„Verdammt! Warum verstehen die mich denn nicht? Was ist denn an meinem Verhalten falsch? Okay, ich liebe sozusagen im Zweierpack! Aber mit echter Liebe, mit all dem, was sich in diesem Wort versteckt. Mit Sehnsucht, Verlangen, Lust – und Stolz. Genau! Mit Stolz darauf, die Hübschen erobert zu haben. – Ich meine, das ist Männersache, absolut okay. Wir sind schließlich Jäger – schon immer gewesen."
Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Parkbank und schaute zu den Kindern und ihren Müttern rüber, die auf dem Spielplatz am Ende des Parks die üblichen Rituale und Verhaltensmuster auslebten. Lautlos, wie er mit Genugtuung feststellte.
Kinder warfen sich mit Sand, rutschten über Metallbahnen von Holztürmen, rannten sich fangend über die Wiese, schrien und weinten – nur sicht- und nicht hörbar –, suchten Trost und Hilfe bei ihren Müttern, die sich auf Bänken niedergelassen hatten.
Das alles sah er sozusagen geistesabwesend, was ihm umso leichter fiel, als das da drüben wie in einem Stummfilm ablief, so groß war die Entfernung.
Er konnte sich also konzentrieren, konnte den gestrigen Abend Revue passieren lassen. Es war ihm alles auf den Magen geschlagen, so sehr, dass er beim Frühstück in seiner Junggesellenwohnung nicht einen Bissen runter bekommen hatte. Erst musste er den Vorabend verdauen. Wie konnte man da Ei und Marmelade essen?
Er hasste Streit und Gebrülle und doch hatte er beides gestern als Jahrespensum einstecken müssen. Das eben war ihm auf den Magen geschlagen. – Dann noch der abschließende Rauswurf.
„Verschwinde, du Arsch!", hatte Kathrin durchs Treppenhaus gebrüllt und das hatten ganz sicher alle anderen Bewohner mit Genuss hören dürfen.
„Oh, mein Gott! Was für eine Blamage!", diesem er und dazu kam, dass er nicht ansatzweise wusste, wie er aus dem Schlamassel raus kommen konnte.
„Keine Lösung in Sicht. Genau! Mann! Ich muss eine Lösung finden. Aber wie? Wie kann die aussehen? Eine irrsinnig schwere Aufgabe!"
Zur Lösungssuche, das war mal klar, brauchte er Distanz, Abkühlung und Ruhe. Ruhe vor allen Dingen, weil das Problem sich nur in absoluter Ruhe und Stille, und in frischer, neutraler Luft, betrachten, bewerten – und lösen ließ. Das war einfach so.
Darum saß er hier; deshalb war dieser Platz im Park genau der richtige Problemlösungsort. Weiter Blick ins Grüne, Straßenlärm nur gedämpft hörbar, Kindergekreische lautlos, die Luft herrlich warm und frisch, und an diesem schönen Sommermorgen gab es auch keine Spaziergänger, die ihn mit aufdringlichen Blicken und herausfordernden Grüßen ablenken konnten. Oder sich gar zu ihm auf die Bank setzen wollten. Er war alleine. Alleine mit sich und seinem Problem, das es zu lösen galt.
„Wäre doch gelacht, wenn ich die Lösung nicht finden würde. Männer finden bei so was immer eine. Frauen gehen da lieber zum Psychiater und legen sich auf seine Couch", dachte er und das beruhigte ihn ein wenig.
„Andererseits ... Frauen haben solche Probleme erst gar nicht. Die brauchen nur einen, nur einen Mann. Der muss Sicherheit bieten, genug Geld haben, im Bett gut sein, Kinder haben wollen – und diese Bälger lieben, selbst wenn es kleine Teufel sind –, und Zukunft muss er ihnen versprechen. Das wär's dann auch schon; mehr brauchen die nicht. Scheiße!"
Einen unklaren Neidgedanken – „Im nächsten Leben will ich ein Weib sein" – zerschlug er und dachte an „Gottes Willen". So oder ähnlich hatte es sein Großvater genannt, wenn die anerzogenen, kulturbedingten, religonsabhängigen oder angeborenen Unterschiede im Leben und Verhalten von Männern und Frauen ihm „auf den Wecker" gingen.
Das alles aber löste sein heutiges Problem nicht. Zumal Großvater, wie er wusste, niemals in so eine Katastrophe geschliddert wäre und der ihm deshalb auch keine Erfahrungswerte vererbt hatte.
Er wurde abgelenkt, weil sich da hinten was tat. Eine Frau löste sich aus dem Kreis der Mütter, rief ihren Jungen, der, so schätzte er schnell, etwa vier oder fünf Jahre alt war.
Die beiden kamen direkt auf ihn zu, wollten wohl den Parkweg in Richtung Siedlung ansteuern. Zunächst schaute er wenig interessiert, fast gedankenlos, auf die beiden, die schnell näher kamen. Er nahm nur zur Kenntnis, dass beide barfuß gingen und dass die Frau schulterlange Haare hatte.
Als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt waren, begann allerdings sein kaum steuerbares Examinieren, also die routinemäßige Prüfung der äußeren Erscheinung. So ging es ihm immer, ob er wollte oder nicht. Ob auf der Straße, in der Bahn, im Restaurant oder im Büro. Sobald der Abstand zwischen ihm und einem weiblichen Wesen so gering wurde, dass er problemlos Figur, Gesicht und ihre Art der Bewegung erkennen konnte, lief der Check-Automat los.
Sie, die da auf ihn zukam, hatte eine sehr schlanke Figur, die durch das enge Sommerkleid klare Konturen bekam und ihn schlucken ließ. Ihre strumpf- und schuhlosen Beine waren klassisch schön geformt, schlank bis zum Punkt an dem sie im hoch angesetzten Kleidersaum verschwanden. Ihr Gang war einfach umwerfend; und das auf dem holprigen Grasboden. Lasziv, herausfordernd und leicht wie eine Feder, bewegte sie sich auf ihn zu.
„Oh, mein Gott! Sie kommt zu mir. Was sage ich nur zu ihr? Bitte nehmen Sie Platz? Oder einfach: ‚Sie sehen umwerfend aus, gnädige Frau.' – Nee, das besser nicht."
Er schielte, tat so, als sehe er sie nicht, musterte sie aber weiter. Blondes Haar, schmale und ebenmäßige Kopfform, ein leicht gebräuntes Gesicht, große Augen und ein Lachen im Gesicht, das offensichtlich durch eine Äußerung des Jungen ausgelöst worden war, registrierte er. Die Summe seines Checks war schon gespeichert, mit Vorlieben und Erfahrung abgeglichen, als „genau mein Typ" klassifiziert und mit Note Eins-Plus bewertet.
Er richtete sich auf, stellte die Beine nebeneinander, machte in Gedanken schon eine Bemerkung über den freien Platz auf der Bank, als die beiden die Richtung änderten. Sie gingen knapp zwei Meter von ihm entfernt vorbei, bogen ab in einen schmalen, von Büschen umrahmten Stichweg. Mit Bedauern stellte er fest, dass sie ihn nicht ein einziges Mal angeschaut hatte. Er war enttäuscht, sah sich getäuscht.
„Immerhin bin ich eine elegante Erscheinung, oder, wie Kathrin sagt, ein tolles Mannsbild."
„Du bist ein Adonis", hatte Sabine erst kürzlich gesagt und seine Muskeln gestreichelt.
All das hatte wohl nichts bewirkt, stellte er bedauernd fest und dabei fiel ihm auf, dass er soeben sein Problem total vergessen hatte.
Als die beiden hinter dem Gebüsch verschwunden waren, betrachtet er mit leichtem Erstaunen seine Empfindungen. Trotz der „vorübergehenden" Begegnung hatte dieses Wesen ihn mächtig interessiert; mehr noch, er hätte sofort etwas mit ihr beginnen können, hatte es sich sogar in einem unbewussten Blitzgedanken gewünscht. Mit dieser Frau hätte er alles andere, was ihn gerade beschäftigte, dauerhaft vergessen können. In Gedanken glitten seine Hände über ihren Körper, spürte er die Weichheit, die Wärme ihrer Rundungen.
„Scheiße!", dachte er erschrocken. „Verdammter Scheiß. Als wenn ich keine anderen Sorgen hätte."
Die hatte er wirklich. Und doch war ihm schlagartig klar geworden, dass seine Gefühle nicht so glasklar waren – wie er noch im Streitgespräch am letzten Abend behauptet hatte; sogar ziemlich überzeugend, wie er meinte bemerkt zu haben.
„Es geht mir nur um die Liebe. Die Liebe verlangt nichts, sie gibt alles", hatte er zu Kathrin gesagt, weil er sich dunkel daran erinnerte, dass er von Großvater so was über diesen Apostel – „Wie hieß der noch, verdammt? Ach ja, Paulus" – gehört hatte, als Großvater an seinem fünfzigsten Hochzeitstag eine Rede über die Treue hielt. Nichts von Sex, Lust und Leidenschaft war in der Rede zu hören gewesen. Treue aber, die war etwa ein Dutzend Mal in Varianten bemüht worden.
Ob Liebe für ihn wirklich losgelöst von Begehren und Lust war, das schien ihm jetzt gerade etwas zweifelhaft. Gehört hatte er von Treue, Vertrauen, Fürsorge, Verantwortung und Beschützen. Es könnte ja auch, und das schien ihm die ideale Sache zu sein, in Kombination funktionieren. Abgesehen von der Sache mit der Treue. Aber sonst? Es sollte ja auch, so hatte er gehört, Leute geben, die aus Vernunft heirateten und sich in fünfundzwanzig Jahren Ehe nie nackt gesehen hatten.
„Wenn die Gemahlinnen Scheiße aussehen, okay. Aber nicht bei diesen beiden Frauen. Da nicht. Also, wie machen wir's? Was kann eine Entscheidung leichter machen? Wo sind die Unterschiede, die den Ausschlag geletztlich ben?"
Ihre Körper kannte er von oben bis unten und wie sie sich anfühlten ebenso. Er hatte sie genossen, mit ihnen gespielt und alles erlebt, was sich ein Mann bei solchen Frauen nur erträumen konnte. Bei beiden. Gleichwertig.
„Gleichwertig? Na ja. So ungefähr."
„Punkt!", dachte er. „Das ist es nicht. Das ist nicht entscheidungsrelevant."
Was dann? Was war es, was er auf die Waagschale legen konnte, was helfen würde, die Entscheidung zu fällen, die er nicht fällen wollte.
„Verdammt schwer", dachte er voller Selbstmitleid, denn egal wie seine Lösung lautete – so sah es gerade aus –, konnte er nur verlieren, musste verzichten.
„Einfach wird das nicht", wusste er. Schließlich war er es gewohnt, so zu leben „wie ein Scheich", seine Lust bei zwei so unterschiedlichen und tollen Frauen auszuleben. Schon länger als ein Jahr. Wunderbar!
Aber das war nun mal Geschichte, hatte nur so lange funktioniert, war so lange unbelastet gewesen, wie sie nichts voneinander gewusst hatten. Dann aber ...
„Verdammte Weiber. Könnt ihr das nicht akzeptieren? Wir sind nun mal anders als ihr. Hat Mohamed schon gewusst und vorgelebt. Wo ist das Problem? War doch bisher alles gut. Was ist jetzt anders?"
Nur kurz kam ihm der ketzerische Gedanke, wie er sich denn verhalten, was er fühlen würde, wenn eine der beiden einen zweiten Mann hätte und er dahinter käme.
„Dem würde ich zwischen die Beine treten und sie in den Wind schießen", erlaubte er sich noch kurz zu beschließen, dann löschte er schnell diesen irren Gedankengang wieder aus. Das war eh Quatsch, die beiden waren treu. Außerdem löste das sein Problem nicht.
„Du Dreckskerl", hatte Sabine gefaucht und ihre schönen Zähne gezeigt. „Die oder ich! Entscheide dich", hatte sie gestern Abend gesagt, nachdem sie ihren Schock überwunden hatte. „Du Arsch kannst mich mal während meiner Periode besuchen, ansonsten kannste zum Mond fliegen – ohne Rückfahrkarte", hatte sie ihm auch noch mit irrem Fauchen angeboten.
Er war so unvorbereitet gewesen, hatte sich so sicher gefühlt. Gerade als er mit Kathrin im Arm aus dem Kino kam, ihr wegen der rührseligen Geschichte die letzten Tränen aus den Augenwinkeln küssen musste, da war dieses Fauchen erklungen. Ein Fauchen wie es männliche Tiger ausstoßen, wenn ein Rivale in ihrem Revier wildert. An den dachte er irrsinniger Weise, als Sabine genau dieses Fauchen in seinem Rücken erklingen ließ.
„Oh Mann! Was für ein Schock!" Und das alles bloß, weil Sabine die Idee gehabt hatte, ihren einsamen Abend im selben Kino und sogar im selben Film wie er mit Kathrin zu verbringen.
Damit hatte er nie gerechnet. Schließlich war er ja auf Dienstreise und hatte per Handy sein Bedauern über seine Abwesenheit verkündet. „Lieber würde ich mit dir schmusen, liebste Sabine", hatte er gesäuselt. Wenn er daran dachte, musste er rot werden.
„Das war's, du Vielweiber-Liebhaber. Du kannst nicht mit mir und mit ihr. Entscheide dich! Aber flott!", hatte Kathrin später ausgerufen, als sie ihre Schockstarre überwunden und Sabine vom Kopf bis zu den Zehen abschätzend gemustert hatte. Was Sabine sehr aufmerksam vernommen und dabei sogar teuflisch gegrinst hatte.
„Zum Mond sollst du fliegen? Ha! Guter Vorschlag." Das hatte Kathrin dann so oder ähnlich, nachdem Sabine davon gerauscht war, wiederholt, was er als meinungsgleich mit Sabines Vorschlag interpretierte. Erst dieses scheußliche Ereignis und dann der Rauswurf.
„Und nun? Ich muss mich entscheiden, ob ich will oder nicht. – Oder auf beide verzichten? Was Quatsch hoch drei wäre. Nein, so nicht."
Aber seine Liebe für die Eine wog doch so schwer wie die für die Andere. Beide durften seine Fürsorge genießen, seine Zärtlichkeit und seinen Humor.
„Mann, ich bin so zärtlich, lese ihnen jeden Wunsch von den Augen ab, weiß genau wie sie's gerne haben, kredenze denen einen Orgasmus nach dem anderen, beschenke sie ideenreich, bringe sie zum Lachen, zeige ihnen wie man kultiviert essen geht, gebe ihnen das Gefühl, nur sie seien der Mittelpunkt meines Lebens. Was denn noch?"
Er war ratlos, mochte nicht einmal mehr lösungsorientiert weiter denken. „Scheiß Zwickmühle", dachte er und wollte seine Lage nicht mal seinem schärfsten Feind – und davon gab's eine Menge – gönnen.
„Und was zählt noch?"
Er verstand jetzt, was die Worte ‚ausweglos' und ‚verzweifelt' aussagten. Oh ja. Das hier war eine ausweglose, sogar eine beschissene Lage, die jedes Attribut aus dieser Looser-Sprache verdiente.
„Ah! Moment mal, meine Damen! Dreh'n wir den Spieß doch mal um. Was gebt ihr mir denn zurück? Für all das was ich aus diesem Füllhorn des Lebens über eure schönen Häupter ausschütte? Na? Das muss auf die Waage, genau das zählt, genau das gibt den Ausschlag. Nur das. Wir werden sehen."
Da war zunächst Sabine, die einen Monat älter war als Kathrin, „Alter geht vor!" Sie musste er zuerst prüfen.
Das war ... Er überlegte kurz, ja das war schnell abgehakt. Mächtig stolz war er schon, wenn sie neben ihm ins Restaurant stakste mit ihren hohen Absätzen, den schönen Beinen, der vorgestreckten Brust und dem sündigen Blick. Wie er dann, als ihr Begleiter neidisch beäugt wurde! Das hatte was. Diesen Stolz, den schenkte sie ihm. „Imaginärer Wert, aber immerhin", dachte er. Das gab auch für sie was; nämlich ein kleines Plus.
Im Bett? Okay, Okay. Da gab's nichts zu mäkeln. Obwohl ... In der letzten Zeit hatte sie sich manchmal störrisch benommen, wollte lieber tanzen gehen, ins Kino oder sonst was. „Immer nur mit dir schlafen ist langweilig", hatte sie schon zwei Mal gesagt. Das war eher kein Pluspunkt.
„Und sonst? Was gibt sie mir sonst noch? Ah! Ihr Motorrad. Richtig. Sie fährt wie der Teufel und bei ihr als Sozius, das ist schon eine Wucht. Ich hinter ihr, die Arme um ihre Brüste geklammert. Ha! Toll! Mann, was haben wir schon für Touren gemacht. Obschon ... Also ein bisschen blöde sieht das aus, wenn wir am Bikertreff anhalten, die Helme abnehmen und die Motorrad-Machos anfangen zu grölen. ‚Hat Mutti ihren Bubi mitgenommen?' Arschlöcher!" Also so richtig was von ‚das schenkt sie mir', ist das auch nicht."
Er überlegte noch etwas, dachte sich so allerhand gemeinsame Tage herbei, fand aber, dass stets er derjenige gewesen war, der schenkte. Dann war's ihm klar, dass da sonst nichts war, was er positiv bewerten konnte. „Nichts! Sabine, du hast schon fast verloren."
„Also, Kathrin. Mal sehen", sinnierte er und dachte sie sich schon mal als Siegerin in diesem großen Wettbewerb.
Ihr schönes Bild stieg vor seinen Augen hoch. „Kathrin, wie schön du bist. Aber! Was bekomme ich von dir in unserer Beziehung geschenkt? Na?"
Sofort fiel ihm ihr Heißhunger nach Sex ein. Ja, das war schon besser als bei Sabine. Viel besser, sehr viel häufiger, nie Ausreden. Wenn die sich auszog, kaum dass sie in der Wohnung waren.
„Heiß, heißer, Kathrin", dachte er und ihm wurde ordentlich warm bei dem Gedanken.
„Obwohl ... Na ja, manchmal ist es einfach zu viel. ‚Komm noch einmal. Komm! Ich will noch einen haben. Und noch einen. Oder bist du neuerdings ein Schlappschwanz, he?'. Und das ist, ohne meckern zu wollen, schon eine harte Prüfung. Man wird ja auch älter."
Neutral bewertet ergab das auch nur einen minimalen Vorteil. Was gab's noch? Natürlich konnte man mit ihr an der Seite auch angeben. Da taten sich die beiden Frauen rein gar nichts. Wenn Kathrin mit ihren ewig langen Beinen und dem Minirock, der ein etwas breiterer Gürtel war, ins Restaurant rauschte, dann blieben den Männern die Gabeln vor dem offenen Mund still stehen. Ja, das war okay. Und sonst?
„Ah! Keine kocht so gut wie Kathrin. Da steckt sie die Sabine in den Sack. Die kann gerade mal Bratkartoffeln mit Spiegelei. Aber Hallo! Die Entenbrust bei Kathrin? Vom Feinsten. Man muss ja auch an andere Zeiten denken. Etwa wenn man durch eine Finanzkrise kein Geld für teure Restaurants hat. Oder noch schlimmer, wenn man den Rollator vor sich her schiebt, weil die Beine nicht mehr so ... Oh mein Gott! Und mit so einem Rentnershopper ins Maritim? Kathrin aufrecht voranschreitend? Meine Güte! Nein, nein! Bei Kathrin kein Thema. Die würde einfach sagen: ‚Schatz ich mache uns was Leckeres. Was hältst du von Entenbrust? Und dann ab in die Kiste für das Dessert'. Genau!"
In dem Zusammenhang fiel ihm die Liebe wieder ein. Was ihn zunächst verwunderte, bis er an den Spruch seines Großvaters dachte, der ein Leckermäulchen gewesen war, den seine Frau mit ihren Kochkünsten verwöhnte.
„Die Liebe geht durch den Magen, sprach Großvater. Und darum hat er's wohl 50 Jahre lang ausgehalten mit Großmutter, der tollen Köchin."
Er dachte über den Spruch nach und ob sich, wenn er die Sache mit der Entenbrust wog, die Waagschale zugunsten von Kathrin bewegen würde.
Sex dann und wann gegen regelmäßigen Sex – und im Übermaß; Motorrad fahren mit Machosprüchen gegen ausgefeilte Kochkunst; mit Kathrin angeben oder angeben mit Sabine – dieses letzte Geschenk war eher unentschieden zu werten.
Er sah sie vor sich. Die Waagschale. Ja, sie neigte sich, pendelte aber wieder zurück; da war noch keine Entscheidung zu erkennen. Die Waage konnte sich noch nicht entscheiden.
Er dachte nach, träumte von den vielen Begegnungen in dem wunderbaren Jahr, aber es fiel ihm nichts mehr dazu ein. So war die Geschichte nicht lösbar. Er schloss die Augen, lehnte sich zurück und ließ sich von der Sonne wärmen.
„Darf ich mich setzen? Platz genug ist ja", sagte eine vibrierende Altstimme.
„Nein. Ist reserviert. Gleich kommt meine Freundin", knurrte er unwillig.
Das fehlte ihm noch. Gerade jetzt, wo sich die Sache entscheiden konnte, nein, musste. Störungen verboten!
„Wenn sie kommt, dann stehe ich auf und gehe", sprach die Altstimme.
Er drehte den Kopf, schaute hoch, war wie elektrisiert, so als hätte er einen elektrischen Weidezaun berührt. Da stand sie! Alleine, auf langen, unendlich langen nackten Beinen und schaute auf ihn herunter. Der Junge war nicht dabei.
„Äh! Also, das mit der Freundin war ein Scherz", sagte er hastig und zeigte auf die Bank. „Nehmen Sie doch Platz."
„Sie haben also gar keine?"
„Freundin? Doch, doch. Sogar mehrere", sagte er und war etwas ärgerlich. Wie konnte die nur denken, dass er, bei seinem Aussehen, keine Freundin hatte? Was dachte die sich? Fast war er versucht, ihr sein Entscheidungsproblem zu erklären. „Ich habe sogar die Wahl", hätte er beinahe gesagt.
Die Frau lachte, und dieses Lachen war so warm, klang als wenn alle Glocken im Kölner Dom gleichzeitig läuteten, dass es in seinem Bauch vibrierte.
„Aha! Also gleich mehrere Freundinnen haben Sie. Kommen die gleich alle auf einmal? Dann ist aber die Bank zu kurz."
„Alle auf einmal? Würde mich nicht wundern. Äh, ich meine, ich erwarte niemanden. – Wo ist Ihr Sohn? Haben Sie ihn nach Hause gebracht?"
„Mein Sohn?", fragte sie und ihre großen, dunklen Augen blickten ihn fragend an. „Ahh! Sie meinen Frank, der vorhin mit mir auf dem Spielplatz war? Nein, nein. Das ist mein Neffe. Ich habe aber auch Kinder – acht."
„Was? Acht Kinder? Das ist ..."
„Ein Scherz, wie der mit ihren tausend Freundinnen."
„Zwei. Nicht tausend."
„Aha. Und das sind jetzt Ex-Freundinnen? Sie sind ein verlassener Mann? Darum sahen Sie so traurig aus. Verlassen von zwei Frauen. Elendes Schicksal. Ich wollte Sie deshalb aufmuntern. Nur darum bin ich gekommen. Sie sahen so einsam und trostbedürftig aus, als ich vorhin vorbei gegangen bin. Ich habe nämlich eine soziale Ader."
„Eine soziale Ader? Sind Sie von der Kirche?"
„Ach wo. Diese Ader funktioniert nur bei Männern, die aussehen als hätten sie gerade ihre Mama beerdigt."
„Oder die Freundin."
„Genau! Da dachte ich, es wär vielleicht schön, Sie etwas aufzumuntern", sprach die wunderbare Stimme und die noch wunderbarere Frau der sie gehörte, setzte sich. Dicht bei ihm, sehr dicht.
„Sie hat mich doch gesehen", dachte er und musste sich jetzt aufrichten, den Kopf heben und in die schönsten Augen schauen, die er je gesehen hatte. Schmetterlinge tobten im Bauch und weiter unten, die Beine zitterten, seine Stimme vibrierte, signalisierte äußerste Erregung, als er flüsterte: „Sie haben mich soeben gerettet. Sie sind wie ein Schutzengel."
„Ja. Genau das wollte ich sein", flüsterte sie zurück. „Ich gestehe es und schäme mich nicht. Ich habe mich sofort in Sie verliebt. Ich sah Sie und wusste: Das ist er."
„Oh! Werner."
„Christel."
Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihr Herz. „Werner!"
Er fasste ihre andere Hand, hob sie an die Lippen und hauchte einen Luftkuss auf den Handrücken. „Christel."
Schweigend saßen sie da, genossen die Stille und ihre Nähe, schauten sich in die Augen und wussten, es war passiert. Nichts störte ihre Zweisamkeit. Schließlich seufzte er und hob die Augen.
„Ich schenke dir mein ganzes Leben, meine liebe Christel; ich werde dich auf Händen tragen, mit dir lachen und dich verwöhnen. Nichts wird mir mehr bedeuten als du."
„Wunderbar hast du das gesagt, Werner! Du bist ein toller Mann. Und ich gebe dir meinen Körper, meine Liebe, meine Kochkunst, meinen Humor, meine Fürsorge – ich bin Krankenschwester – und wenn du möchtest dann darfst du hinten auf meinem Tandem-Rad fahren. Hast du einen Helm?"
„Nur für das Motorrad. Wie fährt man Tandem?"
„Ich habe einen für dich, also einen Helm; von meinem Verflossenen. Für dich aufbewahrt. Und Tandem fährt sich hinten ganz leicht. Ich lenke und du fährst einfach mit."
„Oh! Du bist wunderbar. So muss die Liebe sein. Sie gibt ohne zu fragen, was sie bekommt. Das ist wahre Liebe."
„Wunderbar, wie du das gesagt hast. Das könnte der Apostel Paulus nicht besser ausgedrückt haben."
Er sah, wie die Waage auf den Boden fiel und zerschellte, sah wie Sabine und Kathrin sich in Dunst auflösten. Mit beiden Händen fasste er Christas Gesicht und küsste sie leidenschaftlich.
„Jede Zwickmühle lässt sich auflösen, wenn nur die richtige Frau die Lösung weiß", flüsterte er verzückt.

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