Die meisten Menschen – da bin ich mir sicher – werden nicht ernsthaft bestreiten, dass es zwischen Himmel und Erde etwas gibt, das unser Leben auf geheimnisvolle Weise beeinflusst.
Man kann schließlich nicht alles mit Floskeln wie: „Das ist menschlich“, „Na ja, das Alter“, oder „Das war der liebe Gott“ erklären! Der geborene Kölner hingegen fragt in solchen Fällen sogar fatalistisch: „Wat wellste maache?“
Dazu gibt es ‚nüchterne Menschen’, also, was immer das heißen mag, die für alles und jedes eine logische Erklärung parat haben. Und die werden sich auch durch diese Geschichte nicht eines Besseren belehren lassen. Sie sind, wie wir so schön sagen, ‚unbelehrbar’. Und der betroffene Kölsche sagt gar: „Wat soll dä käu?“
Aber wie, so muss man sich doch als vernünftiger Mensch fragen, lassen sich manche Dinge erklären, wenn nicht tatsächlich Kräfte da sind, die dafür die alleinige Verantwortung tragen?
Wer, bitteschön, hat mir am Samstag vor einer Woche die Karten für die Kölner Philharmonie aus der Anzugtasche genommen, hat sie auf die Garderobe gelegt und mich deshalb an der Einlasskontrolle blass werden lassen? Nun? Meine Frau war´s nicht – und ich schon mal gar nicht!
Wer hat mir das völlig leere Portmonee in die Tasche gesteckt und mich zum Gespött der Kunden beim Bäcker Kraus gemacht?
Wer hat das Halteverbotsschild in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit genau neben meinem Auto aufgestellt? Na? Die Politesse etwa? Nein! Die nicht. Und die Arbeiter vom Straßenbauamt haben noch nie so schnell gearbeitet. Also, wer dann?
Und wer, so frage ich Sie, lässt unsere Schlüssel auf geheimnisvolle Weise verschwinden, verlegt ständig Dinge an Orte, wo wir nie – wirklich nie im Leben – waren?
Kinetik, sagen die ‚Nüchternen’ (was nichts mit Verzicht auf das leckere Kölsch zu tun hat), aber erklären können sie uns auch nicht, wer diese ‚Kinetik’ denn benutzt und wie sie funktioniert. Mit regelrechtem Sarkasmus pflegt der Kölsche zu all den verschwunden Dingen zu sagen: „Wat fott es, es fott!“
Genug! Wir, die Wissenden, werden das, was da eines schönen Tages in der Nähe von Köln passierte, schon richtig verstehen. Lassen wir die Ungläubigen bei ihrer trockenen Physik – oder was auch immer das ist – bleiben. Und wir lassen es uns klaglos gefallen, dass der oft zitierte gemeine Kölsche zu uns sagt: „Do häs et Schoss erus!“ oder auch „Do häs se nit all op de Dröht!“ (sinngemäß: „Du bist bescheuert!“, Anm. d. Verf.)
Könnten diese Ignoranten hinter die Kulisse schauen, hätten sie Durchblick und Fantasie, würden sie die folgende Geschichte nicht mit einem überheblichen Lächeln abtun.

Drei besondere Wesen, von nostalgisch angehauchten Leuten auch Feen genannt, spielen in dieser wahren Geschichte die Hauptrolle. Sie sind beileibe nicht die einzigen ihrer Art in dieser Welt, aber wir wollen uns aus Platzgründen auf sie – und einen Aufsehen erregenden Fall – beschränken.
Man kann – nein, man muss – diese drei Damen gemeinsam betrachten; anders geht es nicht. Sie sind eine echte Feeneinheit. Sie machen eben alles miteinander – wie das bei Geschwistern häufig der Fall ist.
Die Feen heißen Cloe, Pia und Sue. Cloe liebt ihre feuerroten Haare – turmhoch aufgeschichtet – und ist zudem groß, worüber sie manchmal verzweifelte Witze reißt.
„Lass dir doch einen Pagenschnitt wie Sue machen. – Einen Haarturm zu tragen, nee, nee! Und das bei deiner Größe!“, sagt Pia manchmal.
Pia ist stolz auf ihre schwarzen Haare mit diesem indianisch-bläulichen Einschlag und trägt sie schulterlang. Sie leidet allerdings ziemlich darunter, dass sie so klein geraten ist – gerade mal einssechzig kann sie vorweisen.
„Lass dir doch Einlegesohlen machen. Oder trag diese Klocks mit fünf Zentimeter hohen Sohlen“, rät ihre Schwester Sue genervt, wenn sie das Gejammer leid ist.
Sue ist strahlendblond mit einem Schuss ins Rötliche und hält den Pagenschnitt für das einzig Wahre. Sie ist sehr mit sich zufrieden, ist sie doch weder zu groß, noch zu klein.
Cloe trägt grundsätzlich bodenlange blaue Kleider, die ständig einen „saudreckigen Saum haben“, wie Sue immer wieder bitter beklagt.
Pia dagegen, trägt – quasi als Kontrastprogramm – stets einen ultrakurzen Minirock, was ihre Schwestern fast täglich zum Naserümpfen veranlasst.
Sue wiederum liebt enge Hosen. „Du hättest besser ein Mann werden sollen“, regt sich Pia deshalb bei Gelegenheit auf; aber ansonsten vertragen sich die Schwestern wirklich gut.
Damit sind allerdings auch schon die wesentlichen Unterschiede der netten Schwestern aufgezählt; der Rest ist bei allen identisch und in seinen Hauptmerkmalen so zu beschreiben:
Sie sind bildhübsch, ewig jung, nicht ortsgebunden, launisch, zauberhaft – im wahrsten Sinne des Wortes -, dazu ideenreich und ständig auf einen sogenannten „Kick“ aus, der ihr Alltagsleben versüßen soll – wie im vorliegenden Fall.

Es war ein ganz normaler Tag. Das Frühstück hatten sie genossen und dehnten und streckten sich wohlig im frühlingswarmen Sonnenschein.
„Ich habe da so eine Idee“, sprach Cloe geheimnisvoll lächelnd, was ihre Schwestern Pia und Sue zu Äußerungen wie: „Lass hören!“, „Sag schon!“ und „Oh, du Biest, du willst es alleine machen“, verleiteten.
Cloe aber tat nicht länger geheimnisvoll – sie machte doch nie was alleine –, sondern flüsterte ihren Schwestern, deren Augen dabei immer runder und größer wurden, ihre „phantastische Idee“ in die niedlichen Öhrchen.
„Meinst du?“, „Wenn das bloß gut geht“, „Oh, mein Gott, das wird ein Spaß“ und – „Wann fangen wir an?“, waren nur einige der spontanen Ausrufe.
Sie fingen tatsächlich sofort an, denn diese drei Damen kannten keinen Tagesrhythmus wie wir ihn pflegen. Also, ein Ausruf: „Aber erst nach dem Mittagsschlaf, Süße“, oder so ähnlich, war hier nicht denkbar.
Sie stellten sich in Höhe des Ortes Köln-Fühlingen auf, der, wie Ortskundige wissen, zu Köln gehört und an der Bundesstraße 9 liegt. Dass sie diese Stelle erwählten, das aber war reiner Zufall. Es hätte, sagen wir mal, zum Beispiel auch die B 1 bei Düsseldorf sein können, oder eine dieser herrlichen Alleen in Brandenburg. Allerdings: Wie diese Geschichte im versnobten Düsseldorf oder im nüchternen Brandenburg ausgegangen wäre, das ist nicht leicht zu erraten.
Da standen sie also – unsichtbar – und warteten. Sie mussten allerdings nicht lange warten, denn, wie die geplagten Benutzer dieser Strecke wissen, ist das eine verdammt stark befahrene Straße.
„Da kommt einer!“, rief Cloe. „Ich fange an – ich hatte immerhin die Idee.“
Es muss noch eine Gemeinsamkeit der drei Damen erwähnt werden: Sie tragen drei völlig gleich aussehende kleine Stäbe bei sich – immer.
„Man kann ja nie wissen, ob man ihn nicht gerade braucht“, pflegte Sue zu seufzen, wenn sich Pia über die Ausbuchtung im Ärmel ihres saloppen Jäckchens beschwerte.

Nun gut. Also, ein Auto – rot, klein, viele Jahre alt und langsam – näherte sich. Da hier ein Überholverbot das flotte und überhebliche Vorbeihuschen untersagt, schleppte dieses Miniauto einen Schweif von – grob geschätzt – hundert schnelleren, schöneren, neueren Wagen hinter sich her; es war die Zeit vor Bürobeginn bei Ford, Bayer und anderen großen Firmen.
„Die nehmen wir alle, ihr Süßen“, rief Pia, schwenkte ihren niedlichen Stab und stellte sich neben Cloe.
„Jawohl! Das reicht für drei flotte Damen“, bestätigte Sue und stellte sich ebenfalls stabschwenkend zu ihren Schwestern.
Was dann kam, fiel zunächst niemandem auf, denn jeder Autofahrer sah ja nur die Rückseite des vor ihm fahrenden Wagens – und seine eigene Frontseite schon mal gar nicht. Und da ja in Deutschland kaum jemand in den Rückspiegel schaut – außer wenn eine Frau am Steuer sitzt und die Frisur prüft oder sich die Lippen schminkt – zuckelte die Kolonne unbeeindruckt in Richtung der großen Parkplätze.
Cloe, Pia und Sue taten ihr Bestes, um keinen unbehandelt entkommen zu lassen. Sie schwangen ihre Stöckchen, zauberten, lachten über ihre Ergebnisse, schlugen sich auf die Schultern bei besonders gelungenen Ergebnissen, bis Cloe müde wurde und feststellte, dass es erst einmal reiche.
„Aber das müssen wir noch mal machen. Versprochen?“, rief Pia, die mehr als fünfzig Wagen behandelt hatte und schon richtig süchtig war.
„Versprochen!“, riefen Cloe und Sue.

Der Parkwächter auf dem Fordparkplatz, war, wie er später dem „Kölner Stadtexpress“ gegen ein kleines Honorar exklusiv verriet, der „erste Mensch, der so was gesehen hat.“
Tatsächlich sah er sich gewohnheitsmäßig jedes Auto an, das es wagte, seinen Parkplatz zu benutzen; immerhin musste derjenige ja eine spezielle Plakette an der Windschutzscheibe tragen.
„Da jibt et Typen! Die fälschen doch glatt die Dinger! Da musste luren („hingucken“, Anm. d. Verf.) wie´n Schießhund!“, erklärte er der Presse später sein genaues Hinsehen.
Jedenfalls dachte er zunächst, es wäre ein Karnevalsgeck, was, wie der Rheinländer weiß, vom 11. November bis Aschermittwoch in Köln fast alles entschuldigt. Aber dann fiel ihm ein, dass er in der Folgewoche seinen Osterurlaub antreten würde.
Er verließ sein Häuschen und ging bedrohlich langsam auf das kleine, uralte Gefährt zu, das er in Gedanken „roter Schrotthaufen“ nannte – und das schon seit etwa drei Jahren.
„Mojn, junge Frau, sagen Se ma; is de jecke Zick („Zeit“, Anm. d. Verf.) usjebrochen?“
Die angesprochene junge Frau hatte erstens Liebeskummer, zweitens Wut auf ihren Chef, drittens war Montag, was wir noch nicht erwähnt haben. Eine schwierige Zeit also für jede Bürokraft – besonders für junge weibliche Sekretärinnen.
„Was wollen Sie?“, sagte sie deshalb schnippisch und dachte an ihren Ex-Freund.
„Ham Se dat noch nich jeschnallt, junge Frau? Oder wollen Se mich veräppeln mit dem Ding?“
Er nahm tatsächlich zunächst an, dass das, was er da erblickt hatte, ein Affront gegen die „Aufsichtsbehörde“ und ihren irdischen Vertreter, den strengen Parkwächter sein müsste – wie er es so oft in seinem Parkplatzwächterleben durchleiden musste.
„Ich verstehe sie nicht. Was wollen Sie von mir?“, sagte sie nun ungeduldig und dachte an ihre Gleitzeit.
„Da! Dann gucken Se doch einfach ma, wat Se da spazieren fahren. Dat is doch kein Aprilscherz nich, oder?“
Und dann – endlich – standen die zwei Menschen vor der Front des kleinen, roten Autos und dachten nach.
„Spinn ich!“, war der verbriefte erste Gedanke der jungen Frau, die, wie der „Kölner Stadtexpress“ schrieb „Inge P.“ hieß, auf die tiefschürfende Frage des Reporters: „Sagen Sie bitte den Lesern unserer Zeitung, was Ihr erster Gedanke war.“.
Jedenfalls war ihr Gesicht eine Offenbarung ihrer chaotischen Gedanken, als sie die völlig veränderte Front ihres geliebten Autos betrachtete.
„Ein Gesicht!“, stammelte sie hilflos, und der Parkwächter, als Jupp S. zitiert – wobei jeder Parkplatzbenutzer wusste, dass das nur Jupp Schmitz gewesen sein konnte – nickte beifällig.
„Und dat Ding griemelt (grinst höhnisch, Anm. d. Verf.) auch noch!“
Sie gingen gemeinsam ein paar Schritte zurück, betrachteten aus der Distanz erneut, erforschten jedes Detail. Es war unbestreitbar ein Gesicht. Ein Auto mit Gesicht!
„Seit wann hat so ne alte Karre ´n Gesicht mit so´nem dämlichen Grinsen?“, fragte Jupp S.
„Das mit der alten Karre will ich nicht gehört haben“, schnaufte Inge P. „Aber ansonsten haben Sie wohl Recht.“
Die Verwunderung konnte, ja, die musste man verstehen, wenn man sich als Autokenner das „Gesicht“ dieses Autos ansah. Da musste man beileibe kein Karosseriebauer sein, um die Stirn zu runzeln.
Ein lächelndes Autogesicht! Leicht verbogener Kühlergrill, ein Mund darin, wie beim herzhaften Lachen geöffnet, geschlitzte Lampen, bräunliche, lange Wimpern –- dick wie Pferdeschwanzhaare – und ein leicht in Falten gelegtes seitliches Frontblech.
Es war, wenn man es unvoreingenommen betrachtete, ein seriöses Lächeln. Aber Jupp S. diagnostizierte mehr ein Grinsen, was ihn ja anfangs empört hatte. Dafür sah Inge P. ein hässliches, hohnlachendes Monster.
„Das war mein Ex! Das ist seine Rache. Na warte! Das kostet!“
„Oder hatten se nen Unfall, junge Frau?“
„Mist! Ich hatte keinen Unfall!“
Inzwischen tat sich etwas auf dem Parkplatz. Einige Autofahrer gesellten sich zu den beiden und bestaunten, diskutierten und stritten über das „Wunder“, wie es einer nannte.
„Kütt dat us Düsseldorf?“
„Idiot!“
„Do bes jeck!“
„Häs de doför Tön?“
„Is dat Mode?“
„Do bes wirklich en ärm Sau!“
„Do künnt mer us der Botz („Hose“, Anm. d. Verf.) springe!“
Als sich die ersten Männer prügeln wollten, beschloss Inge P. die Presse zu informieren.

An diesem einen, sehr früh entdeckten, Autogesicht, mag man sich vorstellen, was auf den Parkplätzen besagter Firmen in den folgenden Stunden los war. Rufe schallten über die Parkplätze, Menschen hasteten von Auto zu Auto.
„He! Guck mal!“
„Da! Noch eins. Ich lach mir ’nen Ast!“
„Scheiße! Meins auch. Und ich hab mir den von Schwiegermutter geliehen.“
Inzwischen war der „Kölner Stadtanzeiger“ nicht mehr alleine auf den Parkplätzen vertreten. Innerhalb Stunden waren auch andere Blätter informiert; von der „Bild“ und der „Welt“ bis hin zur „FAZ“ war alles vertreten.
An Arbeit in den anliegenden Firmen war nicht zu denken. Die Betroffenen stellten sich mit lachenden, oder auch wütenden, empörten Gesichtern, neben ihre lächelnden Autos und ließen sich von den Heerscharen der Presse fotografieren. Besonders gelungen waren die Aufnahmen, auf denen ein Besitzer wütend an das Vorderrad trat und die Fäuste drohend zum Himmel richtete. Es wurde im Herbst als „Foto des Jahres“ gewählt.
Die Kommentare waren im Stil und auch in der Aufmachung sehr unterschiedlich. Einig war man sich nur darin, dass es unerklärbar war.

Cloe, Pia und Sue hatten ihren Spaß. Man muss gerecht sein und anmerken, dass die Gesichter, die Cloe zauberte, wirklich seriös und ordentlich aussahen.
Pia dagegen legte durchweg bewusst ein anzügliches Grinsen – manche sprachen von ‚sündig’ – hinein.
Sues Autos aber hatten, was sich später als absoluter Renner erwies, ausschließlich ein eher jungenhaftes Grinsen.
Die Feen wunderten sich allerdings, nachdem sie eine ganze Woche lang, immer an der gleichen Stelle, ihre Autolachgesichter gezaubert hatten, dass der Verkehr maßlos zunahm. Genauer gesagt, reichte die Autoschlange von Dormagen über Köln-Worringen bis nach Köln-Fühlingen – und das sind etliche Kilometer.
Die Autofahrer warteten geduldig, unterhielten sich und schlossen sogar Wetten ab über den Gesichtstyp, den man bekommen würde. Konnte man endlich durchfahren, winkte man den zahlreichen Zuschauern am Straßenrand freundlich zu.
Hinter dem Ort hielten alle Fahrer – ausnahmslos – an, besichtigten ihr „Carface“, wie das inzwischen im Volksmund hieß. Sie kassierten an Ort und Stelle freudig ihre Wettgewinne oder zahlten zähneknirschend den Einsatz aus.
Schon in den nächsten Tagen wurden Reklameschilder an der ganzen Strecke aufgestellt.
Da warben sie für Autopflegemittel: „Auch für Facecar-Wagen geeignet, wie Fachleute im Labor festgestellt haben!“
Und Autoversicherungen verkündeten: „Bei uns sind die Prämien lächerlich gering. Ihr Auto kann darüber nur lachen!“
Daneben, besonders an der langen Staustelle, brutzelten Bratwürstchen, bot der Ortsbäcker Apfelkuchen „Lachgesicht“ und Berliner „Da kiekste, wa?“ an.
Der Versuch von cleveren Kölner Stadtvätern, das unerklärliche, permanente und beliebte Wunder zu einer städtischen Einrichtung zu erklären und für jedes veränderte Auto Steuern zu verlangen – man hatte schon die Gebühreneinrichtung installiert und den Haushaltsplan verändert –, musste wegen maßlos empörter, protestierender Autofahrer aufgegeben werden.
Am Folgesonntag gab es vor dem Dom tatsächlich eine Protestversammlung mit Rednern aus allen politischen Lagern; manche Extreme drohten dabei dem Stadtrat sogar mit Bürgerkrieg. Und Kardinal Meisner segnete die Facecar-Wagen samt der protestierenden Menge.
„Ein göttlicher Einfall! Wenn überhaupt, dann gehört eine Spende in den Klingelbeutel“, rief der Gottesmann aus. Aber da war keine Begeisterung erkennbar.

Nun war ja wohl klar, dass diese Carface-Geschichte nicht lokal bleiben konnte. In Presse, Rundfunk und Fernsehen ausführlich beschrieben, verbreitete sich die Geschichte bis ins letzte Kuhdorf im Allgäu. Es entstand eine regelrechte „Carfaceologie“, wie fachkundige Psychologen die Hysterie nannten.
Daraus musste sich einfach ein Kult entwickeln, der dann auf allen Partys langatmig besprochen wurde. Blitzschnell bildeten sich Fanclubs, die ihre Mitglieder streng nach Cloe- Pia- und Sue-Gesichtern sortierten, obschon sie ja die Namen der Damen nicht kannten.
Tauschbörsen etablierten sich. Bei ebay überschlugen sich Angebote und Nachfragen. Zeitweise brach der Server des Unternehmens unter der unüblichen Last zusammen.
Dann wurden Patentanträge gestellt von Autofirmen, die ihre fabrikneuen Autos gleich mit täuschend echt aussehenden Gesichtern auslieferten. Natürlich gab es die nur mit einem enormen Aufpreis. „Nicht nur Sie lachen bei diesem Preis! Auch Ihr Auto hat gut lachen!“, lautete trotzdem ein typischer Werbespruch.
Aber diese „Raubkopien“, wie Fans verächtlich sagten, waren bei wirklichen Facecar-Besitzern verpönt.

Was zwar niemand glauben wollte, geschah dann doch: Das Ende des Kultes kam ziemlich plötzlich. Auslöser waren unsere drei Damen, die den Stress satt hatten.
An einem Tag – also nicht unbedingt einem irdischen Tag gleichzusetzen – hatte Cloe die Nase voll.
„Mir reicht´s! Ich will nicht mehr! Mir tun schon beide Arme vom Stabwedeln weh.“
„So ist es“, bestätigte Pia. „Es werden immer mehr. Die nutzen uns aus. Ich hab´ auch keine Lust mehr.“
„Habt ihr gesehen, dass die selber welche machen?”, seufzte Sue.
„Aber nicht so gut wie unsere“, riefen Cloe und Pia empört.
„Wir hören auf! Jawohl!“ Der Beschluss stand – unumstößlich.

Natürlich gab es erst ungläubiges Erstaunen, dann Wut und Gewaltausbrüche auf der B 9. Die Kölner Stadtväter wurden zuerst als Schuldige ausgemacht.
„Bloß weil die nicht kassieren durften, haben die das abgeschaltet.“
„Typisch Sozis!“
Die Ratsherren aber wiesen alle Schuld von sich. „Immerhin ist das eine Bundesstraße. Da kann nur die Bundesregierung dran gedreht haben“, wurde der Oberbürgermeister zitiert.
„Wenn da Steuereinnahmen dran hingen, wär das nie passiert“, maulten Autofahrer, nachdem sie so etwa zehn Mal vergeblich über die sogenannte „Carface-Meile“ gefahren waren.
Jedenfalls verebbte irgendwann die Wut, weil man keinen Schuldigen finden konnte. Die zahlreichen Werbetafeln für Versicherungen, Autopflegemittel und andere Produkte wurden abgebaut, die Gebäck- und Würstchenstände verschwanden – es wurde still wie vor der Carface-Zeit.

Es dauerte noch etwa drei Monate, dann lösten sich die ersten Fanclubs auf, und danach ging es steil bergab. Autos mit Lachgesichtern wurden nicht mehr produziert. „Kein Markt!“, hieß es.
Ford brachte zwar noch ein Sondermodell heraus, dessen Hupe ein lächerliches „Ha-ha-ha“ von sich gab, aber das half nicht. Dafür durfte man in Deutschland einfach zu selten hupen.
Schlimmer wurde es für die Gebrauchten. Niemand wollte gebrauchte Facecars haben; die Preise rutschten in den Keller. Bei ebay konnte man für sage und schreibe einen Euro ein Careface-Schnäppchen machen

Und die drei Damen Cloe, Pia und Sue? Nun ja, genau weiß man´s natürlich nicht. Sie treiben sich halt rum und machen ihren üblichen Schabernack. Über große Aktionen, wie die gerade geschilderte, ist nichts bekannt; aber das will nichts heißen.

Noch Jahre nach dieser Kultzeit – bis zu seiner Pensionierung – begrüßte Jupp S. an jedem Morgen die nette junge Frau, mit der ihn ein Zeitungsinterview verband, und die an jedem Morgen ihren Facecar-Prototyp bei ihm abstellte, mit einem „Mojn, Fräulein! Allet klar? Wat macht dat Dings da, dat Auto? Lachtet noch?“
„Das wird noch lange lachen“, antwortete Inge P., die inzwischen eine neue Liebe und das Gesicht ihres Autos ins Herz geschlossen hatte, stets freundlich.
Und was sprach der Kölner, wenn in der Kneipe das Gespräch auf „dat Ding“ kam? Der zuckte die Achseln und sprach ergeben: „Et kütt wie et kütt.“