Das fremde Land

 

Eduard Breimann,

Das fremde Land,

236 Seiten, 26,80 Euro

 

Zwischen den Zeiten und Zeilen ‑ ein Zwangsarbeiterroman

 

Die literarische Auseinandersetzung mit Krieg und Zwangsarbeit ist in der Zeit ihrer jeweiligen Textproduktion und ‑rezeption zu betrachten. Rudi Goguels "Es war ein langer Weg. Ein Bericht" erschien erstmals im Jahre 1947, nach sechzig Jahren ist nun eine neue Auflage erschienen. Die lange "Pause" ist politisch begründet ‑ wenn auch nicht zu akzeptieren.

Sechzig Jahre Verdrängung untersucht der Dormagener Autor Eduard Breimann mit seinem Roman "Das fremde Land" Auch dieses Buch ist ein facettenreicher Rückblick, der allerdings bis in die jüngste Gegenwart reicht. Breimann hat dazu das Thema "Zwangsarbeit" außerordentlich umfassend recherchiert, wie auch den "Umgang" mit diesem Thema: "Durch das Stiftungsgesetz, die gemeinsame Erklärung der Firmen und das Regierungsabkommen sind eigentlich die rechtlichen Voraussetzungen für die Auszahlung der Stiftungsmittel an die Anspruchsberechtigten geschaffen; dennoch verzögerte sich der ursprünglich schon längst fällige Beginn der Auszahlung immer weiter." So lautet das Resümee des Lehrers Hans Brostmann, der an seiner Albert‑Einstein‑Gesamtschule ein Projekt vorstellt, das davon ausgeht, "dass die heutige Generation, anders als die vorhergehenden, anerkennt, dass das begangene Unrecht wenigstens monetär wieder gut gemacht werden muss."

Die Schule lädt ehemalige Zwangsarbeiter ein: die Rentnerin Angela (Aja) Pawlowska und den emeritierten Professor Wladimir Iljitsch Boronow, einen "der besten Reaktorphysiker, die unser Land hervorgebracht hat." Sie besuchen die kleine Stadt am Rhein ‑ und bringen Unruhe in die deutsche Gegenwart, die ihnen als fremdes Land entgegentritt. Diese Entfremdung verläuft auf verschiedenen Ebenen: Der Autor aus dem Land der Täter schlüpft in die Haut der Opfer. Akribisch und liebevoll zeichnet er ihre Charaktere, ihre Entwicklung und ihr gesellschaftliches Umfeld in der Sowjetunion und später in Russland.

Außerordentlich verdichtet erscheinen die Antagonisten: Betriebsleiter, Bürgermeister, Schuldirektor. Sie scheinen nur eine Sorge zu haben: Kein Blick in die konkrete Vergangenheit mit ihren Verbrechen, kein Zusammenhang von Geschichte und Gegenwart, keine Kontinuität von Personen, Institutionen und Unternehmen.

Diese Zusammenhänge könnten den literarischen Ort "Dormagen" meinen. Er ist aber nicht der reale Ort. Nicht weil er mit Dormagen nichts zu tun hätte, sondern weil er mehr ist als Dormagen. Der Ort der Ausbeutung, der Vergewaltigung, des Todes könnte in der Topographie des Grauens vielfach auftauchen.
Gleichwohl kann die Analyse des Zusammenhangs von Genesis und Geltung bestätigen, dass hier Unternehmen und Personen am Werk sind, die nicht frei erfunden sind: Da gibt es eine Textilfabrik, die Zwangsarbeiter beschäftigte ‑ und nach dem Krieg ihren Namen wechselte. Die IG Farben waren keine Textilfabrik. Das Nachfolgeunternehmen Bayer auch nicht...

Die Gesamtschule in dem Roman ist eine andere als die im realen Dormagen, die sich vor einigen Jahren mit spektakulären Aktionen für die Entschädigung der Zwangsarbeiter eingesetzt hat ‑ und seit dieser Zeit enge Verbindungen zu ihnen hält, unter anderem zu einem Physik‑Professor aus Moskau.

Der Roman endet mit der Rückfahrt de beiden Protagonisten. Sie haben zu ihren Fragen während ihres Besuches zum Teil sehr erschreckende Antworten und Einsichten bekommen. Das Land ist ihnen sicherlich partiell fremd geblieben. Breimanns Verdienst ist es, dass er die Vergangenheit in die Gegenwart implantiert hat. Einige Figuren lässt er verdrängen, andere haben Macht eingesetzt, um Wahrheit zu unterdrücken. Aber sie scheitern. Allerdings zeigt der Autor auch auf, dass historische Annäherung und politische Aufarbeitung nicht mit einem Schlussstrich versehen werden können. Auch heutige Schüler können in die politischen Rollen von Vorgestern schlüpfen. Damit genau das nicht passiert, ist dem Buch eine große Verbreitung zu wünschen. Und noch einen Wunsch möchte der Rezensent äußern: Möge dem Buch eine gute Übersetzung in die russische Sprache beschieden sein. Es könnte dann die gemeinsame Lektüre von deutschen und russischen Schulklassen werden.

 

Uwe Koopmann