hübsche Clothilde, die hier, mit Stöckelschuhen, schwarz lackierten Fingern, die am helllichten Tage Wein trinken will, die passt nicht auf den Hof. Nie! Und das ist so. Karl hat die Wette gewonnen und ich an Erfahrung. Stopp!“

Clothilde, also die Fastbäuerin, die den Test nicht bestanden hatte, wurde vom Regisseur getröstet, als sie nach etlichen Minuten aus der Ohnmacht erwacht war, musste vom Kabelträger gestützt werden, als sie zum Auto wankte.

Otto und Karl tranken am selben Abend jeder drei Flaschen Bier – aus der Flasche. Maria bekam als Dankeschön fürs Rezept den Rest von der Hähnchenbrust, der Fernsehsender kündigte ab dem nächsten Tag stündlich an, dass diese Folge der Sendung „Bauer sucht Bäuerin“, die am Samstag ausgestrahlt würde, an Dramatik nicht zu überbieten sei.

Am folgenden Samstag waren die Quoten entsprechend hoch, im Dorfsaal gab es während der Sendung eine Prügelei zwischen etwa zwanzig jungen Männern, die sich für oder gegen Clothilde entschieden. Etwa zehn – ehemalige Messdiener – sahen mit ihr die Leibhaftige Sünde ins Dorf ziehen, die anderen zehn hätten gerne mit so einer getanzt beim Maiball. Der Kampf endete unentschieden mit mehreren blutenden Wunden, gleichmäßig verteilt.

Die andere Clothilde, die von der Tragödie und der Dramatik nichts mitbekommen hatte, war in ihrem Element, fraß und war faul wie stets. Sie lebte fröhlich, wie es sich für eine hübsche, im Alter gereifte Gans gehört, in den Tag hinein. Am Montag nach dem Fernsehereignis des Jahres brachte Karl einen fetten, sehr behäbig wirkenden Gänserich und setzte ihn zu Chlothilde auf die Weide.

„Hab zwar gewonnen, aber Maria meinte dann doch, dass wir der knapp dem Tode entronnenen Chlothilde was schuldig seien.“

„Hat Recht, dein Maria. Passt schon. Hab ja in Wahrheit doch gewonnen; wenn man‘s recht betrachtet.“

„Bleibst also Junggeselle. Wenn du nicht schwach wirst. Etliche Jungfrauen aus dem Dorf, die dich im Fernsehen gesehen haben, sind wohl spitz auf dich. Kannst es ja noch mal versuchen – ohne Fernsehen.“

„Nee. Das Kochen mache ich besser alleine. Und das andere … Du weißt schon, das überlass ich mal dem neuen Ganter. Obwohl, wenn der die Chlothilde besteigen will, dann muss der erst noch ein paar Pfund abnehmen“, fand Otto, der neben Karl auf dem Zaungatter lehnte.

„Das kriegt deine Chlothilde schon hin. Kennst doch das Sprichwort: Ein guter Ganter wird selten fett.“

Otto tat tatsächlich drei Schwüre, dass er nie, quasi niemals mehr, einen Fernsehauftritt erleben möchte und außerdem gerne Junggeselle bleiben würde.

„Mutter würde mir Recht geben“, sagte er zu Karl und Maria, die ihn am Sonntag zum Essen eingeladen hatten.