Lieber Herr Eduard Breimann

Gegen das Vergessen...

Es war Zufall, dass mir fast gleichzeitig zwei Bücher in die Hände fielen, die gemeinsam ein Thema behandeln: das Schicksal sowjetischer Bürger in der faschistischen Sklaverei.

Das erste Buch, dessen Autor der Historiker und Verdiente Hochschullehrer der Russischen Föderation, der Lehrstuhlleiter für Sozial- und Geisteskultur des Staatlichen Pädagogischen Instituts Lipezk ist, heißt „Gegen das Vergessen. Wie deutsche Schüler die Erinnerung an die Tragödie sowjetischer Kriegsgefangener und Ostarbeiter wach halten". (Moskau, Verlag Pik, 2006). Als Grundmaterial für das Buch dienten Forschungsarbeiten deutscher Schüler im Rahmen eines bundesweiten Schülerwettbewerbs über die Nazizeit in der deutschen Geschichte und über die Verbrechen des Hitlerismus.

Die Initiatoren des Schülerwettbewerbs über die verschiedenen Etappen in der Geschichte Deutschlands waren Bundespräsident Gustav Heinemann (von 1969-1974) und der Hamburger Industrielle und Mäzen Kurt Körber, der den Fonds zur Förderung kultureller und humanitärer Projekte gegründet hat. Der Wettbewerb über die Zeit des Faschismus wurde in den Jahren 1980 - 1983 durchgeführt, als der Kalte Krieg nahezu beendet war und sich zwischen unseren Ländern gutnachbarschaftliche Beziehungen zu entwickeln begannen.

Am Wettbewerb beteiligten sich etwa 20 000 Schülerinnen und Schüler. Der Wettbewerbsjury wurden 3 340 individuelle und kollektive Arbeiten eingereicht. Eines der Hauptthemen der Wettbewerbsarbeiten war das Thema der sowjetischen Kriegsgefangenen und Ostarbeiter, ihre Sklavenarbeit und ihr Tod im Dritten Reich. Der offizielle Wettbewerbsstatus ließ auch die Möglichkeit zu, Archivmaterial zu nutzen, aber die wichtigste Informationsquelle für die Schüler waren die Begegnungen und Gespräche mit Zeitzeugen der tragischen Ereignisse jener Zeit. Man kann sich vorstellen unter welchen Bedingungen das Zusammentragen von Informationen vor sich gegangen ist, welchem Widerstand und welchen zuweilen direkten Bedrohungen nicht nur die Schüler, sondern auch ihre Eltern und Lehrer seitens bestimmter Kreise, die bestrebt waren, die Durchführung des Wettbewerbs zu stören, ausgesetzt waren. Trotzdem fand der Wettbewerb statt, und die Materialien wurden zum Allgemeingut der Öffentlichkeit. Es wurden Ereignisse und Fakten zu Tage gefördert, die von offiziellen Quellen „vergessen" worden waren. Man kann sich auch vorstellen, dass Veränderungen im Bewusstsein der jungen Forscher, die diese Ereignisse und Fakten erneut entdeckt hatten, vor sich gingen. Der Wettbewerb spielte eine wichtige Rolle nicht nur bei der Herausbildung der Weltsicht ihrer unmittelbar Beteiligten, sondern auch bei der Schaffung einer allgemeinen Atmosphäre der Reue und des Mitgefühls mit den Opfern des Nazismus. Übrigens gehörten die Schüler, die deutsche Jugend zu den ersten Initiatoren von Wiedergutmachungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter, die Sklaven des Faschismus.

Für mich persönlich ist das Buch von A.I. Borosnjak von besonderem Interesse, weil ich zahlreiche Begegnungen mit den heutigen deutschen Schülerinnen und Schülern hatte und habe. Aus eigener Erfahrung weiß ich, mit welchem Interesse, Mitgefühl und Schmerz sie das Schicksal unserer Landsleute, die für immer in deutscher Erde ruhen, und für die, die aus nazistischer Sklaverei in ihre Heimat zurückkehrten, wahrnehmen.

Ich möchte dem verehrten Professor A.I. Borosnjak für sein bemerkenswertes Buch danken, das für unsere Historiker und Forscher, die daran arbeiten, die Erinnerung an die Opfer des Faschismus wach zu halten, notwendig ist, und ich möchte den russischen und deutschen Lehrern danken, die die jungen Generationen auf der Grundlage der tragischen Erfahrungen im Geiste des gegenseitigen Verständnisses, des Vertrauens und der Freundschaft erziehen.

Das zweite Buch ist der Roman des deutschen Schriftstellers Eduard Breimann „Das fremde Land", das dem Schicksal eines nach Deutschland verschleppten russischen Mädchens, das die Tragödie der Sklaverei überlebte, seine Angehörigen aber verlor, die in fremder Erde beigesetzt wurden. Den Roman lesen deutsche Bürgerinnen und Bürger, deutsche Schülerinnen und Schüler. Ich hoffe sehr, dass er ins Russische übersetzt und all jenen zugänglich wird, die durch die Hölle des Faschismus gegangen sind.


Ehemaliger Ostarbeiter, Professor Wladimir I. Naumow

Übersetzung aus dem Russischen:

Walborg Schröder, Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft Rhein/Ruhr e.V.