‚Er winkt! - Wirklich; so ein Heuchler! - Brich dir den Hals, du Ungeheuer. Fahr vor den nächsten Baum. - Ach Gott, was denke ich da für einen Mist!'
Sie wedelt mit der Rechten - merklich verzögert - und nur mit halb erhobener Hand, dreht sich abrupt weg, wartet nicht, bis er das Auto rückwärts zur Straße gefahren hat. Seit fast zwanzig Jahren immer die selbe Prozedur, schon Routine. Die Beine fühlen sich geschwollen an, der Rücken spannt und die Kopfschmerzen geben ihr den Rest.
„Alles nur seinetwegen, wegen diesem Saukerl", sagt sie dem Kaktus auf der Fensterbank und weiß, dass es eigentlich nicht stimmt; die Arbeit im Garten, gestern, die hat sie so geschafft.
„Bin halt nicht mehr die Jüngste", sagt sie, seufzt, streicht mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht und geht ins Bad.
Sie schiebt das Gesicht dicht an den Spiegel und stöhnt auf; der Strahlenkranz an den Augen ist ausgeprägter als gestern. Sie drückt die Fingerspitzen auf die Wangen, zieht die Haut straff, schiebt die Haare erneut aus der Stirn, drückt Querfalten hinein, glättet sie, spitzt den Mund und macht ihre grauen Augen groß.
‚Mist! Ich zerfalle! Falten! Wo ich auch hin gucke, Falten - und Poren groß wie Stecknadelköpfe. Wenn ich diese Modepüppchen im Fernsehen betrachte, meine Güte. Ob die alle geliftet sind? - Die sind alle geliftet! Und auf so was fallen unsere Männer rein!'
Sie bleckt die Zähne, zieht die Nase kraus und schaut ihr Abbild streng an. ‚Müde siehste aus, Hannelore. Sehr müde. Eine Kur, ein Urlaub, vielleicht ... Wenigstens ein verlängertes Wochenende. Verwöhnen lassen. Im Bett und überhaupt. Ach Schiet!'
Sie wirft eine Hand voll kaltes Wasser ins Gesicht, rubbelt sich mit dem Handtuch rote Flecken hinein.
Und dann lächelt sie. Heike fällt ihr ein, ihre wirklich allerallerbeste Freundin, die immer einen neidischen Blick aufsetzt, wenn die Sprache auf Werner kommt.
‚Wie die den Werner angehimmelt hat, beim letzten Silvesterball. Wollte ständig mit ihm tanzen. Ach Gottchen, Heike, du armes Mauerblümchen!', denkt sie und ist nicht mehr ganz so unglücklich.
„Den haste dir bestimmt basteln lassen, deinen Werner. Erobert doch wohl kaum, was? Wo haste den eingefangen - und womit?", hat Heike mit saurem Lächeln gefragt. Das war morgens um eins.

Werner und sie hatten sehr eng getanzt und um Mitternacht, als alle die Böllerei beguckten, hatte er ihr eine Perlenkette umhängt. „Damit du weißt, wie viel du mir wert bist, liebe Hanni", hatte er ihr nach einem langen Kuss ins Ohr gehaucht.

‚Hanni, Hanni, das sagte er immer, wenn er mich rumkriegen wollte - ins Bett und so. Ziemlich oft hat er früher Hanni gesagt, meistens zwei Mal in der Woche', denkt sie und schlägt mit der flachen Hand auf das Gesicht im Spiegel.
„Sei ehrlich, Hannelore! Das war mal. Früher!", sagt sie laut zu ihrem Spiegelbild. „Früher, ja. Ist lange her, was? Ein Mal im Monat? - Mach dir nix vor, Hannelore! Seltener; viel seltener. Das passt! Das passt haargenau!"
Sie geht zurück an den Frühstückstisch und hockt sich auf die Stuhlkante. Der Kaffee in ihrer Bürotasse ist kalt. Sie verzieht das Gesicht und ist wieder unglücklich. Sehr unglücklich sogar. Sie beschließt, das zu nehmen, was Werner abfällig ‚kleine Depression' nennt; dabei betont er ‚kleine' immer so, dass sie ganz matt werden kann. Er meint diesen Zustand, in dem sie so traurig ist und aus dem sie sich so gerne von ihm herausholen lässt.
„So eine Depression ist am schönsten, wenn sie der richtige Mann einfach wegzaubert", hat sie kürzlich zu Heike gesagt, deren Carlos ein echter Grobian ist.
„Du bist eine Hypochonderin - oder wie das heißt. Jedenfalls hast du nie und nimmer eine Depression; du nutzt deinen Werner nur aus", hat Heike schnippisch geantwortet - aus purem Neid.
„Du bist ja nur missgünstig. Wenn du meinen Werner hättest ... Dein Carlos, dieser Holzhacker, der hat da wohl weniger Geschick drin - oder?"
„Pah", hat Heike geantwortet. „Ich krieg erst gar keine. Depression, mein ich. Und übrigens: Carlos ist ein Schatz. Bei uns gibt's für so was keinen Grund. Depressionen! Ich glaub's einfach nicht! Jedenfalls muss ich mir keine Sorge machen, das der Carlos ... Ach, ich sag lieber nichts."
‚Was hat sie gemeint? War das eine Andeutung? Was weiß sie, was ich nicht weiß? Mist! Ich wusste bis gestern echt nicht, was eine Depression ist', denkt sie. Aber seit Gestern ist alles anders.

Als das schnurlose Telefon, das während der Gartenarbeit immer auf dem Tisch im Garten liegt, klingelte, dachte sie natürlich, es wäre Werner. Sie drückte das Telefon an die verschwitzte Schläfe, blies sich neckisch die Haarsträhnen aus der Stirn und ließ sich in den Gartenstuhl fallen.
„Werner! Kommst du früher? Ich bin gleich mit dem Pflanzen fertig. Du müsstest mich sehen! Ich seh' aus! Bin völlig derangiert. Ich geh gleich duschen. Möchtest du ...? Wenn du dich beeilst ..."
„Frau Bungert?" Das war nicht seine Stimme! Das war nicht Werner!
„Oh - entschuldigen Sie. Ist mir das peinlich! Ich dachte ..."
„Hören Sie! Er konnte es gar nicht sein. Hat Besseres zu tun. Ihr Werner hat eine andere, wissen Sie das nicht?"
„Wie? Was soll das? Wer sind Sie? Wer ...? - Wen meinen Sie?"
„Ihren Werner, liebe Frau Bungert. Ihren heiß geliebten Werner, mit dem sie so gerne duschen möchten. Ha! Ha! Hat gerade eine heiße Begegnung mit ihr, mit seiner Geliebten; vielleicht duschen die ja auch. Ha! Ha! Ist ja auch ein ganzes Stück jünger, diese ..."
Sie drückte den roten Knopf, lehnte sich zurück und sah nur noch Nebel. Ewig hockte sie da. Ganz steif war sie schließlich, so lange saß sie völlig verkrampft. Kein klarer Gedanke im Kopf; keine Kraft in den Beinen, um aufzustehen.
Dann, nach einer ewigen Zeit tippte sie auf die Kurzwahltaste für das Büro ihres Mannes. Sie wusste nicht, was sie ihn fragen würde; es war ihr auch völlig egal.
„Nein, Ihr Mann ist nicht im Büro, Frau Bungert. Er hat einen auswärtigen Termin - kann länger dauern, hat er gesagt. Kann ich was ausrichten? Ist es dringend?"
„Hat er sein Handy ...?"
„Das Handy? - Ach, du meine Güte! Das tut mir Leid. Das hat er vergessen, das liegt hier."
Nur ganz langsam bewegte sie sich, musste jede Bewegung einzeln anfordern. Sie erwischte sich, dass sie halblaut sprach, wie häufiger in der letzten Zeit.
„Das ist das Alter. Du wirst senil", hatte Werner letzte Woche gesagt und ...
‚Genau! Fies gegrinst hat der dabei. Überheblich gegrinst, hat der Arsch! Dabei ist der kaum jünger als ich', dachte sie und sah sein Gesicht vor sich. ‚Kann das denn sein? Ach, Quatsch, Hannelore. Wie oft ist Werner auswärts unterwegs. Aber da könnte er ... Verdammt! Was weiß ich denn?'
Sie fühlte sich alt, schlapp und dreckig. Nach dem Duschen war's etwas besser geworden und sie rief noch einmal an.
„Nein, er ist leider noch nicht zurück; tut mir schrecklich Leid Frau Bungert."
‚Diese falsche Ziege!', dachte sie. ‚Die deckt den doch; die weiß doch sonst immer alles.' Dann kam die Vernunft zurück. Bei einer Tasse Tee durchdachte sie alles noch einmal.
„Quatsch! So ein Telefonterrorist kann dich doch nicht ins Bockshorn jagen, liebe Hannelore. Dich doch nicht! Bist du übergeschnappt? Was machst du für einen Schiet?", flüsterte sie und schämte sich ein bisschen; sie hatten es doch im Fernsehen gezeigt, wie die das machten.
„Das sind Verbrecher", hatte die Moderatorin erklärt. „Die suchen sich einfach einen Namen aus dem Telefonbuch; der Vorname steht ja dabei. Ist gar kein Problem für solche Gangster. Das ist Körperverletzung!"
‚Genau', dachte sie. ‚Bürozeit - klar, da sind die Frauen allein zu Hause. - Hannelore allein zu Hause! Ha!'
Ein wenig beruhigte sie dieser Gedanke - aber nur ganz wenig. Sie musste sich Sicherheit verschaffen.
‚Jawohl! Noch nie hat es einen Grund für Misstrauen gegeben. Noch nie - oder? Na gut, damals, als er mit Heike so eng getanzt hat. Was hab ich dem damals für einen Stress gemacht! Mann!'
Sie hockte verzweifelt in der Küche, spielte mit dem Wasserglas und stierte aus dem Küchenfenster. ‚Ach, Quatsch. Wenn ich daran denke, wie oft Werner mich zum Geburtstag überrascht hat: Blumen, Pullover, Armband. - Früher. - Scheiße!'
„Will der vielleicht was gut machen, dein Werner?", hat Heike süffisant gefragt, als sie beim Wein zusammen saßen. „Manche wollen ja ihre Sünden mit Geschenken tilgen. Du weißt schon, diese Erfindung der katholischen Kirche für untreue Männer. - Was? - Na, Beichte, Buße und so. Haben die Kerle sich abgeguckt. Statt drei Ave Maria ein Pullover von C & A."
„Dann scheint dein Carlos wirklich nie zu sündigen. Oder hab ich was verpasst? Hat er dir schon mal was geschenkt - zum Geburtstag oder Weihnachten?"
„Ha! Ha! Wir schenken uns aus Prinzip nichts an diesen saublöden Geschenktagen. Nie! Und wie gesagt: Nix mit Beichte und Buße!"
Sie seufzte. ‚Wenn ich darüber nachdenke ... Wie oft war der Werner nicht erreichbar; besonders in der letzten Zeit. Wie häufig der Überstunden gemacht hat - auswärts bei Kunden. Nie hat er was darüber erzählt oder wenn doch, dann nur halbe Sätze.'
„Ach Hanni! Du weißt doch ... Immer diese elenden Verhandlungen ... Gespräche wie Kaugummi; geschmacklos und zäh."

Eine elende Nacht hat sie hinter sich. Jetzt, nach so langem Überlegen, will sie Gewissheit. Sie seufzt und holt den Tischkalender aus ihrem Büro, blättert vor und zurück. Jedes Seminar und jede Dienstreise von Werner ist vermerkt. Gibt's da Regelmäßigkeiten? Auffälligkeiten? Eigentlich hat er früher immer was mitgebracht. Blumen vom Flughafen. Eine Bürokaffeetasse aus Salzburg. Diese hier, die mit dem kalten Kaffee. ‚Mein Mauserl' steht da drauf und eine knopfäugige Maus kringelt ihren Schwanz rund um den Griff.
„Liebt er mich noch oder nicht - das ist hier die Frage, nur das", murmelt sie und dreht die Tasse. „Woran kann ich das erkennen?"
Das Telefon klingelt und sie blickt automatisch auf die Uhr. Es ist kurz nach zehn. Das ist die Zeit, in der Werner sein Brot im Büro isst und sie dabei - meist schmatzend und geräuschvoll Kaffee schlürfend - anruft. Was sie gerade so macht, wie es geht, überhaupt und so, ob jemand angerufen hat. Eben so ein typisches Pausengeschwätz, nichts Wichtiges, nur ein Zeichen, dass sie zusammengehören, egal wo einer ist.
„Ja?", sagt sie mit leidender Stimme, so, wie sie den ganzen Morgen am Frühstückstisch mit ihm gesprochen hat.
„Sind Sie's, Frau Bungert? Na klar! Ich erkenne Ihre Stimme."
Diese Stimme! Sie erstarrt, glotzt den Hörer an, als gäbe es da ein Sichtfenster, in dem sie den Anrufer erkennen könnte.
„Wer sind Sie?", schreit sie. „Was wollen Sie?"
„Das tut nichts zur Sache. Haben Sie ihn gefragt?"
„Sie Schwein! Sie elender Lügner!"
„Halt! Er tut's wirklich; ich lüge nicht. Ich weiß es genau und kann es sogar beweisen. Ich ..."
„Halt deine Klappe, du elender Wichser! Du, du ..."
„Na, na! Was ist das für ein Ton? Sie tun mir so Leid, sie armes Mauserl. Sie sollten ihn wirklich fragen, wo er gestern Nachmittag war. Fragen Sie ihn doch einfach."
Sie starrt mit versteinertem Gesicht auf den Hörer. Ihre Hand zittert. „Mauserl?", murmelt sie.
„Wer bist du? Du elender Arsch?", schreit sie und legt auf - während der Mann vulgär lacht.
‚Wer ist das? Was weiß der wirklich? Ist das überhaupt wichtig? - Und ob!', denkt sie. ‚Und ob! Das muss einer sein, der uns kennt - einer, der sogar meine Tasse kennt! - Meine Mauserltasse!'
Die Wut schießt in ihr hoch; sie hebt die Hand mit dem Telefon, stockt mitten in der Bewegung, schaut den Apparat verwirrt an und legt ihn langsam auf die Tischplatte.
„Nein! Scheißmauserl!", schreit sie, greift die Mauserltasse und wirft sie an die Wand.
Direkt neben dem Bild, auf dem Werner und sie auf einem Schimmel sitzen und fröhlich in die Kamera lachen - das war in dem Jahr, in dem sie sich in ihn verliebt hat - zersplittert der Porzellanpott.
Ein großes Stück fliegt gegen den Rahmen, hebt Schimmel, Werner und sie aus dem Haken und lässt alles auf den Boden knallen.
Es scheppert und klirrt; der Schimmel, Werner und sie liegen auf dem Boden; sie starrt in Werners lachendes Gesicht. Tiefbrauner Kaffee läuft an der Wand herunter - und sie fühlt sich erleichtert.
„Armes Mauserl hat der zu mir gesagt. Armes Mauserl! Oh du elender Scheißkerl, du verfluchter!", sagt sie und weiß nicht recht, wen sie meint.
Endlich kann sie weinen; richtig heulen und schluchzen kann sie. Sie trommelt mit den Fäusten auf die Tischplatte, dass die Butterdose scheppert und tanzt.
„Ich werde dich aufhängen!", schreit sie und weiß schon wieder nicht, ob sie ihren Werner oder den anonymen Anrufer meint. „Egal!", murmelt sie. Beide! Eben beide! Scheißkerle, alle!"
Als sie endlich die Scherben aufgesammelt, den verbogenen Bilderrahmen in der Kramschublade verstaucht hat - das Glas ist völlig zersplittert - und mit einem feuchten Tuch den Kaffee von der Wand gewischt hat, läutet es wieder. Diesmal ist es allerdings die Türklingel.
‚Oh nein! Bloß nicht! Wie seh ich aus, verheult und verknautscht. Wer ist das - um diese Zeit?', denkt sie und verspürt Panik.
Sie läuft in den Flur, trocknet sich unterwegs mit dem Ärmel die Tränen ab, und als sie die Tür öffnet, kann sie schon wieder ein flaches Lächeln aufs Gesicht legen.
„Ja bitte?", sagt sie, noch ohne Sichtkontakt, und seufzt dann auf. „Ach, du bist es. Komm rein, Heike. Willst du einen Kaffee?"
Die schiebt sie wortlos an die Seite, stürmt voraus ins Wohnzimmer, dreht sich mitten im Raum um, stemmt die Arme in die Hüften und wirft giftige Blicke.
„Gib's zu! Du bist es!"
„Ja, ja", sagt Hannelore schlaff und bleibt in der Wohnzimmertür stehen. „Klar, ich meine, wieso zweifelst du daran?"
„Ha! Gut, du hast wenigstens soviel Mut, dass du es zugibst. Aber das genügt mir nicht."
„Ich - ich kann mich zwar im Augenblick auch nicht gerade gut leiden, aber so schlimm ist es nicht, dass ich mich nicht mehr selbst erkenne. Was also bedeutet deine dunkle Rede?"
„Dunkle Rede? Du hast es doch gerade schnurstracks zugegeben, dass du mit Carlos ins Bett gehst. Das ist keine ‚dunkle', sondern eine sündige Rede. Du bist ein Flittchen, meine Liebe. Ich hab's schon immer gewusst - schon ewig. Deine tief ausgeschnittenen Kleider, nur um deine Titten zu zeigen, deine kurzen Röcke, nur um deine geilen Beine zu zeigen. Ha! Du gehst mit dem Mann deiner besten Freundin ins Bett."
„Meiner besten Freundin? Wer soll das sein?", fragt sie und stemmt nun ebenfalls die Arme in die Hüften. „Aber Scherz beiseite, meine Liebe. Wieso habe ich zugegeben, mit diesem ... diesem Eichenklotz - entschuldige den Ausdruck - ins Bett zu gehen? Wo hast du das gehört?"
„Hier - hier!", schreit Heike und zeigt mit einem Rundumschlenker ihrer Arme, die sie aber sofort wieder in die Hüften versenkt, auf die Wohnzimmereinrichtung. „Hier, jetzt gerade, hast du auf meine Anschuldigung gesagt: ‚Ja, ja, klar, wieso zweifelst du daran?'. Hast du oder hast du nicht?"
„Heike, du tickst nicht richtig! Du hast mich gefragt, ob ich, ich bin. Klar hab ich ja gesagt, wer soll ich sonst sein?"
Heike denkt! Das sieht man - immer. Ganz langsam klappt ihre Kinnlade herunter, rutschen die Arme aus der Hüfte, sucht sie mit unstetem Blick nach einem Sessel und fällt in die Polster.
„Du ... Also, du hast mich missverstanden? Du hast gar nichts ..."
„Ich, dich missverstanden? Du hast Mist geredet und da konnte kein normaler Mensch anders drauf reagieren. Was also ist wirklich los? Sprich mal ganz langsam, in richtigen Sätzen. Vielleicht versteh ich dich dann. - Ich hab übrigens meinen eigenen Kopf voll mit Problemen. Wenn du also irgendeinen Mist loswerden musst, dann geh zur Anita, der Müller von nebenan. Die hört sich gerne alles an."
„Oh, Hannelore! Nicht die Müller - bloß nicht. Nein, nein! Warte, ich sag ja, was los ist. Also, da behauptet ein Kerl, du hättest was mit meinem Mann - also mit Carlos."
„Ein Kerl behauptet, ich hätte was mit Carlos? - So? Wer? Warte, ich hol das Fleischmesser aus der Küche und dann gehen wir zu diesem Kerl. Dann soll der das noch mal wiederholen - im Angesicht des Todes."
Sie geht in Richtung Küche und Heike springt hoch, hält sie fest.
„Warte, warte. Also, um genau zu sein, der hat nicht gesagt, das du ... Ich dachte nur ... Ich hab halt gedacht ... Er, also Carlos, könnte ja nur ... Wen sonst?, hab ich gedacht. Du bist doch die einzige Frau, die Carlos nahe gekommen ist - ich meine, die ihn verführen könnte. Du weißt schon, wegen damals, beim Tanzen im ..."
„Sag mal, spinnst du? Das traust du mir zu? Und übrigens, dein Carlos kann mir gestohlen bleiben. Den kannst du mir nackt ins Bett legen, da schlaf ich bei ein. Also, das ist doch ..."
„Hannelore! Du beleidigst deine besten, deine allerbesten Freunde!"
„Quatsch! Aber dein Carlos lässt mich eben kalt."
„Ach? Hast du damals die Arme um seinen Nacken gelegt beim Tanzen? Oder hast du nicht?"
„Oh, mein Gott! Das ist zehn Jahre her. Und damals waren wir alle beschwipst. Da war doch nichts dabei."
„Nichts dabei? Ha! Ich hab die Blicke von Carlos gesehen. Stieraugen hat der gehabt. In deinen Ausschnitt hat der geglotzt. Erzähl mir nichts."
„Es reicht, Heike! - Jetzt noch mal von vorne. Wer hat was behauptet?"
„Ein Kerl, irgendeiner. Der hat mich schon zwei Mal angerufen - vorhin erst wieder. Ich würde von Carlos betrogen. Er ginge mit einer Schlampe - Schlampe hat er nicht gesagt - also mit einer anderen ins Bett. Ob ich keine Ahnung hätte. Und da bin ich durchgedreht, da dachte ich ..."
Jetzt suchen Hannelores Augen nach einer Sitzgelegenheit, gleiten ihre Arme aus den Hüften, lässt sie sich schwer in den nächsten Sessel plumpsen. Sie stiert ihre Freundin an, die mit feuchten Augen um Fassung ringt.
„Siehst du!", schluchzt die. „ Nicht wahr? Das wirft dich auch um? Das hättest du nicht gedacht, was? Verstehst du jetzt, warum ich so fassungslos bin? Carlos! Wenn Männer schon Carlos heißen. Don Carlos!"
„Oh, Heike", haucht Hannelore.
„Ach, mir ist schlecht!", ruft Heike und wirft die Hände vors Gesicht. „Hilf mir doch. Mein Carlos, mit dem ich fünfzehn Jahre verheiratet bin, geht fremd. Ich werde schamlos betrogen."
Plötzlich springt sie auf. „Ich bring das Flittchen um! Ich bring sie brutal um; ich schneide ihr die geilen Brüste ab, steche ihr die Augen aus. Wo ist dein Fleischmesser?"
Hannelore schluckt und versucht mühsam, den Klos aus dem Hals weg zu kriegen. „Warte, Heike, langsam", sagt sie endlich und fasst die Hand ihrer Freundin. „Hat der Kerl seinen Namen gesagt?"
„Nein. Hat er nicht. Bedauert hat er mich. Ein armes Mauserl sei ich. ‚Armes Mauserl'! Stell dir das vor; so eine Erniedrigung! Die ganze Welt weiß es wahrscheinlich, nur ich nicht."
Jetzt muss auch Hannelore aufstehen, tief Luft holen, noch einmal kräftig durchatmen, ein sanftes, verzeihendes, alles verstehendes Gesicht aufsetzen und Heike die wirr hängenden Haare aus dem Gesicht streichen.
„Liebste Heike! Wie lange bist du verheiratet? Fünfzehn Jahre? Und da kennst du deinen Carlos so wenig? Da genügt ein Anruf von so einem Scherzbold - was sag ich - von so einem Telfonterroristen, um dein Vertrauen völlig weg zu wischen? Du? Du, die immer so sicher sagt: Mein Carlos, auf den kann ich mich verlassen? Heike, Heike! Du bist einem Verbrecher auf den Leim gegangen. Leichtsinnig und ohne nachzudenken."
„Du meinst ...?"
„Ja, ich meine! So etwas tut man nicht, liebe Heike. Misstrauen, bloß wegen so einer dämlichen Behauptung. Das hätte ich nie gedacht, dass du so leichtfertig eure Ehe aufs Spiel setzt. Unbegreiflich! Hoffentlich hast du Carlos noch nichts ..."
"Nein, nein! Oh, mein Gott, nein. Hab ich nicht. Kein Wort. Er weiß nichts. Nur mit dir, meiner besten ..."
„Das war klug, wenigstens da hast du richtig gehandelt."
„Was soll ich denn jetzt machen?"
„Machen? Du? - Warte mal. - Heute ist doch Freitag, nicht wahr? Unsere Göttergatten kommen doch mittags schon aus der Firma, nicht wahr? Also, du bestellst bei ‚Zindels' einen Tisch und dann überraschst du deinen Carlos mit dem blauen Kleid - du weißt schon, das, wo dein kleiner Busen viel größer aussieht - und lädst ihn ein. Einfach mal so. Sagst ihm, er wär der tollste Mann - äh - oder so was. Na? Was sagst du dazu? Und kein Wort, nie und niemals, über diesen Mist."
„Meinst du, das würde ...?", fragt Heike mit zweifelnd gerunzelter Stirn.
„Ja natürlich! Und am Abend geht ihr nach einem schönen Glas Wein in die Falle und du verführst deinen Carlos nach allen Regeln der Kunst. Das wirst du ja wohl nicht verlernt haben. Und da wirst du ja erleben, dass er keine andere hat."
„Hannelore! Du bist ein Schatz. Du bist meine allerallerbeste Freundin, wirklich."
„Na also", seufzt Hannelore. „Und jetzt verschwinde. „Ich hab jede Menge zu tun."
„Ach ja! Eigene Probleme? - Hast du vorhin selber gesagt."
„Ja, ja. Erstens ist mir das schöne Bild mit dem Schimmel, du weißt schon, runtergefallen. Ich muss es gleich ins Fotogeschäft zur Reparatur bringen. Zweitens muss ich einkaufen; Fred wünscht sich freitags sein Lieblingsessen - Argentinisches Rindersteak, dieses blutige Anguszeugs - mit Salat, zum Mittagessen. Drittens muss ich mich noch umziehen und viertens muss ich Rouge auflegen und den ganzen Kram. Wenn das keine Probleme sind! Und in zwei Stunden ist Werner da."
„Ach, Hannelore. Was haben wir's doch gut mit unseren Männern, was? Wenn ich an die Müller denke. Hast du gehört, was sich die Leute erzählen? Also, das musst du dir anhören. Der Alte von der soll ja ...", plappert Heike los.
„Halt! Ich hab eigene Probleme, hab ich gesagt. Ein anderes Mal. Mach, dass du raus kommst. Und leg das verführerisches Parfüm auf, das, bei dem ich immer Niesen muss. Soll ja auf Männer so toll wirken - sagt jedenfalls mein Werner", ruft Hannelore, zieht Heike hoch und schiebt sie zur Haustür.
„Wie erklär ich Werner das nur mit der Mauserltasse?', denkt sie, als sie ins Bad eilt.
„Ach Hanni!", flüstert sie ihrem Spiegelbild zu. „Ach Hanni! Was hast du doch für ein Glück mit deinem Wernerlein. Und so schlimm sind die paar Falten auch nicht. Wenn ich mir da Heikes Gesicht ansehe! - Und die ist doch, warte mal, ja sicher, drei Jahre jünger als ich."

Werner ist nicht pünktlich. Nicht so, wie sonst freitags. Drei Uhr hat die Standuhr im Wohnzimmer schon vor Ewigkeiten geschlagen.
Sie seufzt als sie endlich den Wagen hört. ‚Der Arme! Immer freitags türmen sich die Probleme.'
„Hallo, mein Schatz! Du bist aufgehalten worden? Hast du viel Ärger gehabt? Erzähl", flötet sie und eilt zu ihm in den Flur.
Bevor er den Mantel auf den Bügel hängen kann, hat sie ihn schon umfasst, dreht ihn sich zurecht und küsst ihn. Sie braucht volle fünf Sekunden, um zweierlei festzustellen: Erstens presst Werner seine Lippen so fest zusammen, dass sie hart wie Stahl wirken. Zweitens - und das lässt alle ihre Alarmglocken schrillen - riecht sie Naomagic!
Naomagic! Bei Engelmanns, Werners Chef, war der Duft zum ersten Mal in ihre empfindsame Nase gestiegen. Frau Engelmann hatte davon reichlich aufgetragen. „Naomagic! Das ist der Hit am Parfümmarkt. Sündhaft teuer, meine Liebe - aber es wirkt!", hat Frau Engelmann mit Verschwörerstimme geflüstert.
Es wirkt! Sie zieht die Luft ein, dicht an Werners Hals. Er riecht eindeutig nach Naomagic! Sie lässt die Arme sinken, geht einen Schritt zurück, sieht in sein Gesicht, sucht Spuren. Lippenstift? Make up am Hemd?
‚Nichts! Verdammt!', denkt sie. ‚Trotzdem: Er geht fremd!'
„Was ist? Was schaust du mich so an?", fragt er.
Sie holt tief Luft. „Du riechst nach einer Frau!"
„Was? - Du spinnst. Geht's dir nicht gut?"
„Rede nicht! Du riechst nach Naomagic, diesem irre teuren Parfüm. Das sprühst du dir ja wohl nicht selber auf den Hals. Oder?"
„Ach so! - Ja, das! -  Ähm. - Das ist ... Ich war bei Stresemanns. Du weißt doch, die Immobilien-Stresemanns."
„Und deshalb ..."
„Nein, nein. Ilse - äh - also Frau Stresemann. Das war geschäftlich. Frau Stresemann, hat mich bei der Verabschiedung an sich gedrückt und links und rechts einen Kuss in die Luft ... Verdammt! Du kennst das doch, wie man das so macht."
„So? Ich kenne das?"
„Was ist los, Hannelore? - Sag mal? - Bist du etwa eifersüchtig?"
„Quatsch! Aber was würdest du sagen, wenn ich nach Davidoff riechen würde?"
Sie wartet keine Antwort ab, geht in die Küche, trägt das Essen auf, verkündet mit säuerlicher Miene, dass es natürlich nicht mehr so schmecken würde wie vor zwei Stunden, isst wortlos und lustlos, schielt ständig zu seinem Gesicht, prüft Mimik und Hemdkragen.
„Ich muss noch mal fort", sagt er nach dem Essen, als sie gerade das Geschirr in die Küche trägt und ist schon weg.
„Schwein!", murmelt sie, als die Tür ins Schloss fällt. „Also doch! Er geht zu dieser Naomagic-Nutte. Konnte ja gar nicht schnell genug essen. Dachte beim Anblick meines Steaks sicher nur an ihr Frischfleisch. Saukerl! Na warte!"
Sie wirft sich in den Sessel, sucht ein Taschentuch, findet keins, rennt ins Schlafzimmer, nimmt gleich zwei aus der Schublade, eilt zurück zum Sessel und dann laufen die Tränen in Sturzbächen.
„So ein elender Hund! Der Terrorist hat also doch Recht", schluchzt sie ins zweite Taschentuch - das erste liegt bereits durchnässt am Boden.
„Was mache ich bloß? Kämpfen? - Um Werner? - Ich? - Scheißkerl!"
Das zweite Tuch ist nass und sie lässt es einfach fallen.
Die Tür klappert. ‚Nein! Das ... Das kann doch noch nicht ... Ha! Vielleicht ist die Nutte beschäftigt?', denkt sie.
Er steht schon im Zimmer. „Hallo! Bin zurück, Hanni", sagt er mit Schmalz in der Stimme und blutrotem Rosenstrauß im Arm.
Er blickt auf das Häufchen Elend herunter. „Geht es dir nicht gut? Kopfschmerzen? Du Arme! Hier, meine Hanni, das hilft. Als Dank dafür, dass du immer Verständnis für mich hast. Als Dank dafür, dass du mir immer vertraust."
Sie lässt sich die Rosen in den Arm drücken, schiebt die nassen Taschentücher mit dem rechten Fuß unter den Sessel, wischt sich mit dem freien linken Arm übers Gesicht und spürt kaum die Dornen, die sich in ihr Fleisch drücken.
Sie springt auf, schluchzt, heult, wirft die Arme samt Rosen um den nach Naomagic duftenden Hals und küsst seine - diesmal offenen und weichen - Lippen.
‚Ich bin ja so blöde', denkt sie. ‚Ach, mein Werner! Mein treuer Werner!'
„Freust du dich? Hab ja auch lange keine Blumen mehr mitgebracht."
„Ja, ja. Ich freue mich. Danke", sagt sie dem duftenden Hals und erblickt einen kleinen, stecknadelkopfgroßen, leicht verschmierten, roten Fleck am Hemdkragen.
‚Nein!', denkt sie. ‚Nein! Hannelore, denk jetzt keinen Quatsch. Warum sollte ...'
Ihre Gedanken purzeln durcheinander, lassen den kleinen Punkt anwachsen zu einem riesigen Schandfleck. Sie lässt die Arme sinken, sieht in das Gesicht, dass sie so gut kennt, blickt in die blauen Augen, sieht den leichten Schweißfilm auf der Oberlippe, die grauen Bartstoppeln, die sie immer so kitzeln und beschließt, ab sofort nicht mehr an ihm, an seiner Treue, zu zweifeln.
‚Oder? Hat dieser Scheißterrorist doch Recht? Verdammt! Wenn das Schwein ... Ach, was war das Leben doch schön und einfach - bis gestern', denkt sie und eilt in die Küche, um die Blumen ins Wasser zu stellen.