Notar Heiner Eisenmann musterte die Männer, die vor seinem
Schreibtisch saßen und ihre Augen nicht von ihm ließen. „Sehen aus wie
Lebemänner, die drei“, dachte er. „Alfons Grundmann hatte Recht, als er
sagte, ‚Meine Stiefsöhne sind Geldverschwender und Angeber.’ – Ja, ja.
Er hat sie richtig eingeschätzt.“
Konrad, Walter und Herbert Grundmann, alle in den Vierzigern, trugen
Anzüge und Hemden vom Edelschneider Brioni. In den Gesichtern, konnte
er mühelos ihre zahlreichen Laster ablesen.
„Nun denn, meine Herren“, sagte Notar Eisenmann, „dann wollen wir
beginnen. Ich verlese jetzt den letzten Willen des verstorbenen Alfons
Grundmann, Ihres Stiefvaters.“
Die Männer verfolgten jede seiner Bewegungen, gleichgültig, ob er den
Füllfederhalter aus der Innentasche zog, ein leeres Blatt Papier aus
einem Seitenfach entnahm oder – wie jetzt in diesem Augenblick – die
Schublade öffnete und eine Ledermappe auf die Mahagoniplatte legte.
*
Er begann die Testamentseröffnung, wie schon viele Male zuvor. Betont
umständlich setzte er seine Brille auf, räusperte sich und öffnete die
Ledermappe.
Er begann mit der Feststellung, dass dieser Nachlass nach geltendem
Recht verfasst und somit gültig sei. Er sei in seiner Gegenwart
verfasst worden und von zwei Zeugen unterschrieben.
Die Oberkörper der Brüder strafften sich, als er mit ruhiger Stimme
vorlas, was ihm Alfons Grundmann vor sechs Wochen diktiert hatte – nach
eingehender Beratung durch ihn, den Freund und Notar der Familie
Grundmann.
Kleinere Beträge und Renten auf Lebenszeit gingen an die langjährige
Haushälterin, den Verwalter, seinen Sekretär und an den Chauffeur,
sowie an die Krankenschwester, die ihn seit einigen Jahren täglich
wegen seiner schmerzhaften Arthritis betreut hatte. „Damit möchte ich
diesen Personen für ihre langjährige Treue und Verlässlichkeit danken.“
Er hob den Kopf und betrachtete die Gesichter der Brüder, die ihn
teilnahmslos anblickten. Das alles langweilte sie offensichtlich; es
war wie das Vorspiel zum Hauptakt.
„Weiter! Machen Sie schon“, grunzte Walter Grundmann.
Notar Eisenmann warf ihm einen scharfen Blick zu, räusperte sich,
machte eine lange Pause, verschob die Brille ein wenig und las weiter:
„Das gesamte restliche Vermögen, bestehend aus den im Anhang
aufgeführten Immobilien, Aktien, Barvermögen, Autos und
Kunstgegenständen vermache ich der ‚Stiftung Brust-Krebs’ hier am Ort.
Meine …“
„Halt! Wie bitte?“, rief Konrad.
Die Brüder sprangen auf, schrieen durcheinander, schlugen auf den
Schreibtisch, machten Anstalten, um den Tisch herum zu gehen. Walter
Grundmann lehnte sich weit über den Schreibtisch, stierte den Notar an,
versuchte das Testament zu greifen.
„Ich bitte Sie, meine Herren. Reißen Sie sich doch zusammen. Herr
Walter Grundmann, setzen Sie sich bitte“, rief der Notar und hob
abwehrend die Hände. „So geht das nicht, meine Herren.“
„Das darf doch nicht wahr sein! Habt ihr das gehört? Das fechten wir an“, rief Herbert Grundmann seinen Brüdern zu.
„Herr Grundmann!“, sagte der Notar mit ruhiger Stimme. „Ich bitte Sie; benehmen Sie sich doch wie ein zivilisierter Mensch.“
Die Brüder setzten sich widerstrebend und starrten den Notar an. Ihre Backenmuskeln mahlten.
„Ich fahre also fort: Meine Stiefsöhne, Herbert, Konrad und Walter
erhalten das Bauernhaus ‚Eifelruh’ und die zugehörigen Ländereien –
siehe Anlage. Vorraussetzung ist allerdings, dass sie diesen Hof selber
bewirtschaften. Lehnen sie eine Eigenbewirtschaftung ab, erhält die
oben genannte Stiftung auch diesen Hof und die zugehörigen Ländereien.“
„Scheiße!“, schrie Herbert Grundmann und sprang schon wieder auf. „Ist
das überhaupt das Testament unseres Vaters, was Sie da vorlesen? Wer
kontrolliert Sie eigentlich, Herr Eisenmann?“
„Herr Grundmann, meine Geduld ist bald zu Ende. Ich bin ein angesehener
Notar – und das seit dreißig Jahren. Noch nie habe ich eine so …“
„Das ist mir scheißegal! Ich will wissen, was hier läuft.“
„Gleich, Herr Grundmann. Wir sind noch nicht ganz fertig.“ Er verlas
den formalen Abschluss des Testamentes, das Datum der Erstellung und
die Namen der Zeugen, setzte die Brille ab und blickte die Brüder an.
Bleich sahen sie jetzt aus, die Anspannung war weg, hatte Ratlosigkeit,
ja sogar Entsetzen Platz gemacht.
„Das Datum! Habt ihr’s gehört?“, flüsterte Walter Grundmann.
„Ja, du Idiot!“, knurrte Herbert Grundmann. „Halt den Mund!“
„Ich bitte noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit, meine Herren.
Bestandteil des Vermächtnisses Ihres Stiefvaters ist dieser Brief, den
ich ihnen gleich vorlese. Ich kenne den Inhalt nicht, aber vielleicht
klärt das ja einige Ihrer Fragen.“ Er hielt einen braunen Umschlag
hoch, der mit einem Siegel verschlossen war.
Die Brüder blickten sich nicht um, als sich die Bürotür öffnete und
zwei Männer eintraten. Sie setzten sich auf die Stühle neben der Tür
und nickten dem Notar zu.
Die Gesichter der beiden Männer wirkten teilnahmslos und gelangweilt.
Der Ältere hielt eine Mappe in der Hand, der andere ein Notizbuch.
Notar Eisenmann neigte leicht den Kopf, als er weiter sprach.
„Ich fahre fort. Auf dem Umschlag steht: ‚Nur öffnen, wenn ich nicht’ –
das Wort ‚nicht’ ist mehrfach unterstrichen – ‚eines natürlichen Todes
gestorben bin.’ Darunter steht: ‚An meine Stiefsöhne Herbert, Konrad
und Walter’. Und weiter: ‚Bitte im Zuge der Testamentseröffnung
vorlesen und anschließend der örtlichen Kriminalpolizei übergeben’. –
So steht es hier“, sagte er mit entschuldigendem Unterton, hob den Kopf
und blickte zur Bürotür. „Nach meinem Kenntnisstand ist Herr Alfons
Grundmann keines natürlichen Todes gestorben. Deshalb …“
„Was soll das? Er ist verunglückt, ertrunken. Was soll das Gerede von
‚nicht natürlich gestorben’? Ertrinken ist so natürlich wie einen
Herzinfarkt bekommen“, fauchte Konrad.
„Das entspricht nicht der geltenden Rechtsprechung. Nicht wahr?“,
fragte der Notar, zwischen Konrad und Walter durchblickend, die Herren
an der Tür.
„Richtig!“, sagte der jüngere Mann und lächelte.
Nur Konrad drehte sich kurz um, blickte die Männer forschend an. Notar
Eisenmann zog ein einzelnes Blatt Papier aus dem Umschlag und strich es
auf dem Schreibtisch glatt. Die Brüder reckten ihre Hälse, legten die
Köpfe schräg und versuchten etwas zu erkennen.
„Ist von Hand geschrieben; ist seine Schrift. Die erkenn ich auf Anhieb“, flüsterte Herbert heiser den Brüdern zu.
Der Notar lächelte, hob das Blatt, räusperte sich, sah kurz über den
Brillenrand und las: „An meine Stiefsöhne. Meine letzten Worte an euch
kommen aus dem Jenseits. Ihr habt mir nie zugehört, als ich noch lebte,
aber jetzt, da ich tot bin, werdet ihr sicher sehr genau hinhören.
Ihr habt mich zu Lebzeiten belogen und betrogen, so lange ich denken kann. Euer ganzes Leben bestand aus Lug und Betrug.
Immer habt ihr gehofft, dass ich alter Mann früher sterbe als eure
junge Mutter. Mit ihr hättet ihr leichtes Spiel gehabt. Das ist nun
durch den frühen Krebstod meiner geliebten Frau ganz anders gekommen.
Als ich euch mitteilte, dass ich mein Testament ändern würde, um das
gesamte Vermögen einer Krebs-Stiftung zukommen zu lassen, da habt ihr
wohl den Verstand verloren.
Erinnerst du dich, Konrad, dass du mich angeschrieen hast: ‚Das wirst
du nicht wagen. Vorher bringen wir dich um? Und deine Brüder haben
ebenso heftige Drohungen ausgestoßen. Ihr hattet da schon beschlossen,
mich zu töten, nicht wahr?
Ja, und ihr habt es also getan! Nicht einer von euch, oh nein. Dazu
traut ihr euch untereinander zu wenig. Alle drei habt ihr es geplant
und durchgeführt. Alles war euch egal, wichtig war nur, dass das
Testament nicht geändert wurde.
Nur eines habt ihr nicht wissen können. Als ich es euch sagte, wohl
auch, um mich an eurer Empörung zu ergötzen, waren wir schon mitten im
Spiel – nicht am Anfang. Ich ahnte eure Absicht und das Testament war
längst geändert, wie ihr heute erkennen musstet.
Ich habe mit meinem Leben gespielt? Oh ja; das ist richtig. Ich war mir
dessen bewusst. Ich kenne euch ja schließlich, nicht wahr? Aber ich war
alt, hatte alles erreicht, was ich erreichen wollte, alles erlebt, was
ich erleben wollte und mein größtes Erlebnis, eure Mutter, war tot.
Dazu kamen meine Schmerzen, die jeden Tag zu einem Albtraum machten.
Was wollte ich also noch?
Was ihr auch getan habt, um mich zu ermorden, ich glaube fest daran,
dass ihr dabei Fehler gemacht habt. Ihr seid zu selbstbewusst, zu
selbstverliebt, um euer Tun kritisch zu überprüfen – wie in eurem
ganzen Leben.
Ich verabschiede mich von euch mit dem Wunsch, dass ihr genau das erhaltet, was euch zusteht.
Alfons Grundmann“.
*
Totenstill war es geworden. Nur sehr leise war der Lärm von der Straße
zu hören. Sie bewegten sich nicht, schienen den Atem anzuhalten. Ihre
Gesichter waren erschlafft, die Augen blickten ins Leere.
„Irre! Der war wirklich geisteskrank“, flüsterte Konrad schließlich.
Das wirkte wie ein Signal, ließ die Brüder aufwachen, sich aufrichten,
den Gesichtsausdruck wechseln. Empörung und Verachtung machten sich
jetzt breit.
„Wenn Sie, Herr Eisenmann, diesen irren Quatsch verbreiten sollten –
oder einer Ihrer Angestellten“, sagte Konrad, drehte sich um und sah
die Männern neben der Tür drohend an, „dann haben Sie einen Prozess am
Hals, der sich gewaschen hat. Dieser Brief gibt genug Anlass, den
Geisteszustand unseres Stiefvaters zum Zeitpunkt der Testamentsänderung
zu bezweifeln. Wir werden sofort Rechts…“
„Keine Aufregung, meine Herren.“
Ihre Köpfe flogen herum, suchten die Gesichter der beiden Männer, die jetzt hinter ihnen standen.
„Sie sollten das sehr ernst nehmen, was Ihr Stiefvater geschrieben hat. So ernst, wie wir“, sagte der Ältere.
„Wer sind Sie? – Herr Eisenmann, pfeifen Sie gefälligst Ihre Knechte zurück, ja? Unverschämtheit. Werfen Sie die Kerle raus.“
„Das wird kaum gehen, meine Herren“, sagte Notar Eisenmann und lächelte
zynisch. „Das sind nicht meine Knechte. Ich bitte um Entschuldigung,
aber ich vergaß, Ihnen die beiden Herren vorzustellen. Der Herr
rechts“, sagte er und zeigte auf den älteren Herrn mit der Mappe, „ist
Staatsanwalt Körner und der andere Herr ist Hauptkommissar Sprockhövel.
Die beiden haben eine richterliche Verfügung, die ihnen die Teilnahme
an der Testamentsvollstreckung erlaubt.“
„Wie? Was soll das denn heißen?“, fragte Walter.
„Mann! Bin ich hier im Zirkus? Eisenmann, Sie sind unser Anwalt und
Notar gewesen. Schicken Sie uns die Abschlussrechnung“, sagte Konrad.
„Herr Eisenmann kann nichts dafür. Ihr Stiefvater war ein kluger Mann.
Was schrieb er noch? Sie wären ‚zu selbstbewusst und selbstverliebt’,
sie würden Fehler machen. Da hatte er wohl Recht“, sagte Staatsanwalt
Körner.
„Sie haben tatsächlich Fehler gemacht, die ein kritischer Mann nicht gemacht hätte“, ergänzte Hauptkommissar Sprockhövel.
„Sie spinnen, aber heftig. Wovon reden Sie, he?“, schrie Herbert. „Wir trauern um unseren Vater und Sie wollen uns …“
„Dass Sie trauern, wagen wir zu bezweifeln. Wie sollten Sie auch? Was
uns nur noch gefehlt hat, war das Motiv. Wir konnten es zuerst nicht
erkennen. Jetzt aber, das dürfte ihnen klar sein, haben wir ein
faustdickes Motiv: Geldgier. Immerhin ein klassischer Grund für Mord.“
„Mord? Sie spinnen doch! Ich glaube, gleich zeigt uns der Notar das
Schild ‚Vorsicht Kamera’. Wen sollen wir umgebracht haben? Unseren
Vater? Der ist im Rursee ertrunken. Was wollen Sie hier konstruieren?
Es hat Zeugen für den Unfalltod gegeben, drei unabhängige Zeugen!“,
rief Herbert, holte tief Luft und stierte den Staatsanwalt drohend an.
Er hatte seine Sicherheit wiedergewonnen; seine Gestalt hatte sich
gestrafft.
Hauptkommissar Sprockhövel öffnete sein Notizbuch und blätterte mit
angefeuchtetem Zeigefinger vor und zurück. „Ja, ja, das dachte man. Bis
die Krankenschwester Ihres Vaters aus dem Urlaub zurückkam. Da war Ihr
Vater allerdings schon beerdigt. Sie hat uns auf etwas aufmerksam
gemacht und da erst sind wir aktiv geworden – und das war ja wohl auch
nötig.“
„Das war das Geschwätz einer Wichtigtuerin. Darauf verlassen Sie sich?
Die hofft doch nur auf Geld, Belohnung oder was weiß ich“, schnaubte
Walter.
„Nun, da können wir nicht zustimmen, was, Herr Körner? Die Faktenlage
ist anders. Sie sind an dem bewussten Tag schwimmen gegangen – im
Rursee. Alle drei, mit Ihrem Stiefvater. Eigentümlich, nicht wahr,
meine Herren?“
„Was ist daran eigentümlich?“, fragte Konrad. „Wir sind dort oft baden
gegangen, schon seit unserer Kindheit. Vater, unser richtiger Vater,
hatte da ein Jagdhaus, das wir heute als Ferienhaus vermieten.“
„Stimmt!“,
sagte Hauptkommissar Sprockhövel. „Nur, Alfons Grundmann, der ging
bestimmt nicht ins eisig kalte Wasser des Eifelsees. Der nicht. Der
hatte schwere Arthritis, sagt seine Krankenschwester – und die weiß,
dass er sich vor kaltem Wasser fürchtete, wie der Teufel vor dem
Weihwasser.“
„Quatsch“, sagte Walter. „Wir haben ihn überredet. Irgendwer hat
gesagt, dass kaltes Wasser gut sei gegen die Schmerzen bei Arthritis.
Das wollte er probieren. Deshalb waren wir übers Wochenende gemeinsam
im Jagdhaus.“
„Und das ausgerechnet in der Woche, in der seine Krankenschwester im
Urlaub war? Und dann ist er so weit raus geschwommen, dass er im kalten
Wasser seine Kräfte verlor, vielleicht einen Krampf bekam, und ertrank?“
„Richtig!“, rief Herbert Grundmann. „Sehr richtig! Sie sagen es! Wir
haben drei völlig unverdächtige Männer benannt, die bezeugen, dass es
so war, dass wir ihn zu retten versuchten und an Land brachten.“
„An Land brachten, ja. Den toten Alfons Grundmann. Den lebenden Mann haben die Zeugen nie gesehen.“
„Was soll das denn schon wieder heißen?“, sagte Konrad.
„Das soll heißen, dass Alfons Grundmann bereits tot war, als er in den
Rursee ging – nein, getragen wurde. Sie haben versucht, einen toten
Mann zu retten.“
„Kommt“, sagte Herbert Grundmann zu seinen Brüdern. „Lasst die ruhig
quatschen. Ich höre mir das nicht länger an. So einen Schwachsinn habe
ich noch nie gehört.“
Sie versuchten rechts und links an den Beamten vorbei zu gehen, aber
deren ausgebreitete Arme und ein scharfes „Halt!“ von Hauptkommissar
Sprockhövel, ließ sie stocken.
„Was ist?“, fauchte Walter. „Ist noch was?“
„Ja, eine Kleinigkeit nur. Genau die, die Sie übersehen, nicht kritisch genug bedacht haben.“
„Es reicht! Was wir damals zu Protokoll gegeben haben, das stimmt.
Alles andere ist dummes Geschwätz. Nichts anderes können Sie beweisen,
Herr Körner“, sagte Walter.
„Da wär ich mal nicht so sicher, Herr Grundmann. Wissen Sie, meine
Herren, dass Sie nicht einmal den sogenannten Pflichtteil bekommen
werden? Das ist so bei Kapitalverbrechen, fragen Sie Herrn Eisenmann.
Sie kennen ja den Spruch, dass sich Verbrechen nicht lohnt.“
„Sie bluffen! Was wollen Sie denn beweisen? Er ist ertrunken. Richtig?
Wir haben gemeinsam versucht, ihn da raus zu holen. Richtig? Aber er
war leider schon tot. Richtig? Und das mit dem Testament, das regeln
wir auch noch.“
„Es ist nur so, dass wir aufgrund der Aussage der Krankenschwester eine
Obduktion veranlasst haben. Das Ergebnis – so was dauert schrecklich
lange; wir ärgern uns oft furchtbar darüber – haben wir erst vor gut
drei Stunden bekommen.“
„Was soll das bringen? Er ist und bleibt ertrunken. Basta!“, rief Konrad.
„Wohl wahr. Ja, so ist es“, seufzte Hauptkommissar Sprockhövel und
schaute die Brüder betrübt an. „Aber hier“, sagte er und zeigte in sein
Büchlein. „ Hier! Das müssten Sie einmal lesen. Abenteuerlich! Da hab
ich immer gedacht, unser Rurseewasser wäre von der allgemeinen
Gewässerverschmutzung verschont geblieben. Scheint aber nicht so zu
sein. Man sollte vor dem Baden im See warnen, meinen Sie nicht auch,
Herr Körner?“
„Ja“, seufzte dieser. „Betrüblich ist das. – Nein, wäre es, wenn die
Laborwerte, die der Herr Hauptkommissar da in seinem Buch hat, von
einer Probe aus dem Rursee stammen würden. Tun sie aber zum Glück
nicht, meine Herren.“
Konrad, Walter und Herbert Grundmann glotzten verständnislos die
Beamten an. Heiner Eisenmann saß immer noch in seinem schweren Sessel
und lächelte ganz eigentümlich.
„Diese Wasserprobe“, sagte Staatsanwalt Körner, „die hat unser
hochverehrter Pathologe, Dr. Besser, entnommen – aus der Lunge von
Herrn Alfons Grundmann. Und wissen Sie, was er fand? Arnika und
Majoran! Also, zuerst dachte ich ja, der will mich auf den Arm nehmen,
unser alter Doktor. Der macht schon mal seine Scherze mit uns. Aber
nein, Arnika und Majoran, sagt der, sind massig da drin, mit Badewasser
verdünnt.“
Sie wollten jetzt nicht mehr weggehen. Irgendwie hatten sie das Gefühl großer Gefahr. Sie standen, glotzten und warteten ab.
„Arnika und Majoran, darauf schwor der schmerzgeplagte Mann. Soll
schmerzlindernd wirken, wenn man’s hochkonzentriert ins Badewasser tut
– sagt wenigstens die Krankenschwester“, erklärte Staatsanwalt Körner.
„Genau, meine Herren“, bestätigte Hauptkommissar Sprockhövel. „Meine
Frau kennt das auch. Ist ein altes Rezept. Hausmittel. Ja, da kamen
Ihre angeblichen Rettungsversuche wohl etwas spät. Im ehemaligen
Jagdhaus Ihres Vaters, das ja dicht an der Stelle liegt, an der Herr
Grundmann angeblich ertrank, haben Sie den alten Mann unter Wasser
gedrückt, als er mit dem Badezusatz, den seine Krankenschwester ihm
zurecht gemixt hatte, Erleichterung gegen seine Schmerzen suchte. Den
Toten haben sie ins Wasser des Sees geschleppt und ihn dann vergeblich
‚gerettet’!“
„Und damit, meine Herren, kennen Sie – und wir – die komplette
Wahrheit. Das ist Mord, gemeinsam geplant und durchgeführt von Ihnen,
den Stiefsöhnen des Opfers“, sagte Staatsanwalt Körner.
Er klappte seine Mappe auf und zog ein Papier heraus. „Das ist ein
Haftbefehl für die Herren Konrad, Herbert und Walter Grundmann. –
Würden Sie so nett sein, Herr Sprockhövel?“
„Aber ja, gerne“, sagte der und lächelte: „Meine Herren: Sie sind verhaftet.“
Notar Eisenmann stand auf und ging auf die Brüder zu. Er wusste, so
etwas würde sich in seinem Leben nicht wiederholen; das musste er beim
nächsten Stammtisch zum Besten geben.
„An wen, meine Herren, soll ich nun die Abschlussrechnung schicken?“,
fragte er und lächelte sehr freundlich. „Ach, und außerdem: Möchten Sie
eine Kopie der letzten Worte Ihres Stiefvaters haben?“