Die Geschichte einer unendlichen Liebe

Die Tänzer des Meeres

 

Wir fahren mit einem der flachen Fischerboote entlang der Küste von Kreta. Ich beuge mich über Bord und schaue ins klare Wasser, das den Blick in die Tiefe erlaubt. Wogendes Seegras sehe ich und Fische, große Schwärme, die wie auf Kommando gemeinsam und synchron die Richtung wechseln. Und dann, still stehend und ruhig, eine sonderbare Gestalt; farbig schillernd im von der grellen Sonne beleuchteten Wasser. Ein Wesen, so bizarr und schön, dass mir der Atem stockt. Es blickt mich aus riesigen Augen an, sinkt langsam tiefer, verschwindet im Dämmerlicht.
„Halt an!", rufe ich dem Bootsführer zu und beuge mich tief herab. „Da ist etwas Eigentümliches!"
„Was soll das schon sein", sagt der Bootsführer. „Ein Hai? Kleiner als ein Hai?"
„Viel kleiner. Ein ganz kleines Tier. Ich weiß wie es heißt. Es ist zauberhaft und geheimnisvoll", sage ich und möchte ihm am liebsten hinterher springen.
Das Boot schaukelt sanft in den flachen Wellen. Meine Gedanken verharren bei diesem Wesen, das so still im Wasser stand. Ich habe es sofort erkannt. Wer es einmal im Leben gesehen hat, der vergisst es nicht mehr. Ich beschließe spontan ihm eine Geschichte zu geben. Eine Geschichte, die zu dem passt, was ich empfunden habe, als ich es erblickte. War da nicht eine unendliche Sanftheit, gepaart mit Traurigkeit in den dunklen Augen gewesen? War es das, was „Es" so geheimnisvoll erscheinen ließ?„Es"? In meiner Geschichte wird „Es" ein „Er" sein. Jawohl, ein männliches Wesen. Damit wir in dieser Geschichte einen Bezug zu ihm aufbauen können, will ich ihm einen Namen geben, ihm, dem Geheimnisvollen, dessen dunkle Augen mich fasziniert haben.
Wie soll ich ihn nennen? Ich könnte natürlich sagen: „Der Langschnauzige", denn so sah er aus. Es wäre die Bezeichnung die es auf den biologischen Punkt bringen könnte, aber das würde sofort jedes romantische Gefühl töten.
Ähnlich erginge es, würde ich ihn - wie es besonders gebildete Menschen tun - „Hippocampus guttulatus" oder „Hippocampus ramulosus" nennen. Auch das vergessen wir mal sofort.
Nun wissen aber alle, die diese Geschichte lesen, dass ich von einem Wesen spreche, das man „Seepferdchen" nennt. Oder hat das jemand noch nicht begriffen? Sie? Aha! Seepferdchen also. Was auch ein absoluter Blödsinn ist. Das hört sich an wie ... na ungefähr wie „Kasperle". Schuld an diesem Namen sind wohl wieder die ollen Griechen mit ihren Sagen, die nichts ausließen und die Seepferdchen als die Nachfahren jener Rösser ansahen, die Poseidons Streitwagen zogen.
Aber sie sind keine Sagengestalten, es sind echte Lebewesen. Wenn Sie solche Geschöpfe an Ihrem Urlaubsort - etwa am Mittelmeer - getrocknet in Schaufenstern oder Läden sehen, vergessen Sie nicht, woher sie gekommen sind. Aus den Tiefen der Meere. Denken Sie daran, dass sie vom Aussterben bedroht sind, weil sie in Massen aus dem Meer gefischt werden und dabei oder danach grausam getötet werden.

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Für diese Geschichte will ich eines dieser Seepferdchen herauspicken, an ihm das Leben und Sterben vieler seiner Artgenossen deutlich werden lassen. Wir nähern uns diesem wunderbaren Lebewesen, dessen Geschichte ich erzählen will, indem ich ihm einen Namen gebe, der zu ihm passt. Es ist natürlich ein Fantasiename, der niemals zuvor - ich kann es beschwören - an die Ohren eines Fisches gekommen ist. Also: „Er" soll fortan „Karl-Otto!" heißen. Na, macht das was her?
„Warte noch!", rufe ich dem Bootsführer zu. „Ich muss erst noch etwas erledigen."
„Kostet Ihr Geld. Ist also Ihre Zeit, Herr Schriftsteller", sagt der grantige Kerl und schaut auf seine Uhr.
Ich beuge mich tief über Bord, so tief, dass ich mit dem Mund das Wasser berühre. Mit den Händen forme ich einen Trichter und rufe ins blubbernde Wasser: „Karl-Otto!" und noch einmal „Karl-Otto!"
Das Seepferdchen Karl-Otto bleibt unsichtbar, hat wohl kein Interesse an der Namensgebung. Das Wasser spritzt in meinen Mund, schmeckt sehr salzig. Ich tauche mit dem Gesicht hinein und rufe noch einmal mit aller Kraft „Karl-Otto!". Nun hat „Er" einen Namen und meine Geschichte kann beginnen.
„Touristen", sagt der Bootsführer abfällig. „Die spinnen, die Touristen!"
„Fahr los!", sage ich, lehne mich zurück, blicke übers Meer, in den milchigblauen Himmel und meine Gedanken versinken in Wasser des Mittelmeeres.

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ÂÂ Seine Heimat ist die endlose Seegrasweide, die ihm Schutz und Nahrung bietet. Natürlich war „Er" in Wirklichkeit namenlos, das muss uns zunächst einmal klar sein. Niemals in seinem langen Leben von immerhin 370 Hellzeiten hatte ihn einer aus der Tiefe mit Namen angesprochen - nicht einmal „Sie". Seine Zeiten waren geteilt in Hell- und Dunkelzeiten, die ihm den Rhythmus gaben, nach dem er lebte.
„Sie", das wusste er, seitdem er sie vor ungefähr 40 Hellzeiten gesehen hatte, war seine Zukunft - wenn er sie jemals wiedersehen würde.
„Sie" war alles, was er in den Ruhezeiten, wenn er an seinem starken Seegrasstängel ausruhte, im Kopf hatte. „Sie" machte ihn verrückt, ließ ihn alle Vorsicht vergessen; seine beiden eigenständigen Augen suchten in der Ferne, soweit es die Dämmerung dort unten zuließ und im sanft schwingenden Seegras nach ihr - ohne nach etwaigen Feinden Ausschau zu halten.
Weder interessierten ihn die kleinen Krebschen oder die Schwebegarnelen, die ansonsten seine Lieblingsspeise waren, noch die Jäger, die ihn gerne gefressen hätten. Nicht einmal der Schatten, den das Boot über ihm erzeugte, machte ihn neugierig. Nur Trauer und Leere füllten sein Denken.

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ÂÂ Karl-Otto war ein stattlicher Kerl von sage und schreibe 18 Zentimeter Länge, die er natürlich nur bei ausgestrecktem Schwanz erreichte - was selten passierte. Majestätisch schwebte er im Wasser, bewegte den langen Kopf in Zeitlupe. Sein Knochenpanzer, der ihn von „Kopf bis Fuß" schützend umhüllte, war rosarot, leuchtete prächtig im Halbdunkel, das in seinem Lebensbereich in den Hellzeiten herrschte. Natürlich ist das, was die Farbe seines Panzers betrifft, eine Momentaufnahme, denn als Karl-Otto „Sie" gesehen hatte, war es um seine Farbe geschehen, wie wir später erfahren werden. Man muss wissen, dass die Farben der Seepferdchen nicht statisch sind, sondern schon mal wechseln können.
„Sie" dagegen hatte einen knallgelben Panzer. Knallgelb? Ha! „Sie" war nicht anders als andere Weibchen ihrer Art; nur eine Farbe reichte natürlich nicht.
„Man muss schon was tun, um die Konkurrenz aus dem Wasser zu schlagen", lautete ihr Wahlspruch.
Rote Punkte zierten ihren Panzer, gaben ihrer zierlichen Figur ein erotisches Aussehen. Und genau darin hatte Karl-Otto sich zuerst verliebt. Zuerst! Denn als er ihr rechtes große Auge sah, mit dem sie ihn beobachtete, während das andere gierig die Flohkrebse - die gerade als Schwarm vorbeihuschten - betrachtete, war es vollends um ihn geschehen. Dieses große dunkle Auge trug die Geheimnisse der ewigen und unergründlichen Meereswelten in sich, ließ seine Seele in Tiefen versinken, in denen er sich verlor.
„Sie" war kleiner als er, aber nicht sehr viel. Die zierliche Rückenflosse bewegte sich in einer Weise, die ihn elektrisierte; langsam ruderten ihre Brustflossen, drehten den schwebenden Körper in seine Richtung.
Immer hatte er geglaubt, dass er die Wahl hatte, dass er sich für das passende Weib entscheiden würde. Das war absolut klar und sein Selbstbewusstsein ließ nichts anderes zu. Und nun das. Er wusste sofort, dass „Sie" ihn auserkoren hatte und nicht er „Sie". Und doch war er bereit.
„Was ist nur mit mir los?", dachte er ziemlich verwirrt.
Er vergaß alle seine Matchogedanken. Noch nie war er so sicher gewesen wie bei ihr. „Sie ist es!", dachte er nur - und war schon ein wenig verliebt. Wir kennen das ja. Manchmal genügt ein Blick aus dunklen oder blauen Augen und schon ist es geschehen.
„Sie" verschwand nach dem Morgentanz, den „Sie" - wie ihre Artgenossen - beim Wechsel von der Dunkel- zur Hellzeit vorführte. Manchmal schwebte „Sie" weiter hinten über dem Seegras, fast am Rande seines Bereiches. Er suchte „Sie", pendelte ihr langsam nach, ließ sich von der sanften Strömung, die das Seegrasfeld wogen ließ, treiben. Manchmal verlor er „Sie" aus den Augen, aber dann tauchte „Sie" wieder auf, tanzte um ihn herum. So ging das einige Hellzeiten lang. Allmählich hatte er das Gefühl, dass „Sie" schon immer da gewesen war. Er ließ es zu, dass „Sie" die fettesten „Schwebegarnelen vor seinem Saugrüssel in sich sog, hatte keinen Neid, nur Liebe für sie übrig.

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ÂÂ Dann kam das Verhängnis. So nannte er das, was er nicht näher beschreiben, nicht erklären konnte, was aber schon immer als ein mögliches Unheil in seinem Bewusstsein verankert war. Er hatte sich gerade vom Grasstängel gelöst, schwebte mit kleinen Schlägen der Brustflossen in die Richtung, in der „Sie" gewöhnlich die Dunkelzeit verbrachte. Weit hinten erblickte er sie, sah, wie sie sich nach oben bewegte, bereit für den allmorgendlichen Tanz.
Ein schwarzer Blitz schoss mit ungeheurer Geschwindigkeit über ihren Köpfen dahin, brüllte ins Wasser und zog einen wirbelnden Schleier hinter sich her.
Karl-Otto verkrampfte in einem angeborenen Reflex seinen langen Greifschwanz um den Seegrasstengel, der gerade neben ihm war, und ließ erst los, als sich das Wasser beruhigt hatte. Seine Augen suchten in Panik die Umgebung ab. „Sie" war nicht mehr da!
Noch nie war er so schnell, so unüberlegt und hastig über den Grund geschwebt. Geschwebt? Ha! Wie der Blitz flog er dahin - mindestens einen Meter in fünf Minuten; seine Rückenflosse wirbelte nur so. Bis an den Rand seines Bereiches, den ihm kein anderes männliches Seepferdchen streitig machen würde, trieb er. Nur kurz verharrte er dort, umrundete sein ganzes Gebiet auf der Suche nach ihr. Nichts! „Sie" war fort, weggerissen vom Schleier, der alles Bewegliche mitgenommen hatte.
Das war der Moment, in dem Karl-Otto mehrere Dinge - fast gleichzeitig - feststellte: Erstens begriff er seine große, unendliche Liebe zu der Entschwundenen. Zweitens empfand er eine furchtbare und tiefe Trauer. Drittens entwickelte sich eine tierische Wut auf alle schwarzen Blitze und ihre Schleier. Viertens schwor er denen eine wilde Rache und schließlich wurde ihm klar, dass er „Ihr" unbedingt einen Namen geben musste. Denn da erging es ihm nicht anders als uns. Wie können wir - unsterblich verliebt - an so ein Wesen denken, wenn wir nicht einmal wissen, wie es heißt?
„Weil ich „Sie" liebe, muss „Sie" einen Namen haben", sagte sich Karl-Otto und nannte „Sie" fortan „Paulinchen". Dem schließen wir uns an, denn er hatte die Wahl und wir finden den Namen passend für dieses überirdisch schöne Wesen.

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Paulinchen war also verschwunden und so begann die Zeit, in der er trübsinnig über dem Seegras schwebte, unlustig die Beute in seinen Röhrenmund saugte und die Augen dabei in die Ferne schweifen ließ. Eines nach links und das andere nach rechts. Weder das rechte noch das linke Auge entdeckte jemals Paulinchen. Mal war es eine längst vergebene, sogar ziemlich schrullige Seepferdchenfrau, die ihm begegnete, mal eine, die zwar hübsch anzusehen war, aber kein Interesse an ihm zeigte.
Hatte ihn das früher geärgert - „Immerhin bin ich der Schönste weit und breit!", dachte er dann - so ließ ihn das jetzt kalt.
Sein Tagesablauf war wie immer. Er löste sich vom Seegrasstängel, sobald die Hellzeit begann, die Umgebung sichtbar wurde, ließ sich von den vibrierenden Strömungen tragen und begann seinen Morgentanz. Ohne rechten Hunger saugte er vorbei schwebende Flohkrebse ein, zog den Kopf ein, wenn ein Raubfisch in der Nähe war und ließ sich treiben, bis die Dunkelzeit begann und er sich an seinen Platz begeben musste.

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ÂÂ Die Hell- und die Dunkelzeiten gingen vorüber, seine Gefühle für Paulinchen waren und blieben unverändert. Karl-Otto verstand nicht, was passiert war, konnte nicht an ihren Tod glauben, denn dazu hätte er sie da auf dem Seegras liegen sehen müssen. Dann erst hätte er verstanden, hätte mit seiner nie endenden Trauer leben müssen. So aber war er dazu nicht fähig, wusste nur, dass es mit dem schwarzen Blitz zu tun hatte, der sie mitgenommen hatte.
Tief in seinem Gedächtnis hatte er den Schrei seines Vaters verwahrt, der von so einem schwarzen Blitz entführt worden war. Da war er gerade zwanzig Hellzeiten alt gewesen. Die Alten und seine Mutter hatten sich damals schreckliche Geschichten erzählt. Von diesem schwarzen Blitz und dem Schleier, der sie erfasste und mitnahm.
„Wer einmal in diesem Schleier ist, der kommt niemals zurück", hatte der Bruder seines Vaters erzählt. Er war Witwer, hatte seine geliebte Frau auf solche Weise verloren.
Aber auch er wusste nicht, wohin der Schleier sie brachte. Ob sie dort an anderer Stelle weiterlebten oder von dem schwarzen Blitz gefressen wurde, wie manche behaupteten, das blieb unklar.
„Es wird eine Hellzeit kommen, da sind wir alle wieder zusammen", versprach damals eine schon ziemlich tüddelige alte Tante, die immer so geheimnisvolle Sachen sprach. Aber das glaubte kaum einer und die Angst war seit dieser Zeit immer in ihm gewesen. Jetzt kam noch die Trauer hinzu; die Trauer um das entführte Paulinchen. Um sein Paulinchen!

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ÂÂ Es war eine Hellzeit wie alle andern zuvor - und wie keine danach. Karl-Otto hatte seinen Greifschwanz um den dunklen Seegrasstängel gelegt und träumte mit offenen Augen.
Ein Schwarm Mamorbrassen kam von links und zog an ihm vorbei. Er hatte keines seiner beiden Augen für sie übrig. Auch nicht für den roten Meerbarbenkönig, der ihn abfällig musterte. Nicht einmal die quirligen Zebra-Brassen, die einen wilden Zickzackkurs vor seinem Saugrüssel vorführten, fanden seine Beachtung.
„Paulinchen!", dachte er wehmütig, als er ihren feinen quittegelben, rot gepunkteten Panzer über der Seegraswiese schweben sah.
„Leider nur ein Traum", dachte er und saugte mit halber Kraft - und völlig gedankenlos - eine Schwebegarnele ein, die gerade vorbei kam. „Sie wird nie mehr kommen. Nie mehr."
Karl-Otto drehte seine Augen nach links, dann nach rechts, betrachtete den Schwarm der Goldstrieme, der langsam vorbeizog und schaute wieder rüber zum Seegrasfeld. Es wogte leicht in der sanften Strömung, Halme reckten sich und mitten drin leuchtete ein quittegelber Fleck. Starr schaute er auf diesen Punkt, konnte nichts anderes mehr denken als „Paulinchen". Der quittegelbe Punkt schwebte langsam näher, unendlich langsam, wurde größer und größer. Rote Punkte sah er und dachte, das käme von seinen schlechten Augen. Aber dann kam der Moment, in dem alle Zweifel zu Wassertropfen wurden, die sich im Mittelmeer auflösten.
„Sie ist es!"
Ja, es war Paulinchen. Langsam trieb sie heran, wedelte spielerisch mit den zierlichen Brustflossen. „Hallo", sagte sie und hatte nur Augen für ihn.
„Paulinchen", seufzte Karl-Otto. „Wo warst du nur?"
„Hä? Wer ist denn Paulinchen?", fragte Paulinchen und drehte sich so, dass ihr rechtes Auge nach hinten schauen konnte. Aber da war nur ein Sägebarsch, der bestimmt nicht Paulinchen hieß.
„Du. Ich meine, du bist Paulinchen. Ich habe dich vermisst."
„So?", fragte sie etwas schnippisch. „Und wieso Paulinchen?"
„Nun ja, einfach so. Es passt zu dir", sagte er und ließ den Seegrasstängel los.
„Ich habe einen Namen? Das gab's ja noch nie! Und warum dies?"
„Du warst so lange weg. Damit ich an dich denken konnte, so richtig, meine ich, habe ich dir den Namen Paulinchen gegeben. Fiel mir einfach so ein."
„So, so. Fiel dir einfach so ein. - Und du? Wie soll ich dich nennen? Wenn schon, dann du auch. Soll ich mir etwas aussuchen?"
„Nein, nein! Ich glaube, ich habe schon einen. Ist nur so ein Gefühl, aber ich meine ... Ob ich es geträumt habe? Oder hat mich jemand so gerufen? Nun ja, ist ja auch egal. Ich weiß einfach, dass ich Karl-Otto heiße. Gefällt dir der Name?"
„Karl-Otto? Hmm! Nun ja, das spricht sich gut und bei deinem schönen Kranz, den du auf dem Kopfe trägst, da ... Also, irgendwie wirkst du besonders, also so passend zu dem Namen."
„Fein. - Nun sag schon, Paulinchen. Wo, liebes Paulinchen, bist du gewesen? Was ist mit dir passiert?"
„Ach, Karl-Otto, das war schrecklich. Dieser Schleier, du weißt schon, riss mich an sich, zog mich mit sich, dass mir ganz schwindelig wurde. Unzählige unserer Art waren in dem Schleier gefangen, wurden von großen Fischen zerquetscht, erdrückt. Es war ein Jammer. Die Fische, die sonst hier um uns herum leben, die waren wütend, tobten wie du es noch nie gesehen hast. Besonders ein Zackenbarsch, du weißt schon, dieser braune Riese, der war wild und böse. Er biss schließlich ein Loch in den Schleier, sauste hindurch und war verschwunden.
Ein paar unserer Artgenossen fielen gemeinsam mit mir hinterher, purzelten durch das Loch. Ja, so war das. Dann habe ich mich auf den Weg gemacht, zurück zu dir. Ich wollte nur zu dir. Ich hatte dich doch gesehen und wusste ..."
„Was, Paulinchen, wusstest du?"
„Ach, ich mag's nicht sagen", flüsterte Paulinchen und ihr Panzer wurde für einen Moment ganz rot.
Sie glitt zu ihm hin, verhakte ihren Greifschwanz in seinen, zog ihn also mit sich und er folgte willig. Sie drehten sich, stiegen mühelos empor, ließen sich wieder sinken, bis die Schwanzspitzen das Gras berührten, kreisten langsam um ihre Achse.
Er ließ den Blick nicht von ihr, fühlte eine Schwerelosigkeit, wie er sie noch nie erlebt hatte, glitt mit ihr in die Höhe, bis die Helligkeit den Augen weh tat, fühlte voller Glück ihre Nähe.
„Komm", sagte er und zog sie mit sich zu seinem dicken und festen Seegrasstängel. „Komm zu mir."
Sie hakten sich beide am glatten Stängel ein, nutzten ihn als Dreh- und Angelpunkt, um sich in gleichem Rhythmus um ihn zu winden, an ihm auf und ab zu gleiten.
Endlos, schier endlos dauerte dieses Spiel, bis Paulinchen sich löste und langsam mit der sanften Strömung wegtrieb.
„Bleib!", rief er, aber sie drehte nur das linke Auge zu ihm hin und wieder glaubte er die Geheimnisse des unendlichen Meeres zu sehen.
„Bis morgen", rief sie leise und er wusste, dass alles gut und richtig war.

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Als die Dunkelzeit sich unter die Grasmatten verkroch, die bunten Schuppen des Meerpfaus wieder im Licht glänzten, da war sie ganz dicht bei ihm. Langsam hakte sie sich unter ihm an den Stängel, begann erneut ihren Tanz, dem er synchron folgte.
„Komm", sagte sie nach einiger Zeit, löste sich und schwebte frei vor ihm
Er folgte ihr und schaute auf seinen lang ausgestreckten Greifschwanz. Erschrocken blickte er zu ihr hin, sah, dass ihr quittegelber Panzer stärker glänzte als zuvor.
„Schau mich an!", rief er. „Schau dir das an!"
„Ich weiß", rief Paulinchen zurück. „Dein Panzer sieht genau so aus wie meiner. Das ist das Zeichen, weißt du das nicht?"
Ja, so war es, sein Panzer sah genau so quittegelb aus wie der von Paulinchen, hatte fast an den gleichen Stellen rote Punkte.
„Komm", rief Paulinchen, „lass uns ein wenig dein Wohngebiet ansehen. Mal sehen, ob Nahrung genug für uns da ist. Wir sind nun ein Paar."
„Wenn du es sagst", seufzte er glücklich.
Sie hakten ihre Greifschwänze ineinander und ließen sich treiben. Nur ganz langsam kamen sie voran, öffneten ab und zu ihre Saugrüssel, um Fischlarven einzusaugen. So flanierten sie kreuz und quer durch das Revier.
„Es gefällt mir hier. So viele Larven von Insekten, so viel Plankton und Schwebegarnelen. Du wohnst nicht schlecht - und das ist gut für unsere Kinder."
„Unsere ... Unsere Kinder? - Du meinst?"
„Wenn ich was sage, dann meine ich es auch", sagte Paulinchen und ihre unergründlichen Augen schossen Blitze. „Oder willst du keine Kinder? Verstehen könnte ich es ja, denn es ist ja schließlich Männersache. Vorbei für lange Hellzeiten mit dem lustigen Leben. Nur noch Kinder, Kinder, Kinder."
„Oh! Nein, das ist es nicht. Nein, das ist schon gut so. Ich meine nur ..."
„Was meinst du nur?"
„Nun ja, wir kennen uns doch erst ein paar Hellzeiten. Du meinst das reicht?"
„Ha! Diese Männer! Wie lange soll ich denn um dich werben? Wie hättest du es denn gerne? 365 Hellzeiten? So lange hast du nun auch nicht mehr zu leben."
„Oh, du irrst dich. Ich sehe zwar älter aus, aber es sind erst runde 400 Hellzeiten, die mein Panzer auf sich geladen hat. Und da bleiben mir, bei allen Meeresgöttern, immer noch gute 1800 Hellzeiten."
„Oha! Du kannst aber gut rechnen. Ja, ich habe dich wirklich für älter und reifer gehalten."
„Ich bin reifer!"
„Gut! Das sage ich doch die ganze Zeit. Also?"
„Frauen haben immer Recht! - Ach Paulinchen, du hast wirklich Recht. Wenn nicht jetzt, wann dann!"
„Ja", sagte sie und entschwebte, ließ ihn ratlos zurück.

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Gerade brach die vierte Hellzeit an, nachdem Paulinchen ihrem Karl-Otto erklärt hatte, dass sie von ihm Kinder haben möchte. In den Dunkelzeiten, wenn sie nicht da war, in ihrem Revier schlief, drehten sich seine Gedanken nur noch um das Eine. Ja, er wollte es mit ihr tun, wollte ihre Kinder gebären. In stiller Lust sehnte er die Hellzeiten herbei, wartete auf Paulinchen, auf ihren morgendlichen graziösen Tanz.
An diesem Morgen kam sie später als sonst, tanzte dicht vor ihm, zog ihn magisch an. Stundenlang tanzten sie, mit ihren Greifschwänzen verhakt, langsam und voller Lust.
Plötzlich stockte Paulinchen, löste sich von ihm reckte die Rüsselschnauze steil nach oben, streckte den Greifschwanz pfeilgerade nach unten. So verharrte sie.
Er blickte sie an, voller Verlangen, und Wellen durchströmten seinen Körper, ließen den Panzer zittern.
„Komm!", sagte Paulinchen. „Komm jetzt."
Karl-Otto konnte keinen klaren Gedanken fassen, wusste nur, dass es endlich so weit war. Alle seine Träume der letzten Dunkelzeiten würden sich jetzt erfüllen.
Und er wusste genau, was zu tun war, obschon es ihm niemand gezeigt hatte. Er musste die Brusttasche bereit machen. Mehrfach bewegte er den Schwanz wie die Klinge eines Klappmessers vor und zurück, pumpte auf diese Weise Wasser in seinen Beutel hinein und wieder hinaus. Erst als er wusste, dass der Beutel gesäubert, mit frischem, sauerstoffreichen Wasser ausgespült war, wurde er langsamer, stand schließlich still vor Paulinchen.
„Jetzt!", sagte er nur und zeigte mit seiner langen Schnauze zur Wasseroberfläche.
Paulinchen näherte sich, dockte an Karl-Ottos Bauchtasche an und begann die Eier hinein zu pressen.
„Ich liebe dich", sagte sie leise, als alles geschehen war.
„Ja", seufzte Karl-Otto. „Es ist so. Ich liebe dich auch."
Sprach's und löste sich von ihr, blieb nur mit dem Greifschwanz verbunden. Der geheimnisvolle Vorgang der Befruchtung schloss sich sehr schnell in seinem Brustbeutel ab.
„War ich gut?", fragte Paulinchen.
Karl-Otto nickte. „Denke schon. Hab leider keinen Vergleich", sagte er.
„Das ist gut. Anders wäre für unsere Art auch ungewöhnlich. - Genau zweihundert waren's übrigens. Pass gut auf, dass keins verloren geht", ermahnte ihn Paulinchen.
„Wie schön das war! Herrlich, liebstes Paulinchen", rief Karl-Otto und vergaß die ganze schöne Unterwasserwelt.

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Sie begannen jeden Morgen mit einem Tanz, der sie einstimmte auf die neue Hellzeit. Paulinchen blieb nur während des Tanzes bei ihm, entschwebte dann bald und ließ ihren Karl-Otto alleine. Aber nie war sie weit weg, suchte die Seegraswiesen in seine Nähe nach Futter ab und wenn die Dunkelzeit kam, saß sie an ihrem Stängel.
Karl-Otto wurde behäbiger, löste sich nur noch für den Tanz vom Seegrasstängel. Genau 24 Hellzeiten nach ihrem Geschlechtsakt war es soweit. Die Dunkelzeit war gerade hereingebrochen. Still war es hier am Grund des Meeres und alle Hellzeitfische schliefen bereits. Karl-Otto spürte es, wusste instinktiv, dass der große Moment gekommen war.
„Ich werde Vater", dachte er und spürte Stolz - aber auch etwas Bange.
Aus den Eiern, die sich in seiner Gebärmutterwand eingenistet hatten, schlüpften genau zweihundert kräftige, wenn auch winzige Seepferdchen. Karl-Otto pumpte mit dem Greifschwanz, zwängte die quirligen Kleinen hinaus, schleuderte sie in die feindliche Unterwasserwelt.
Neugierig schaute sein rechtes Auge nach unten zu seinem Beutel, während das andere die Umgebung beobachtete.
„So klein", dachte er und wünschte sich Paulinchen herbei, damit sie das Wunder sehen und ihn bewundern könnte.
Aber Paulinchen kam, wie immer, erst als die Hellzeit schon fortgeschritten war. Da war bereits alles geschehen, die zweihundert kleinen Seepferdchen längst im Seegrasbett verschwunden waren.
„Na endlich!", rief er ihr entgegen, machte keine Anstalten, ihre Tanzbewegungen mitzumachen. „Ich bin fix und fertig! Sie sind gekommen, während du geschlafen hast. Es war soooo anstrengend. Ich hätte deine Nähe gebraucht, Paulinchen."
„Oh! Alle sind geboren? Sind sie gesund? Hast du sie gezählt? Fehlt auch keins?"
„Andere Sorgen hast du nicht? Frag mich mal wie es mir geht. Mein Greifschwanz hat Muskelkater, meine Brusttasche fühlt sich an, als wenn noch weitere zweihundert drin stecken würden. Ihr Weiber habt es gut. Ich möchte nur, dass ihr einmal - wirklich nur einmal - gebären müsstet. Aber dann würdet ihr wahrscheinlich auf den Geschlechtsakt verzichten. Na ja, die Natur weiß schon, was sie macht."
„Ach, du Armer! Du tust mir so Leid. Kann ich was für dich tun? Hast du dennÂÂ schon gefrühstückt?"
„Ja!", knurrte er, schon wieder versöhnt. „Drei Schwebegarnelen. Alte! Unappetitliche. Aber was sollte ich machen, war ja zu schlapp, um mich weiter weg zu wagen."
„Komm, mein Liebster. Bewegung wird dir gut tun. Lass uns einmal durch dein Revier flanieren und schauen, was wir als zweites Frühstück erhaschen können. Und morgen sieht die Wasserwelt schon wieder ganz anders aus."
„Ihr Weiber habt gut reden. Na gut. Lass uns durchs Revier eilen, damit ich schnell wieder an meinem Stängel sitzen kann." Sprach's und schwebte langsam davon.

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Die Hell- und Dunkelzeiten wechselten sich ab wie immer. Die Nahrung war reichlich wie stets und es gab nur selten Raubfische, die durchs Revier streiften. Sie waren keine wirkliche Gefahr. Wer von denen einmal einen Panzer wie Karl-Otto und Paulinchen ihn trugen im Maul gehabt hatte, der verzichtete auf diesen Leckerbissen. So lebte es sich also gut und gefahrlos.
An einem besonders hellen Tag entdeckten die beiden bei ihren gemächlichen Streifzügen durchs Revier drei ihrer Jungen. Sie segelten auf sie zu, wollten sie näher betrachten. Aber die tauchten glatt weg, als sie ihnen zu nahe kamen, kümmerten sich nie um sie.
„Typisch!", seufzte Paulinchen. „Was haben wir nicht auf uns genommen, um sie in die Welt zu setzen. Und nun das. Schau sie dir an! Keine Achtung vor dem Alter. Von Dank einmal ganz zu schweigen."
„Wenn hier einer ärgerlich sein könnte, dann ich. Wer hat denn die Qualen und Sorgen in der Schwangerschaft gehabt? Na? Das war doch wohl ich. Ärgere ich mich über die Bengel? I wo! Das ist nun mal der Lauf der Unterwasserwelt. Sie leben ihr Leben, werden sich ihr eigenes Revier suchen müssen. Lassen wir sie in Ruhe. Sei froh, dass sie uns nicht das Futter vom Saugrüssel wegfressen", entgegnete Karl-Otto.
Sie schwebten zurück zu seinem Platz, hängten sich an seinen Seegrasstängel und plötzlich begann Paulinchen mit leichten Schaukelbewegungen den Stängeltanz, wie sie ihn damals getanzt hatte. Zögerlich nur folgte ihr Karl-Otto.
„Du meinst?", fragte er, schon etwas atemlos.
„Ja, ich meine. Wäre es nicht schön, wenn wir es noch einmal machen würden? Die Lust damals! Hast du vergessen?"
„Ach, Paulinchen, ich bin nicht mehr der Jüngste. Ob ich das noch durchstehen kann?"
Sie drehte sich schneller, zog ihn mit sich, glitt am Stängel auf und ab, drehte sich um ihn herum.
„Ich war dir immer treu. Hab's nie mit einem anderen Seepferdchen getrieben, das weißt du. Und als Lohn könntest du doch ..."
„Und ich? War ich nicht treu?", fragte Karl-Otto. „Nie war ich in der Nähe eines diese losen Weiber, die ab und zu durchs Revier schweben. Würde mir gar nicht einfallen. Aber deshalb muss man doch nicht ..."
„Doch, muss man. Mich hat die Lust gepackt", rief Paulinchen.
Sie löste ihren Greifschwanz vom Stängel und trieb leicht mit den Brustflossen paddelnd vor ihm her. „Komm!", rief sie. „Lass es uns beginnen. Es dauert eine Weile bis ich soweit bin."
Ihre letzten Worte gingen unter im Rauschen und Dröhnen und als der schwarze Blitz über sie hinwegfegte, als der Schleier durchs Wasser rauschte, da wusste Karl-Otto, dass es vorbei war. Diesmal, das spürte er instinktiv, würde kein brauner Zackenbarsch den Lebensretter spielen. Diesmal war einmal zu viel.

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Karl-Otto verließ seinen Seegrasstängel nie mehr. Er saugte zufällig vorbeischwebende Nahrung in seinen Rüssel, ohne darauf zu achten, was er erwischt hatte. Die Hell- und Dunkelzeiten kamen und gingen. In seinen Träumen sah er sie, fühlte noch einmal wie sie in seine Brusttasche die Eier legte. Wenn er wach wurde, die grausame Leere verspürte, dann wusste er, dass sein Leben sich dem Ende zuneigte.
„Kinder habe ich genug in die Welt gesetzt", dachte er. „Ich habe meine Schuldigkeit getan. Ich kann in Ruhe gehen. Und wer weiß, vielleicht kommt etwas danach. Vielleicht hat die alte Tante doch Recht, die immer von einem großen Meer sprach, in dem wir uns alle wiedersehen; in dem sich alle Liebenden treffen und für immer zusammen sein können. Vielleicht."
Als die Dunkelzeit anbrach, löste sich sein Greifschwanz, streckte sich langsam wie bei der Paarung und sein langer Rüssel zeigte hoch zum letzten Hellzeitschimmer. Langsam, sehr langsam rutsche Karl-Otto herunter, lag reglos im sanft sich bewegenden Seegras und als die neue Hellzeit begann, hatten die Gräser seinen leblosen Körper unter sich begraben.

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Am Abend ging ich durch die Altstadt von Iraklio. Wahre Touristenströme bevölkerten die Straßen; ein Sprachengewirr füllte die Abendluft.
In der Nähe der Agios-Titos-Kirche befand sich eines der größten Souvenirgeschäfte der Insel. Draußen vor dem Geschäft hatten sie einen riesigen Baldachin aufgespannt. Da waren sie! Kleine, große, Langschnauzige und Kurzschnauzige. An bunten Bändern hingen sie. Es sah aus, als hätte man sie damit stranguliert, sie aufgehängt, damit sie ersticken.
Langsam schlenderte ich näher, betrachtete die Auslagen. Die Touristen drängten sich im Laden; der Besitzer und sein Gehilfe bedienten die zahlreichen Käufer. Vor mir stand ein Paar mit zwei kleinen Töchtern. Sie sprachen deutsch und die sommerlich gekleideten Kinder befummelten die handgefertigten Puppen. Plötzlich entdeckte eine, die größere, die baumelnden Seepferdchen.
„Papa! So eins will ich haben. Für mein Zimmer. Das hänge ich mir übers Bett."
„Ich auch. Ich auch", rief ihre Schwester und zeigte auf ein großes langschnauziges Seepferdchen, dessen Augen aus Glas und tot in die Gegend starrten.
„Kauf sie ihnen doch", sagte die Frau und der Mann nickte, nahm zwei Seepferdchen aus der Befestigung, ließ sich von seinen Töchtern durch eifriges Nicken bestätigen, dass es die richtigen waren und zwängte sich durch die Menge zur Kasse.
„Wisst ihr, dass sie im Meer ganz friedlich leben? Ungefähr sechs Jahre werden sie alt. Wenn sie einen Partner oder eine Partnern gefunden haben, dann bleiben sie ein Leben Lang zusammen", sagte ich zu den Töchtern, die mich erstaunt ansahen.
„Was wollen Sie von den Kindern?", fragte die Frau mit aggressiver, verteidigungsbereiter Stimme.
„Nichts. - Oder doch etwas. Ich wollte ihnen erklären, dass dies keine künstlichen Figuren sind; dass es Lebewesen waren, die glücklich dort unten im Meer gelebt haben. Bis ein Fischer sie mit Netzen einfing. Hunderte und Tausende. Viele wurden dabei zerquetscht und zerrissen. Die Überlebenden wurden anschließend getötet und getrocknet. Für die Touristen."
„Ach hören Sie doch auf!", rief die Frau. „Die Fischer und andere wollen auch nur leben. Und von diesem Zeugs gibt es genug da unten im Wasser. Verderben Sie meinen Kindern nicht die Freude an den Dingern."
„Ja", sagte ich leise. „Wenn sie begreifen würden, dass es keine Dinger sind, sondern echte, liebenswerte Lebewesen, dann könnte ihnen tatsächlich der Spaß daran vergehen."
„Was ist hier los?", fragte der Mann, der es geschafft hatte zu bezahlen; auch er in Sprache und Körperhaltung angriffsbereit.
„Nichts. Nichts", sagte ich und erst im Wegdrehen schaute ich ihm ins Gesicht. „Ich wollte Ihren Kindern nur erklären, dass die Erde nicht nur den Menschen gehört, dass es auch andere Lebewesen gibt, die ein Recht auf Leben haben."

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© Eduard Breimann