Das Fohlen ist da

„He! Aufwachen! Hallo, Antonia! Du musst wach werden."

Mühsam öffnete Antonia zuerst das rechte - und als sie sah, dass es hell war - auch das linke Auge. Die Sonne schien durchs Fenster und malte Kringel auf die Tapete. Sie setzte sich aufrecht und blickte ihre Mutter an, die vor ihrem Bett stand.

„Mama? Was ist denn passiert? - Warum ...?" Plötzlich fiel ihr Babybell ein. „Ist es soweit? Kommt das Fohlen jetzt? Babybell muss Wasser haben. Ich hab doch den Eimer umgestoßen und jetzt hat sie Durst."

„Kleines! Du hast sicher geträumt. Babybell hat alles, was sie braucht. Und das Fohlen ist schon da! Es ging ganz schnell. Bevor ich es richtig gesehen habe, war es schon da. Babybell hat ein kleines Fohlen bekommen. Alles ist gut."

„Warum hast du mich nicht geweckt?", schrie Antonia wütend. „Du hast es versprochen! Nie mehr glaube ich dir!"

„Antonia! Sei nicht böse. Ich war auch eingeschlafen und Babybell war ganz leise bei der Geburt. Ich habe es ja auch nicht gesehen. Entschuldige, aber ich war auch so müde."

„Oh, Mann! Ich wollte es doch selber sehen."

Jetzt gab es für sie kein Halten mehr. Sie zog sich blitzschnell an, strich sich die verschwitzten Haare aus der Stirn und raste nach unten, ohne auf ihre Mama zu warten.

„Babybell!", rief sie schon auf dem Hof. „Hab keine Angst; ich komme schon!"

Max sauste hinter ihr her, überholte sie und war eher an der Stalltür als sie.

„Sitz! Du darfst nicht rein", befahl Antonia und Max setzte sich.

Er schaute Antonia mit schief gelegtem Kopf an und knurrte unzufrieden.

Als Antonia die Stalltür öffnete und den schönen Kopf von Babybell sah, weinte sie vor Glück.

„Babybell, du liebes, liebes Pferd. Ist alles gut gegangen? Entschuldige, dass ich den Wassereimer umgestoßen habe."

Sie öffnete die Tür der Box und knipste die große Lampe an. Ihr Herz klopfte rasend schnell, als sie die Box absuchte. Dicht vor Babybell stand ein kleines, braunweiß geschecktes Fohlen, das auf dünnen, zitternden Beinen stand.

„Oh! Babybell! Das ist dein kleines Fohlen? Es ist so schön, so wunderschön."

Und Babybell schnaubte, drehte den Kopf und blickte nach unten. Sie schubste mit ihren Nüstern das Kleine, das sich unsicher an der Boxenwand lehnte.

„Langsam!", sagte Antonias Mutter, die gerade hinzu kam. „Langsam, Babybell! Es muss erst lernen, auf eigenen Beinen zu stehen."

„Es ist so klein! Viel kleiner, als ich gedacht habe. Warum ist es so winzig, Mama?"

„Weil ihr Vater auch klein war. Er war ein gescheckter Hengst - so nennt man die männlichen Pferde. Du kennst ihn doch, den Abrash, der bis vor kurzer Zeit hier gestanden hat, bevor Papa ihn verkaufte. Da oben hängt sein Bild. Er ist genau so schön wie unser kleines Fohlen."

Antonia betrachtete aufmerksam das Foto, auf dem der Hengst gerade durch eine Reithalle trabte. Es sah aus, als wolle er den Zuschauern zeigen, wie schön er war.

„Was heißt Abrash, Mama?"

„Das ist arabisch und heißt ‚Rot'! Weil er so schön rot ist, hat man ihm den Namen gegeben. Gefällt dir Abrash?"

„Ja, aber Babybell ist auch schön. Wenn sie auch nicht solche Flecken hat und viel größer ist als ihr Mann, der Abrash."

„Babybell ist ja auch eine richtig große Stute. Und sie hat die schönsten Augen, die ein Pferd haben kann."

Als hätte Babybell alles verstanden, drehte sie sich um die Achse, sah Antonia und ihre Mutter an, nickte, schnaubte und zog mit zugespitztem Maul ein kleines Büschel Heu aus der Raufe.

Jetzt konnte Antonia endlich das Fohlen richtig sehen. Es stand auf gespreizten Beinen, wackelte mit dem Kopf und sah sie unentwegt an.

„Du bist ja so hübsch! Braun und weiß! Und so herrliche Flecken hast du. Mama, ist das Fohlen nicht schön?"

„Ja, Antonia. Es ist prächtig. Ein ganz besonderes Pferd wird das. Wie sein Vater, der Abrash. Warte nur, bis es ganz trocken ist und die Sonne sein Fell glänzen lässt."

„Hast du es schon mit Stroh sauber und trocken gerieben, Mama?"

„Ja, sicher. Und weißt du was? Wir zeigen dem kleinen Fohlen jetzt einmal die Welt da draußen, die grüne Wiese, den blauen Himmel und die helle, warme Sonne."

„Oh, ja!", rief Antonia und öffnete die Tür der Box ganz weit.

Ihre Mama zog Babybell am Halfterstrick heraus. Babybell folgte ihr willig; sie wusste von alleine, wo es hinging. Wie an einem Gummiband gezogen, folgte ihr das Fohlen.

Zuerst tapste es vorsichtig, setzte Fuß für Fuß auf den glatten Beton im Gang, tastete unsicher, dann schnaubte es leise und hatte es plötzlich eilig, wollte dicht bei seiner Mutter bleiben.

Max war ganz still, trottet hinter den Pferden her und blickte unsicher zu dem neuen Fohlen auf.

„Sei bloß still", sagte Antonia und drohte Max mit einem wackeligen Zeigefinger. „Das ist kein großer Hund. Das ist ein Fohlen. Hast du verstanden?"

Max legte den Kopf schief und Antonia dachte, dass Max alles verstanden hatte und sich nur fragte, was ein Fohlen sein könnte.

„Ein kleines, ein Babypferd, weißt du", sagte sie deshalb zu Max, der erfreut mit dem Schwanz wedelte.

Antonias Mutter führte Babybell auf die Koppel, die direkt hinter dem Bauerhof begann. Das Fohlen blieb ganz dicht bei Babybell, rieb sich an seinem Fell. Als sie auf der Koppel angekommen waren, schloss Antonias Mutter das Tor und setzte sich neben ihr auf das Holzgatter.

Babybell ließ den Kopf hängen und rupfte ein paar der saftigen Grashalme.

„Sie ist wie immer. Keiner kann sehen, dass sie gerade ein Baby bekommen hat", sagte Antonia.

„Ja", antwortete ihre Mutter. „Wenn das bei uns Menschen auch so einfach ginge. Als du geboren wurdest, musste ich ein paar Tage im Krankenhaus bleiben. - Und du hast ein Jahr gebraucht, bis du laufen konntest."

„Finde ich doof", sagte Antonia.

„Aber", sagte sie nach einem Moment, in dem sie das Fohlen betrachtet hatte, „wenn wir vier Beine hätten, könnten wir auch sofort laufen und du hättest gleich wieder aufstehen können."

„Ganz bestimmt. Du konntest ja auch schon lange mit dem Dreirad fahren. Und mit dem richtigen Fahrrad bist du auch erst mal umgefallen."

„Find ich aber doof vom lieben Gott. Der hätte uns ja auch vier Beine geben können."

„Genau!", sagte Dagmar. „Und zwei Köpfe. Einen zum Denken und einen zum Quatsch erzählen."

Das Fohlen stand mitten auf der Koppel und blickte Antonia an. 

„Da staunst du, kleines Fohlen. Das ist eine schöne Wiese. Und ich - ich bin deine Herrin! Du gehörst mir, mir ganz alleine. Du wirst es gut bei mir haben. Das Gras ist saftig, was? Aber es wird dir noch nicht schmecken. Du magst vorläufig nur die Milch von Babybell."

Das Fohlen ging langsam auf Babybell zu und blieb ganz dicht bei seiner Mutter stehen. Babybell fraß weiter, achtete überhaupt nicht auf ihr Fohlen.

„Wie willst du es denn nennen, Antonia?", fragte ihre Mutter.

„Ich weiß nicht, vielleicht ... Mama! Was ist es eigentlich? Ein Mädchen oder ein Junge?", rief Antonia. „Wie soll ich dem Fohlen einen Namen geben, wenn ich gar nicht weiß, was es ist."

„Da hast du Recht, Kleines. Es ist ein Mädchen, also eine Stute. Du weißt ja, die Jungs heißen bei den Pferden Hengste."

„Ein Mädchen! Prima!", rief Antonia. „Da weiß ich schon einen Namen. Ich hab mir nämlich so sehr gewünscht, dass es ein Mädchen - äh, eine Stute - wird. Sie heißt Babsi! Babsi mit ‚i' hinten."

„Ein schöner Name. Gut, das Fohlen wird also Babsi heißen", sagte ihre Mutter. „Und jetzt werden wir frühstücken. Danach gehst du am besten noch einmal ins Bett. Bloß gut, dass sich Babybell deinen Namenstag ausgesucht hat für die Geburt. Da könnt ihr in Zukunft immer gemeinsam feiern; Babsi ihren Geburtstag und du deinen Namenstag."

„Ich will aber erst noch zusehen, was Babsi macht. Ich will sehen, wenn sie Hunger bekommt und wie sie das zeigt. Wenn sie nicht weiß, wie es geht, zeige ich ihr, wie sie es machen muss. Und wenn sie getrunken hat, komme ich in die Küche."

„Das wird sie schon alleine können. Aber schau ruhig zu. Ich mache schon mal das Frühstück. Ich ruf dich, wenn es fertig ist", sagte ihre Mama und ging ins Haus.

Antonia blieb auf dem Gatter sitzen, stützte den müden Kopf in die Hände und sah zu, wie Babsi sich an ihre Mutter lehnte, den Kopf unter den Bauch schob und schließlich heftig saugte.

„Mama!", schrie Antonia. „Mama! Komm schnell! Babsi trinkt! Hurra! Sie trinkt bei Babybell unterm Bauch. Und keiner hat es ihr gezeigt!"

„Wo soll sie denn sonst trinken, du Dummerchen?", rief ihre Mutter, die erschrocken aus dem Haus gerannt kam. „Das wissen alle kleinen Tierbabys von ganz alleine. Der liebe Gott hat es schon richtig gemacht. Wie sollten sonst die wilden Tiere überleben? Und dein kleines Fohlen hat schon kurz nach der Geburt zum ersten Mal gesaugt. Es wusste gleich, wo die Milchbar ist."

„Toll! Ich hab gedacht, ich müsste es mit der Nase auf den Euter schubsen."

„Nee, das muss man zum Glück nicht", sagte ihr Mutter und lachte laut.

„Wusste ich das auch, Mama? Hab ich sofort gewusst, wo dein Euter ist?"

„Huch! Das heißt bei uns Menschen Brust. Na klar, hast du das gewusst und ganz doll getrunken."

„Woher ich das bloß alles gewusst habe", staunte Antonia.

„Ja, das ist wahr", seufzte ihre Mama. „Und jetzt komm ins Haus. Das Frühstück ist fertig. Oder muss ich dich mit der Nase auf deinen Kakao schubsen?"

 

Annalisa, David und Albrecht, der Vater, saßen schon am Frühstückstisch. Albrecht war sehr früh aufgestanden und hatte auf der großen Wiese, oben am Hang, das Gras gemäht.

„Papa! Hast du es schon gesehen? Unser Fohlen, meine ich", rief Antonia atemlos, als sie in die Küche stürmte.

„Na klar, mein Mädchen. Du musst dich aber jetzt auch gut um das Fohlen kümmern. Ist das klar? Ich habe keine Zeit dafür; ich muss mich mit unserem Hof beschäftigen. Und Mama hat auch genug im Haus zu tun. Annalisa und David übernehmen dafür Babybell. Wenn du es aber nicht kannst oder nicht willst, dann müssen wir das Fohlen verkaufen."

„Papa! Nie! Es ist mein Fohlen! Und außerdem hat es schon einen Namen. Es heißt Babsi! Nie darfst du Babsi verkaufen!"

„Das liegt an dir. Zu viele Pferde können wir uns nicht erlauben. Sie kosten viel Zeit und Futter. Den Vater von Babsi, Abrash, musste ich deshalb ja auch verkaufen."

„Das ist es ja gerade. Das ist schlimm, Papa."

„Was? - Warum? Was ist schlimm?"

„Dass du ihn verkauft hast. Furchtbar ist das sogar, Papa. Das ist sogar ganz doll furchtbar, Papa. Jetzt muss Babsi ohne Vater groß werden. Stell dir mal vor, der Opa hätte dich verkauft! Dann müsste ich ganz ohne dich groß werden und das wär schrecklich."

„Oh!", sagte ihr Vater und tauchte die Nase ganz tief in seine riesige Kaffeetasse. „Macht mich richtig stolz, dass du mich vermissen würdest. Da haben wir ja Glück gehabt, dass dein Opa mich nicht verkauft hat."

„Genau!", sagte Antonia. „Da hast du mehr Glück gehabt als Babsi."

 

Am Nachmittag kam der Tierarzt, Dr. König, untersuchte Babybell und Babsi sehr gründlich. Er nahm Babsi sogar Blut ab.

„Alles in Ordnung! Beide Tiere sind gesund und munter. Da kann man nur gratulieren, Antonia", sagte er schließlich.

„Ich hab ja auch gut auf Babybell aufgepasst und sie im Winter mit Möhren und frischem Heu gefüttert. Darum ist sie so kräftig und stark."

„Das hast du gut gemacht", sagte Dr. König und nickte. „Babybell ist aber auch wirklich ein sehr schönes Pferd."

„Hiiii!", wieherte Babybell und machte einen tiefen Knicks vor dem Tierarzt.

„He! Was machst du denn?", rief Dr. König erstaunt. „Hast du etwa verstanden, was ich gesagt habe?"

„Hiiii!", machte Babybell und nickte eifrig.

„Ich fasse es nicht!", sagte der Tierarzt. „So ein kluges Pferd!"

„Na klar! Babybell versteht alles. Hab ich ihr beigebracht. Wenn ich ihr erzähle, dass die Mama mit mir geschimpft hat, dann guckt sie gaaaanz traurig - immer. Und wenn der David ‚Ballaballa' zu mir sagt, dann ist sie wütend und schnaubt."

„Ein richtiges Wunderpferd!", staunte der Tierarzt. „Und gut gepflegt sieht es auch aus. Hat sicher die Mama gemacht."

„Nein! Meine Geschwister und ich machen das. Ich bin ja schon erwachsen und bin die beste Pferdepflegerin, hat Mama gesagt."

„Wer ist denn der beste Reiter?"

„Die Annalisa! Ganz toll, kann die reiten. Echt!"

 

Fortsetzung folgt