Kindergarten ist plötzlich doof

 

Die nächsten Wochen waren schlimm für Antonia. Sie konnte es überhaupt nicht abwarten, nach Hause zu kommen. Die schrecklich langen Stunden im Kindergarten wollten überhaupt nicht vorbeigehen.

„Muss ich überhaupt da hin?", fragte sie jeden Morgen beim Frühstück. „Kindergarten ist doof."

„Jawohl! Du musst! Und Babsi geht es auch ganz gut, wenn du nicht da bist", antwortete ihre Mutter.

Und dummerweise schien an jedem Tag die Sonne. Antonia schaute im Kindergarten ständig aus dem Fenster. Sie hatte so große Sehnsucht nach der kleinen Babsi. Zum Glück lernten sie ein schönes Lied von einem Pferd. Das fand sie schon besser und sang ganz laut mit:

„Wohin, kleines Pferd, woll'n wir reiten? Mein Lied wird uns beide treu begleiten. Und
durch die Felder, die weiten Felder, klingt 's dann im Wind, wie glücklich wir sind."

„Mein Fohlen heißt Babsi und das darf ich noch nicht reiten - aber bald", sagte sie mitten im Lied zur Kindergärtnerin. „Ich würde jetzt lieber bei ihm sein und nicht im doofen Kindergarten."

„Still, Antonia", sagte Frau Amalie Wurzel. „Wir singen jetzt und schwätzen nicht. Sing mit!"

„Wenn doch endlich die Ferien anfangen würden", dachte Antonia. „Dann wär der blöde Kindergarten zu und ich könnte bei Babsi sein."

Aber das würde noch eine ganz furchtbar lange Zeit dauern, hatte ihr Papa gesagt.

„Inzwischen wächst Babsi, wird jeden Tag kräftiger. Sie freut sich, wenn du nachmittags da bist und sie begrüßt. - Und Annalisa und David müssen ja auch noch in die Schule gehen."

Das tröstete sie herzlich wenig - eigentlich gar nicht. 

„Die haben ja auch keine Babsi", dachte sie.

Wenn die letzten Lieder gesungen waren und die Kindergartenleiterin das Ende des langen, langen Kindergartentages verkündete, schnappte sich Antonia ihre kleine Tasche und raste raus.

Sie sprang auf ihr Fahrrad und strampelte los. Auf zwei Rädern! Sie konnte schon lange ohne Stützräder fahren!

„Wer reiten kann", hatte ihre Mama gesagt, „der kann auch richtig Rad fahren."

Aber das wollte Antonia zuerst nicht einsehen. „Reiten ist leichter - viel leichter! Babybell fällt ja auch nicht ständig um, wie dieses doofe Rad."

„Komm, ich helfe dir", hatte ihre Mama angeboten, aber sie hatte abgelehnt.

„Nein, mit Pferd ist das gaaaanz anders, Mama. Das fällt nicht um, wenn ich stehen bleibe."

Da hatte ihre Mama nichts mehr entgegnen können und war ins Haus gegangen. Nach einer halben Stunde war Antonia in die Küche gekommen.

„Mama, willst du mal kucken, wie ich das Fahrrad reite? Das Fahrrad ist jetzt nämlich wie ein Pferd, es fällt nicht mehr um."

Und tatsächlich fuhr sie, als wenn sie es immer so gemacht hätte. Und das war gut, denn so konnte sie alleine zum Kindergarten fahren.

Der Hof ihrer Eltern lag ziemlich weit draußen. Antonia brauchte - bevor Babsi geboren wurde - fast zwanzig Minuten, bis sie ihren schönen Bauernhof erreichte. Sie strampelte nur sehr langsam, schaute sich laufend um - und außerdem musste sie ständig anhalten.

Mal musste sie eine Kuh beobachten, die gerade den Schwanz hob und grünen Spinat raus laufen ließ.

Ein andermal jagte sie ein paar fette Gänse, die sie mit heiserem Fauchen geärgert hatten, quer über die Straße in den Pletschbach.

Und ein anderes Mal pflückte sie einen riesigen Strauß Mohnblumen, weil die roten Blüten ihr so sehr gefallen hatten. Leider hatte sie zum Schluss, als sie in die Küche kam, nur noch Stiele in der Hand. Aber der ganze Weg und der Hof lagen voll Blütenblätter.

Das alles hatte sich total geändert. Jetzt brauchte sie nur noch sieben bis acht Minuten. Wenn sie den Hof erreichte, warf sie das Rad an die Hauswand und stürmte zur Weide hinter dem Haus.

„Babybell! Babsi!", rief sie laut und sprang auf das Gatter. „Ich bin endlich wieder da! Freut ihr euch?"

Natürlich freuten sich die beiden. Das konnte sie daran sehen, dass beide ihre Köpfe hoben und zu ihr blickten. Sie meinte sogar, ganz deutlich sehen zu können, dass Babybell lächelte und den Mund bewegte, als würde sie antworten.

Und längst schon konnte Babsi rennen, schnell und flink lief sie neben ihrer Mutter her, wollte sie manchmal sogar überholen.

„Klar, können Pferde lachen!", hatte sie ihren Freundinnen, Jana, Alexa und Lara gesagt. „Könnt ja mal zusehen, wie Babybell mich begrüßt. Echt! Sie lächelt! Warum sollen Pferde nicht lächeln? Affen grinsen auch!"

„Affen ja; aber Pferde? Glauben wir nicht", hatten ihre Freundinnen gesagt und sie ungläubig angesehen.

„Ja, Affen!", hatte David, ihr Bruder gesagt. „Von denen stammen wir ja auch ab. Wenn die nicht grinsen könnten, könnten wir das auch nicht."

„Ihr seid ballaballa!", hatte Antonia gesagt. „Ihr habt keine Ahnung von Pferden."

Das stimmte sogar, denn ihre Freundinnen hatten keinen Bauernhof und vor den großen Pferden hatten sie sogar Angst.

 

Babsi wurde von Tag zu Tag kräftiger. Schon bald trabte sie richtig, wie ihre Mutter.

Sie wiehert sogar ganz leise, wenn Antonia sie rief. Sie striegelte ihr Fell und säuberte den Stall, sie ließ frisches Wasser in den Trog laufen und erst wenn alle Arbeiten erledigt waren, mochte sie essen.

„Mach mal ein Foto von Babsi", riet ihre Mutter und sie holte sofort ihren neuen Fotoapparat, den sie zum letzten Geburtstag bekommen hatte, als sie vier geworden war.

„Hab ich ganz vergessen, Mama! Das Foto kann ich dann auch meinen Freundinnen zeigen."

Sie fotografierte Babsi drei Mal und das Fohlen hielt schön still.

„Lächeln!", rief Antonia. „Du musst lächeln! Sonst glauben mir meine Freundinnen nicht."

Der Fotoschnelldienst entwickelte die Bilder noch am gleichen Tag und am nächsten Morgen, dem letzten Kindergartentag, zeigte sie ihren Freundinnen das schönste Bild von Babsi.

„Ist sie nicht schön? Sieht es nicht aus, als wenn sie lächelt? Seht doch, wie ihre Augen aussehen! Sie lächelt!"

„Ja, ich glaube, sie lächelt", sagte Jana.

„Klar, doch! Sie lächelt wirklich", sagte Alexa.

„Na ja, ich glaube, ein wenig lächelt sie wirklich - wenigstens sieht es so aus", sagte Lara, die immer alles anzweifelte.

„Mädchen!", rief Phillip, ein Freund von David. „So ein Quatsch! Ein lachender Gaul! Demnächst kommt er vielleicht sogar in die Schule und lernt schreiben, wetten?"

„Du bist doof!", riefen die Mädchen wild durcheinander. „Hau ab, du!"

Aber Phillip lachte nur und sagte: „Wenn das Fohlen lachen kann, kann ich fliegen."

„Wenn du nicht bald still bist", rief Antonia, „dann fliegst du wirklich. Aber auf die Nase!"

 

Babsi machte sich wirklich prächtig. An jedem Morgen, wenn Antonia - noch vor dem Frühstück - zur Weide lief, dachte sie, in der Nacht wäre Babsi weder einen Zentimeter größer geworden.

„Papa, wann kann Babsi endlich Gras und Heu fressen?

„Da mach dir mal keine Sorgen, Antonia. Das weiß sie selber. Babybells Milch ist im Moment noch das Beste für die Kleine. Nur so aus Spaß rupft Babsi schon mal Gras, wie sie's von ihrer Mama gesehen hat. Etwas Gras von der Wiese schadet nicht, und deine Babsi ist erst einmal damit zufrieden."

„Weiß sie das denn alles von ganz alleine? Babys wissen das doch auch nicht!"

„Äh ... Wir Menschen sind wohl dümmer als die Viecher. Wenigstens, solange wir klein sind. Auch in der freien Natur bekommen Fohlen nicht mehr geboten. Deshalb ist auch bei unseren Pferden nicht unbedingt eine zusätzliche Fütterung notwendig. Voraussetzung: Die Stute, also unsere Babybell, wird gut und ausreichend ernährt. Und das wird sie ja. Ihre Milch ist bestimmt noch viele Wochen lang das Beste für das kleine Fohlen."

„Wie alt wird meine Babsi, Papa? Wird sie so alt wie ich?"

„Das weiß ich nicht. Wie alt willst du denn werden?"

„Äh - Hundert? Hundert werde ich mindestens, Papa!"

„Oh!", sagte ihre Mama. „Da hast du ja noch fünfundneunzig Jahre vor dir. So alt kann Babsi nicht werden. Ungefähr vierzig Jahre können Pferde alt werden. Viele sterben früher. Und einmal, vor vielen Jahren, ist ein Pferd in England einundsechzig Jahre alt geworden."

„Booh! Das schafft Babsi auch."

„Und wenn nicht, dann liegt das sicher nicht an dir. Du tust sicher alles für deine Babsi."

„Tue ich auch. - Aber ich werde ganz doll weinen müssen, wenn Babsi stirbt."

„Langsam, langsam, Antonia. Sie ist ja gerade erst mal geboren. Und vierzig Jahre sind eine sehr lange Zeit. Freu dich über jeden Tag."

„Ja, Mama. Das mache ich. Jeder Tag ist schöner als die früheren Tage, bevor Babsi da war."

Und so freute sich Antonia an jedem Tag erneut auf ihr Fohlen. Nach einer Woche wollte sie endlich wieder reiten.

Weil Babybell nach der Geburt geschont werden sollte, hatte sie auf das tägliche Ausreiten verzichten müssen.

„Ab heute kannst du sie wieder reiten", sagte beim Frühstück ihre Mama. „Aber du musst dich mit deinen Geschwistern besprechen. Frag sie, ob du darfst. Sag ihnen, dass du ja auf Babsi noch nicht reiten darfst."

„Hurra! Ich darf reiten", rief Antonia und mochte schon nicht mehr essen.

Aber dann sah sie die Gesichter von Annalisa und David.

„Darf ich?", fragte sie die beiden, die eine krause Stirn machten und leise maulten.

„Krieg ich ein Kaugummi dafür?", fragte David schließlich.

„Klar. Aber das habe ich schon ein bisschen gekaut", sagte Antonis erfreut.

„Nee, gekautes Gummi will ich nicht", sagte David. „Ein gaaaanz frisches Kaugummi will ich."

„Ballaballa? - Ein gaaaanz frisches Kaugummi für bloß einmal reiten? - Na gut!", sagte Antonia und zog ein noch abgepacktes Kaugummi aus der Tasche.

„Ich will auch eins", rief Annalisa. „Babybell gehört mir auch."

„Gekautes? Ja?"

„Igitt! Bloß keine gekauten Kaugummi!", bestimmte Annalisa. „Wirf die in den Müll!"

„Spinnst du?", fragte Antonia. „Die schmecken noch echt gut. Wie neu!"

Aber dann holte sie doch noch ein abgepacktes Kaugummi raus und gab es Annalisa mit Gönnermine. „Da! Aber wenn ihr später Babsi reiten wollt, dann wird das teuer. Drei Kaugummis für einmal reiten!"

Blitzschnell rannte sie nach dem Essen in den Stall, holte Kardätsche, Striegel, Wurzelbürste, Wolllappen, Schwamm, Mähnenkamm und Hufkratzer aus der alten Kiste.

„Komm, Babybell! Jetzt machen wir dich schön", rief sie und betrat die Box.

Sie legte Babybell das Halfter an, packte den Halfterstrick und führte das Pferd in den Hof.

Babsi musste solange alleine in der Box bleiben. Für die nächste halbe Stunde hatte Antonia zu tun. Sie bürstete, schabte, kämmte und rubbelte, dass ihr der Schweiß von der Stirn lief.

„Fein machst du das", sagte ihr Vater, der mit einer Schubkarre voller Rüben vorbei kam. „Aber vergiss die Hufe nicht! Die Hufe des Pferdes sollten regelmäßig mit Huffett eingefettet werden."

„Klar, Papa! Weiß ich doch. Wie unsere Schuhe. Bloß nicht mit Farbe. - Ich reite gleich aus."

„Darfst du denn? Hast du Annalisa und David gefragt?"

„Hab ich mir gekauft, das Reiten - für Kaugummis!"

„Oha! Aber bleib auf der eingezäunten Weide, damit Babsi mit euch laufen kann."

Als sie endlich fertig war, glänzte Babybell im Sonnenlicht und sah recht zufrieden aus. Antonia holte Sattel und Zaumzeug aus dem Stall, sattelte Babybell und dann durfte auch Babsi nach draußen.

„Jetzt kannst du etwas lernen", sagte Antonia zu ihr. „Wir reiten und du musst dir das genau ansehen. Wenn du größer bist, reite ich dich auch. Das wird dir gefallen."

„Antonia! Mama hat gesagt, ich soll erst einmal ganz kurz auf Babybell reiten. Mal sehen, ob sie ruhig ist. Könnte sonst zu gefährlich für dich sein. Danach darfst du."

„Finde ich doof!", maulte Antonia. „Wenn ich das gewusst hätte, hättest du nur ein gekautes Kaugummi gekriegt. Und außerdem hättest du sie striegeln und bürsten müssen."

„Ich habe gewartet, bis du fertig warst", sagte Annalisa und grinste. „Hast du aber gut gemacht. Echt!"

„Oh Mann!", schnaufte Antonia. „Ich überleg mir was und ärgere dich dann gaaaanz doll."

Annalisa lachte aber nur, brachte beide Pferde auf die Weide, stieg gekonnt in den Sattel und rief: „Hü!"

„Ganz langsam!", rief ihre Mutter, die auf die Weide kam. „Sie muss sich erst wieder daran gewöhnen. Und Babsi muss folgen können."

Annalisa ritt nur im Schritttempo und Babsi folgte mühelos, ging ständig hinter ihnen her.

Antonia und Max setzten sich an den Rand der Weide und schauten zu. Max machte ab und zu aufgeregt „Wuff!", aber eigentlich gab es nichts zum Aufregen. Babybell war ruhig, ging brav, Schritt für Schritt hinterher.

„Siehst du, wie es geht, Babsi?", rief Antonia. „Schau nicht immer ins Gras! Guck, wie deine Mutter das macht!"

Aber Babsi trottete unachtsam hinter ihnen her, immer am Zaun entlang. Sie hatte nur Interesse für das saftige Gras und wenn sie ein besonders schönes Büschel sah, blieb sie stehen, rupfte einmal, kaute und mampfte, während sie weiterlief.

„So, jetzt du", sagte Annalisa zu Antonia, die schon lange wie ein Gummiball aufgeregt hin und her sprang. „Aber langsam!"

Sie half Antonia in den Sattel und Antonia rief „Hü!". Und endlich konnte sie wieder das wunderbare Gefühl auskosten.

„Ich komm nie mehr herunter", rief sie Annalisa zu. „Und in den Kindergarten geh ich auch nie mehr. Gaaaanz andere Luft ist hier oben und du bist gaaaanz klein. Soooo schön ist das hier oben!"

Nach einer halben Stunde hatte sie aber genug. Der Po tat ihr weh und Lust hatte sie auch keine mehr. Sie nahm Babybell den Sattel ab und ließ die beiden allein auf der Weide zurück.

„Ist ‚nie mehr' schon vorbei?", fragte Annalisa.

„Ballaballa!", sagte Antonia und streckte ihrer Schwester die Zunge raus.

Sie brachte das Zaumzeugs und den Sattel in den Stall und als sie zurückschaute, sah sie, dass Babsi und Babybell das saftige Gras rupften und beide sahen sehr zufrieden aus. „Ja, Babsi, du hast ein schönes Leben", sagte sie leise. „Du hast keine Schwester, keinen Bruder, brauchst nicht in den Kindergarten und später in die Schule und schlechte Noten gibt es für dich auch nicht. - Aber dafür darf ich auch hundert Jahre alt werden."

 Fortsetzung folgt