Also, ich steh' hier auf dem Schlauch,

 

da stand ich vorher auch....

Über den Bandwurm und der nach ihm benannten Satz

 

Es waren so um die 50 Seiten meines Buches fertig und ich mailte sie meinem Lektor zu, der seufzend meinte „weiter so."

Das sagte er aber schon nach der zehnten Seite und ich schrieb unbeschwert, wie bisher, mal einen kurzen Satz, zwischendurch, weil's passte, hier und da einen mittellangen oder auch dann und wann einen mittelkurzen, wobei die beiden letztgenannten kaum zu unterscheiden waren.

Aber dann - nach erneutem Mail-Kontakt mit meinem Lektor ­ die Aussage: „Zu lange Sätze! Kürzen, aufteilen!"

Und tatsächlich: Es gab da auch etliche lange Sätze, wohin mit denen? Nun wusste ich noch aus dem Deutschunterricht in der Grundschule - damals noch Volksschule genannte - den Grund weiß ich bis heute nicht - aber egal; man solle keine langen Sätze schreiben. Dieses Prinzip vertrat mit einer Vehemenz, die fast schon militant genannt werden konnte, meine Deutschlehrerin, die, scheint's mir, etwas falsch verstanden hatte, denn ihre Sätze waren zwar kurz (bis mittel), ihre Unterrichtsmethodik allerdings lang (bis - weilig).

Sie schrieb pausenlos etwas an die Tafel, was wir Schüler dann in unsere Hefte zu übernehmen hatten. Wenn sie sich mal umdrehte, erkannte ich sie meistens nicht gleich wieder, weil ich ein ausgeprägt schlechtes Personengedächtnis habe, was allerdings eine gänzlich andre Sache ist und nicht hierher gehört.

Sie war nicht die Jüngste, eigentlich schon jenseits des Alters, wo die Zahnräder in den Rechenmaschinen der Rententräger anfangen zu rattern und war überhaupt nur aus dem Grunde noch aktiv im Schuldienst, weil der sieg- und erfolglose, dafür aber beendete Weltkrieg zwei eine unheilvolle Lücke in das Heer der Pädagogen gerissen hatte und die entstandenen Personallöcher noch nicht, oder jedenfalls nicht ausreichend durch oberflächlich entstaubte Teile ehemaliger (meist weiblicher) Lehrkörper gestopft werden konnte, die sich wenigstens noch an marginale Inhalte eines vor Jahrzehnten absolvierten Studiums erinnern konnten.

Ha! Haben Sie's bemerkt? Das war ein langer Satz. Und? Trotzdem verstanden? Sag ich doch. Wenn die Interpunktion stimmt, dann darf das eine ganze Seite lang sein. Oder?

Alles, was es nicht gibt, war für sie real nicht existent, so dass ein Schüler mit Phantasie heillos von ihr missachtet wurde. Wenn dieser Schüler dann auch noch lange Passagen in Ab- und Aufsätzen liebte und bevorzugte, einen passablen bis überdurchschnittlichen Wortschatz sein Eigen nannte - den sogar nutzte! -, war diese Lehrerin am Ende ihres Lateins und ihrer kurzen Sätze. Dann musste sie auf ihren einzigen, wie es schien, langen Satz zurückgreifen, den sie im Repertoire hatte und handschriftlich, mit sichtlichem Genuss und roter Tinte in meine Hefte notierte:

„Ungenügend, da ständige Verwendung von Bandwurmsätzen, das heißt, dass das Thema durch überwiegenden Gebrauch von unnötig langen Schachtelsätzen und Nebenhandlungen in Verbindung mit Gedankensplittern, die mit der Thematik nichts zu tun haben und außerdem unserem guten vaterländischen Deutsch widersprechen, bla ... bla ... bla ...


Ach ja, trotzdem blieb meine Liebe zum Bandwurm - ich meine nur den im Deutschaufsatz - erhalten.