Dieser Druck im Schädel, es hämmert und rumst. Er wird platzen. Ich weiß es. Fragt sich nur wann. Ich muss singen, das hilft – manchmal. Aber leise, damit Hector mich nicht hört. Hector mag nicht, wenn ich singe. Hector wird dann sauer und wenn er mich so wütend anschaut, ist er nicht mehr mein Freund.
„Du bist ein dämliches Nichts!“, sagt er immer. Oder auch: „Ich klatsch dich an die Wand, wenn du noch einmal solche Scheißtöne von dir gibst.“
Aber Hector meint das nicht so – glaub ich. Weil, eigentlich mag er mich. Sehe ich daran, dass er lächelt, wenn er „Hirnloses Arschloch“, sagt. Oft macht er auch nicht, was er sagt. Gestern hat er zum Beispiel gesagt, er würde mich gerne mitnehmen. Seine Frau möchte einen wie mich kennen lernen. Tut der nie!
Erst hab ich nichts gesagt, weil, ich musste nachdenken. Aber plötzlich fing das wieder mit dem irren Druck an in der Stirn, hinter den Augen – da, wo man nicht hinfassen kann. Verrückt!
„Meine Augen wollen raus. Drück sie rein“, hab ich dem Hector gesagt und der hat genickt; mehr nicht.
Ich hab ihn gefragt: „Wie bin ich denn? Ist was mit mir? Bin ich anders als …“
„Klar, du Blödmann“, hat Hector gesagt. „Ich und der Doktor – und alle da draußen – sind anders als du. Die sind normal, verstehst du?“
„Nein“, hab ich gesagt. „Was ist normal? Und – und was ist das, was ich bin?“
„Irre, du Trottel!“, hat er geschrieen und laut gelacht. „Du bist irre. Irre!“
Also, was wollte ich sagen? Verdammt, mein Kopf. Ach so. Also, der Hector sagt Sachen und dann stimmt´s nicht oder er lacht darüber, als wär’s ein Witz gewesen. Immer so, wie er gerade will.
„Ich erzähl dir mal ’nen Witz“, hat Hector gesagt. „Wenn du so richtig drüber lachen kannst, dann biste normal. Wenn nicht, dann … Na, du weißt schon – irre eben.“
„Was ist ein Witz?“
„Oh, Scheiße! Also, pass auf. Die Polizei fährt ihre Runde auf der Autobahn. Auf einmal sieht sie auf dem Sicherheitsstreifen ein Auto stehen, dessen Fahrer kräftig in das Auspuffrohr bläst. Beide Polizisten steigen aus. Fragt der eine den Mann: ‚Was, bitte, tun sie da?’ Der Mann sagt: ‚Ich hab eine Delle in der Beifahrertür und versuch sie nun durch Druckluft raus zu bekommen!’ Der Polizist sagt zu seinem Kollegen: ‚Ein Irrer. Komm, lass uns fahren.’ Eine ganze Weile später fängt der anderer Polizist an zu lachen und meint: ‚Wirklich ein Irrer! Dieser Idiot bläst und bläst, dabei hat er vergessen, das Seitenfenster zu schließen.’ Na? – Na? Kannst du lachen?“
„Was ist ein Auspuffrohr?“
„Oh nein! Lach gefälligst, du arme Sau. Tu wenigstens so, als wenn du den verstanden hättest. Mach: Ha! Ha! – Ach, vergiss es.“
„Ich weiß nichts von anderen Leuten, warum die so was machen.“
„Das eben ist es, warum die da draußen anders sind. Draußen! Da draußen ist alles anders als du denkst. Du weißt nichts, he? Nee, du bist wie ein Baby, doof und unschuldig. Ach nee, unschuldig eher nicht, sonst hätten sie dich ja nicht weggeschlossen“, hat er gesagt.
„Draußen?“, hab ich gefragt. „Erklär mir draußen, Hector.“
„Draußen? Du bist drinnen und wir anderen sind draußen. Sogar ich bin draußen, auch wenn ich bei dir drinnen bin, in dieser hübschen Einzimmerwohnung.“
„Sind die da – ich meine – sind die Leute draußen anders? Nicht so wie ich?“
„Ja, du hirnloses Wesen. Das sind Menschen! Du, du bist nur ein Körper mit einem Kopf – einem hohlen Kopf. Seit deinem irrsinnigen Bums damals ist da nichts mehr drin. Nur noch dummes Zeug – und Wut. Weißt du eigentlich, warum du manchmal so jähzornig wirst? Muss wohl doch noch ein Rest grauer Masse da drin sein – wenn auch die falsche Sorte.“
Ich wüsste gerne mehr von ihnen, ich meine, von denen da draußen. Hector – er grinst immer, wenn ich ihn frage – Hector, also, der sagt immer, ich würde nichts verpassen. Obschon, wenn es eine Möglichkeit gäbe, nach draußen zu kommen … Ich würde es versuchen.
Hector erzählt viel, aber ob das alles stimmt, das kann ich nicht prüfen. Er widerspricht sich auch manchmal. ‚Du kommst hier nie mehr raus, hat er mal gesagt, gewöhn dich an den Gedanken.’ Dann sagte er wieder, dass ich demnächst mal mit ihm einen Spaziergang machen würde – in seine Welt!
„Deine Welt?“, hab ich gefragt. „Gehört sie dir?“
„Na klar. Meine Welt und deine Welt. Die hier, die gehört nur dir. Du warst ja nur einen Tag da, in meiner Welt. Ich meine, nachdem sie dich zum ersten Mal entlassen hatten. Und dann hast du schon die größte Scheiße der Welt gebaut. Darum biste doch hier.“
„Ich weiß nichts mehr davon. Hab ich was gemacht, was die nicht mochten?“
„Du weißt wirklich nicht, dass du Leute umgebracht hast?“
„Nein. Hab ich …? Wie umgebracht?“
„Du hast keine Ahnung? – Nee, natürlich nicht. Kannst du ja nicht. Hast ja nichts im Kopf. Stimmt´s?“
„Was war mit den Leuten?“
„Was war mit den Leuten! Mann! Erschlagen hast du die Männer. Weil sie nicht wollten, dass du das Mädchen … Ach lass, du bist eben irre.“
Da hör ich besser nicht hin. Der Hector meint das nicht so. Dann hat er mir erzählt, dass die glatte Wand, die er fast jeden Tag sorgfältig putzt, das Fenster zu seiner Welt sei. Man könne von draußen zu mir rein schauen.
„He, die sehen sogar, wenn du auf dem Pott sitzt. Alles. Also, alter Junge, reiß dich zusammen. Aber wahrscheinlich ist dir das egal, was?“
Wär mir nicht egal, wenn’s stimmen täte. Aber so einen Quatsch redet der Hector oft. Warum sollen die mich anschauen?

Verdammt, ich glaube, heute platzt der Schädel noch. Und die Narben im Nacken und hinten am Kopf; Mann, die sind dick wie Seile und brennen tun die heute. Ich glaube … Was wollte ich denken? Nein, ich sing jetzt lieber was. Hector ist nicht da. Der hört nicht, wenn ich singe, weil, ich sing ja ganz leise.
"Ich schaff das schon, ich schaff das schon
Ich schaff das ganz alleine.
Ich komm bestimmt, ich komm bestimmt
auch wieder auf die Beine.
Ich brauch dazu, ich brauch dazu,
bestimmt ’ne Menge Kraft;
doch ich hab schon, ich hab schon
ganz was anderes geschafft."
Das summt immer in meinem Kopf; auch wenn es dunkel ist. ‚Ich schaff das schon …’ Muss wichtig sein für mich. Aber ich sehe auch Bilder. – Ich mag Bilder. Ich möchte immer Bilder sehen. Dunkel ist zwar Mist. Da bin ich ganz ausgelöscht, aber die Bilder sind da.
Und das Lied! Warum ist das in meinem Kopf? Der ist nicht leer, wie Hector immer sagt. Das Lied ist da drin und Bilder auch, aber das sag ich dem Hector lieber nicht. Ich hab dem schon mal gesagt, dass mein Kopf nicht leer ist. Weil, da hab ich einmal geträumt – von einer Frau. Ganz lange. Aber dann nie wieder. Aber wenn die Frau da in meinem Kopf drin ist, hab ich gedacht, dann ist der nicht leer. Und das hab ich dem Hector gesagt.
„Luft ist auch was“ hat er gesagt. „Träume sind Schäume. Schaum ist Luft. So einfach ist das.“
Allerdings hat er damals nicht gegrinst. Und das hat mir zu denken gegeben. Vielleicht darf der Hector mir nicht zustimmen – oder – was noch schlimmer wäre – er hat nicht verstanden, was ich meine.
Eigentlich geht es mir hier gut, wenn das mit dem Kopf nicht wär. Das ist echt schlecht und fast immer ist das so. Das fängt vorne in der Stirn an, drückt mir die Augen raus, zieht nach hinten und da bleibt es dann, bis ich vor Schmerz heule und versinke. Ich versinke in schwarzer Luft. Dann schlag ich alles kaputt, was ich kriege. Egal was. Nicht immer, aber manchmal, wenn’s ganz schlimm ist. Dann ist das eine Erlösung.

Hector erzählt oft komische Sachen; da muss ich einfach weghören. Ich versteh dann nichts und das macht mich wütend. Manchmal denke ich ja auch, das unsereiner nicht gerade auf Rosen gebettet ist. Aber wenn Hector mich so komisch anguckt, so mitleidig, dann werde ich traurig.
Er wüsste es, hat Hector gesagt, dass dies ein ganz beschissenes Leben sei, was ich hätte. Das muss ich aber nicht glauben, will ich auch nicht.
Aber was kann Hector schon von mir verstehen. Der soll sich um seine eigenen Sachen kümmern.
„Kann nicht alles sein, was das Leben so bietet“, hat Hector gesagt. „Selbst für einen wie dich muss es ein anständiges Leben geben.“
Aber dabei hat er gegrinst. Ich hasse ihn, wenn er grinst. Ich muss das aber verbergen, dass ich ihn dann hasse, sonst erzählt er mir nichts mehr.
Er ist inzwischen so zutraulich, dass er mir aus der Hand frisst – bildlich gesprochen natürlich. Er hat erst nur wenig erzählt, ganz wenig. Meistens hat er nur geflucht und mich ausgeschimpft. Aber dann, so langsam, hat er angefangen.
Von seiner Frau, von dem, was sie wieder für einen Mist gemacht hat und dass er der nicht traut. Dann von dem kaputten Auto; da hat er genau erklärt, was wirklich kaputt war und was die Werkstatt alles falsch gemacht hat. Dann von einem Mädchen, das hier arbeitet und auf die er scharf ist.
„Bin ich richtig scharf drauf, auf die Kleine“, hat er gesagt. Und als ich gefragt hab, was er meint, hat er „bumsen“ gesagt.
So ist Hector. Ganz genau hat er das erzählt, wie sie aussieht, wie ihre Haare sind, ihre Brust und wie die immer wippt beim Gehen, und dabei gelächelt – richtig schön gelächelt hat Hector. Und seine großen Zähne haben weiß aus dem Bart geschaut. Ja, der kann erzählen. Und so geht das jeden Tag.
Hector weiß nicht, dass ich alles was er mir erzählt – aber wirklich jedes Wort – in den Kopf stecke. Platz ist ja genug da drin. Der ist schon lange nicht mehr leer. Wenn das der Hector wüsste …
Hector kann aber auch hinterhältig lächeln. Heute am frühen Morgen kam er rein und brachte mir einen Stapel Bilder.
„Nein, nichts zum Essen. Bilder! Weißt du, was Bilder sind, he? Natürlich nicht. Müsstest ja welche im Kopf haben dafür. Hast du aber nicht“, sagte er und ich hab ihm nicht gesagt, dass ich wohl welche habe.
„Die Bilder schenk ich dir“, hat er gesagt, „damit du weißt, was dir so alles entgeht.“
Es wären hübsche Bilder dabei. Lauter schöne, geile Mädchen, sagte er, und dann grinste Hector wieder so scheußlich.
Ich hab diese Bilder weggelegt, als würden sie mich nicht interessieren. Tun sie zwar, aber ich gebe mir doch keine Blöße, solange der Hector hier bei mir ist.
Hector reizt mich oft bis zur Weißglut, da möchte ich ihn glatt erwürgen. Aber inzwischen kann ich mich zusammenreißen – ich hab ja ein Ziel.
Ja, ich hab ein Ziel. Ich will so viel in meinen Kopf packen, bis ich denke, es wär genug drin. Dann mach ich, was ich will. Dann kann der Hector mich ruhig fragen, ob ich mit zu seiner Frau will.
„Nein!“, sag ich dann. „Ich will …“
Ich weiß noch nicht, was ich will, aber wenn genug im Kopf ist, weiß ich das auch.
Darum muss Hector mir viel erzählen. Besser wär noch, ich könnte mal mit anderen Leuten sprechen oder von denen was lernen. Aber da lassen sie mich nicht. Nicht mehr seit damals, als das mit Hector passiert ist.

Damals, als ich ihn zum ersten Mal sah, da hatte ich Angst vor ihm; er war doch der erste Mensch, den ich danach gesehen habe. Wirklich der erste! Nach all dem …
„Erst warst du ein halbes Jahr im Koma, dann ein halbes Jahr so lala, dann haben sie dich entlassen und am selben Tag hast du sie umgelegt, weil sie dir im Weg waren oder warum auch immer. Dann biste hier bei uns angekommen, ohne Bewusstsein und ohne Gehirn – das hatten die inzwischen begriffen – und jetzt bist du bei mir“, hat der Hector aufgezählt.
Dabei war das nur, weil ich die irren Schmerzen im Kopf weg kriegen musste. Was da war, sagt der Hector mir nicht. Hab ihn schon zehn Mal danach gefragt.
„Soll ich dir einen Spiegel bringen?“, hat er gefragt, als ich ihn starr angeglotzt habe. „Willste mal deine verunstaltete Visage sehen?“
„Warum … Wer bist du?“, hab ich gestottert, denn sein bärtiger Kopf hing genau vor meinen Augen und mehr konnte ich nicht sehen.
„Ein Mensch, so einer wie du – wenigsten ungefähr – äußerlich. Ansonsten eher wohl nicht.“
„Weg! Weg!“, hab ich geschrieen, weil mir seine Zähne so riesig erschienen; die zeigt er immer wenn er grinst – und er grinst ja ziemlich häufig.
„Warst ein halbes Jahr im Jenseits oder wenigstens im Jenseitstunnel. Jetzt hat dich die gute alte Erde zurück. Bloß ohne viel im Kopf, sagen die Ärzte. Ich bin Hector, dein Pfleger. Du kannst dich auf mich verlassen; ich erklär dir die Welt. Einverstanden?“
Aber ich wusste nicht, was der meinte und was überhaupt los war. Da hab ich mich verkrochen, hab die Augen geschlossen und war froh, als er wieder weg war, dieser bärtige Hector.
Einige Tage später hätte ich ihn fast umgebracht, aber auch nur aus Angst. Ich dachte, er würde mich erstechen, als er mit der Schere auf mich losging. Konnte ich denn ahnen, dass der nur meine langen Haare weg machen wollte?
„Verdammter Idiot!“, hat er geschrieen, als mich zwei Wärter ans Bett fesselten.
Meine langen Haare habe er schneiden wollen, hat er später gesagt, als er wieder atmen konnte, nur die Spitzen habe er abschneiden wollen, weil ich sonst nicht gut sehen könne.

Hector kenne ich am besten von allen. Ist ja kein Wunder, der kommt ständig, meldet sich nicht an, wird nicht angemeldet und tut schon so, als gehöre er zu mir. Tut er aber nicht! Da kann der sich anpassen, wie er will. So weit lasse ich’s dann doch nicht kommen. Ich sag’s ihm nicht; ich glaube, das brächte ihn um. Jedenfalls kann ich ihn so in aller Ruhe studieren und von ihm lernen.
Mit den beiden anderen, die da zu mir kommen, steht es nicht so gut. Unterhalten kann ich mich nicht mit denen. Die fragen nicht mal was, sprechen nur miteinander. Die sind richtig unfreundlich, lassen sich auf kein vernünftiges Gespräch ein.
Hector kündigt die auch immer an, wenn die kommen wollen. Dann weiß ich Bescheid und kann mich vorbereiten. Vorbereiten muss ich mich für die schon, muss zusehen, dass die den richtigen Eindruck von mir haben.
„Der Zirkus rückt mal wieder an. Die wollen deinen leeren Kopf sehen. Was für ein Zirkus um das bisschen Luft“, sagt Hector.
Den leeren Kopf muss ich denen beweisen. Am Anfang, als da wirklich noch nichts war – außer dem Lied und ein paar Bilder – da war das einfach. Aber jetzt, wo ich schon wieder alles drin habe, was man haben muss – fast alles –, da muss ich mich schwer anstrengen.
„Müssen die mich immer begucken? Ich bin doch wie die. Die müssen sich doch nur selber ansehen.“
„Na klar“, hat der Hector gesagt, „die kommen nur zu dir, weil du so hirnlos bist. Die sind nämlich ziemlich verwöhnte Arschlöcher. Die kommen nur, weil du so ein toller Fall bist. Die brauchen Leute wie dich. Da zeigen sie dann bei ihren Vorträgen Bilder von dir und von deinem Restgehirn. Dann erklären die den anderen Psycho-Onkels, was sie für Fortschritte mit dir machen. Dafür bekommen die Geld, viel Geld.“
Er könne sie auch nicht leiden, aber so sei das eben bei ihnen. Ich könne schon ganz schön froh sein, dass ich die nicht täglich sehen müsse, so wie er.
Der eine, der mit dem weißen Haar, der geht ja noch. Er spricht nicht viel und wenn, dann in einer Sprache, von der ich nichts verstehe.
„Posttraumatic stress disorder“ (PTSD) eine reduzierte Funktion der HHN-Achse“, sagte der mit den weißen Haaren.
„Sie meinen, nach Yehuda?“, fragte der komische, der andere.
„Richtig, Kollege. Somit kommt sowohl die PTSD als auch das Schädel-Hirn-Trauma als Ursache der gestörten HHN-Achsenfunktion infrage. Natürlich lässt sich eine begleitende PTSD auch generell als mögliche Ursache eines Hypokortisolismus nach Schädel-Hirn-Trauma diskutieren.“
Hypo – Dings sagte der wirklich. Es war zum Lachen. Hab ich aber nicht. Ich bin ja ganz schön wichtig und da muss man mitspielen.
„Im Übrigen“, sagte dann der Stille, „lässt die alleinige Bestimmung der 17-Hydroxycorticosteroide nach Metopirongabe keine Differenzierung zwischen hypothalamischer und hyophysärer Schädigung zu. Beides ist nach Schädel-Hirn-Trauma denkbar.

Wir sollten aber in diesem Fall auf die hohe und bisher häufig unterschätzte Prävalenz der posttraumatischen Hypophyseninsuffizienz hinzuweisen.“
Und so ging das weiter. Ich hab alles in den Kopf gesteckt. Den Hector hab ich aber nachher gefragt, ob das die normalen Leute wären. Die hätten einen Scheiß geredet, den ein richtiger Mensch – also kein normaler – nie und nimmer verstehen könnte.
Täten die immer, sagt Hector. Einmal um anzugeben, und außerdem, um sich Sachen sagen zu können, die ich nicht verstehen soll. Hector weiß gut Bescheid. Muss er ja, wo er täglich mit denen rummachen muss.
Allerdings sieht der Weißhaarige komisch aus; schmal, so schmal, dass der hinter Hector stehen kann und man sieht ihn nicht mehr. Hector ist fast so groß und breit wie ich. Aber der? Dünn wie sonst was. Und dazu hat der einen schwarzen Anzug an, der ihn traurig aussehen lässt. Ist der bestimmt auch.
„Das ist der Chef“, hat Hector gesagt. „Der hat das Sagen. Der versteht zwar nicht viel, aber das Sagen hat er trotzdem.“
Der andere, viel jüngere, ist schlimm. Hector nennt ihn den Psycho-Knacker. Der riecht – nein, er stinkt! Und zwar so stark, dass ich ihn noch Stunden später in der Nase habe, diesen komischen Geruch.
„Herrenduft“, sagte Hector, als ich mich beschwert hab. „Hast du natürlich keine Ahnung von, aber die Weiber, die stehen da drauf – angeblich.“
Dieser Psycho-Knacker also, der ist so klein, dass er immer auf einen Hocker steigen muss, wenn er mir ins Gesicht und in die Augen sehen will. Außerdem schlabbert der weiße Kittel um den rum, als wenn er nicht zum ihm gehören täte.
Schlimm ist aber, dass der ständig an mir rumfummelt; der will alle Gelenke befühlen; sogar hinten bei mir drin hat er mit so einem Ding reingeguckt. Was will der da hinten? Glaubt der, mein Gehirn wär da?
Jedenfalls ist das ein Widerling. Er grinst auch wie Hector, aber tausend Mal fieser als der. Ich möchte meinen, der kommt sich sehr wichtig vor. Der hat noch nicht begriffen, dass mit mir schon längst wieder alles in Ordnung ist – sozusagen. Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Manchmal möchte ich dem glatt die Kehle zudrücken, dass der blau wird in seinem spitzen Gesicht, so feste und so lange, dass er nicht mehr aufsteht.
„Tu das nicht!“, hat Hector gesagt – er hatte wohl meinen Blick gesehen. „Du willst doch nicht ständig dieses Beruhigungszeugs schlucken – oder?“, hat er gesagt, als ich vor Wut gezittert und den Kopf vor die glatte Scheibe gerammt habe.
War ja auch zu dämlich, wie der mit mir umgegangen ist. Ich mag´s gar nicht mehr denken, was der mit mir gemacht hat – als wenn ich blöde wäre. An meinem Pipimann hat der rumgespielt und dabei ständig auf die Uhr gesehen und was aufgeschrieben. Da ist mir doch einfach der Kragen geplatzt und ich hab ihn so angebrüllt und weggestoßen, dass er raus gerannt ist.
Hector kam dann später und meinte, ich solle mich nicht so aufregen. Der wär eben so – und der würde mich nur studieren.
„So einen wie dich, der sein ganzes Leben vergessen hat, sozusagen, der quasi jungfräulich ist in seinem Kopf, den hat der noch nicht gehabt. Der will wissen, ob der da noch funktioniert. So richtig funktioniert; Kinder machen könnte“, hat er gesagt und auf meinen Pipimann gezeigt. „Glaub mir, ich kann’s beurteilen, bin lange genug in diesem Idiotenschuppen“, sagte der Hector, grinste wieder mal blöde und mir ist glatt die Luft weggeblieben.
„Da will der mich ausforschen!“, hab ich gedacht. „Der wird sich wundern; dem spiel ich ab jetzt was vor. – Oder? – Ich könnte den auch umbringen. – Oder? – Oder ich mach den verrückt, indem ich beim nächsten Besuch einfach mal mein Lied singe.“
Ich musste lange nachdenken. Das mit dem Lied schien mir ganz gut. Aber ob der mitsingen würde? Oder der ist so wie der Hector und schnauzt mich nur an. Oder vielleicht glaubt der dann nicht mehr, dass mein Kopf leer ist?
"Ich schaff das schon, ich schaff das schon,
ich schaff das ganz alleine.
Ich komm bestimmt, ich komm bestimmt
auch wieder auf die Beine …“
Nein, ich glaube, ich muss den eines Tages ganz ausschalten. Fragt sich nur, ob dann ein anderer Psycho-Knacker kommt. Könnte ja sein, dass sie sich gar nicht mehr zu mir hintrauen. Könnte durchaus sein. Und das möchte ich ja nun auch nicht. So ganz alleine? Und dann das mit dem Beruhigungszeug! Da hat der Hector Recht. Weiß noch, wie das war. Scheiße war das. Keine Bilder mehr. Nichts. Schwarz war das nur noch im Kopf.

Still ist es heute hier; ich meine, von denen kommt nichts rüber, kein Geräusch. Verdammter Schädel. Ich möchte ihn abreißen. Hector ist auch schon lange weg. Ach ja, diese Bilder. Die liegen ja noch in der Ecke, wo ich sie hingepfeffert habe. Kein Hector in Sicht. Jetzt kann ich mir die ja mal ansehen.
Schöne Bilder! Bunt und riesengroß. Davon hat der Hector schon mal erzählt. Hat er von seiner Frau machen lassen. Komisch, ich muss mal dran kratzen. Die gehen kaputt. Na, viel taugen die ja nicht. Was man da sieht. Jede Menge Menschen; die da vorne, die lachen. Warum? Ich sehe nichts, worüber die lachen können. Riechen tun die Bilder. Scheußlich!
Das Bild hier, das sieht gut aus, wirklich. Ich weiß, dass das Bäume sind. Sind auch auf den Bildern in meinem Kopf. In meinem Zimmer stehen auch zwei. Hat Hector mir mal gebracht, kleine, ziemlich verkümmerte. Die hier, die sind schön; groß und grün. Riechen tun sie aber genau so beschissen, wie alles andere.
Dieses ewige Wummern im Kopf. Rums! Rums! Rums! Ohne Ende. Trotzdem. Es gibt vielleicht doch mehr, als ich gedacht hab. Vielleicht bin ich noch nicht fertig? Ich glaub, ich muss noch mehr in meinen Kopf tun, bis der wieder richtig ist.
Komisches Bild. Was die wohl machen, die da auf der Bank sitzen? Die haben was auf den Beinen. Weiß? Nee, gelb. Sieht aus, wie das, was der Psycho-Knacker immer bei sich trägt. Ob die auch was studieren? Wer weiß das schon. Hector erzählt ja nichts über solche Sachen – und ich kann ihn wohl kaum fragen.
Oh! Was ist das? Das darf doch nicht wahr sein! Nein, ich glaub das nicht! Wirklich, Mädchen. Eins und noch eins. Alle nackt! Halt, die hier. Die ist schön. Ist das ein Mädchen! Ein so schönes Mädchen. Und nackt ist die auch.
Moment! Wieso weiß ich wie Mädchen aussehen? Und schön sind? Ich weiß wie Mädchen aussehen! Genau! He! Da weiß ich ja was, von dem ich nichts wusste. Mann ist die schön. Ihre Augen! Traurig ist sie; ihre Augen sagen mir, dass sie verzweifelt und trostlos ist. Warum? Warum ist sie traurig? He?
Verdammt! Verdammt! Ich werde wütend, maßlos wütend. Immer muss ich in diese Augen sehen. Sie schaut mich an. Ich halt´s mal nach rechts. So! Noch weiter! Sie sieht mich noch immer an.
Nach links. Ihre Augen drehen sich. Sie guckt mich an. Jetzt dicht vor meine Augen. Ja, ja. Ganz dicht vor meine Augen hol ich sie. Noch dichter, jetzt sind sie ganz, ganz nah. Das Mädchen riecht nach Hector und diesem anderen Zeug.
Ob Hector? – Nein, das glaube ich nicht. Hector nicht, der hat die nicht traurig gemacht. Dann hätte der mir das Bild nicht gezeigt.
Nein! Hector will mich auf das Mädchen aufmerksam machen. Warum? Was kann ich tun? Ich soll ihr helfen? He, Hector! Meinst du das? Wo ist das Mädchen? Ich muss sie finden, egal was es kostet. Aber wie?
Raus! Na klar! Ich muss hier raus. Ich weiß schon längst, wie ich hier raus komme. Eigentlich wollte ich ja noch nicht. Aber diese Augen. Das Mädchen!
Ich mach’s, wenn dieser Psycho-Knacker hier ist. Ich schlag dem den Kopf ein, zerquetsche ihm den Hals. Dann ist der Weg frei. Der schließt nämlich nie ab, wenn der zu mir kommt, nie.
Dieses Gewitter da oben im Schädel. Ob die mir da was rein getan haben? Ich muss die weg hauen, diese Schmerzen. Immer mit dem Kopf an die Wand. Vielleicht hört das auf. Rums! Rums! Rums! Verdammt noch mal. Aber das hört nicht auf.
Hoffentlich kommt der Psycho-Knacker alleine. Wahrscheinlich dauert das nicht mehr lange, bis der kommt. Wann war der zum letzten Mal hier?
Oh nein! Ist noch nicht so lange her, was? Gestern? Heute? Mist! Kann dauern. Mit Hector kann ich’s nicht machen; nein, das will ich auch nicht. Nicht mit Hector.
Gut! Ich warte. Er wird kommen, dieser Zwerg und dann mach ich’s. Was dann wird, das zeigt sich schon. Planen kann ich nichts, aber das wird schon.
Ich schrei jetzt ganz laut; vielleicht kommt der dann endlich. Aber … Hoffentlich kommt nicht der Hector.
„Aufhören! Hilfe! Aufhören!“
Ich warte auf ihn!
Keiner kommt. Keiner hört auf mich. Ah! Ich weiß was. Ich sing einfach mein Lied – ganz laut. Ich stell mich vor diese glatte Wand, am besten steige ich auf den Stuhl Ja, so! Und jetzt los; ich singe bis der kommt.
"Ich schaff das schon, ich schaff das schon,
ich schaff das ganz alleine.
Ich komm bestimmt, ich komm bestimmt
auch wieder auf die Beine …“