„Eine Kaserne bleibt eine Kaserne“, dachte Frauke, wie jedes Mal, wenn sie aus der Neubausiedlung kam und mitten auf dem großen Platz den wuchtigen Bau erblickte. „Aber eigentlich kommt’s mir vor wie ein Gefängnis – das noch eher.“
Der Rauputz zeigte Schlieren, geschwungene Dreckfahnen zogen sich von der Dachrinne bis zum Boden und die Farben verliefen vom hellen Grau bis ins Anthrazit.
Das alles, dazu die unzähligen Fenster – gleichmäßig in vier Reihen geordnet, mit abgeblätterter Farbe und meistens ohne Gardinen – bildete die Visitenkarte: ‚Achtung! Hier wohnen Armut und Mangel, gepaart mit Laster und Sünde.’
Drei hölzerne Doppelflügeltüren ohne Fenster und mit uraltem Anstrich wirkten nicht gerade einladend. Und über allem lag ein Geräuschteppich, der einem schon von weitem auf die Nerven ging. Schrille Heavy Metal Musik stritt sich mit schnulziger Volksmusik, dunkles Gebrüll und keifende Frauenstimmen wurden von hellem Kindergeschrei übertönt.
An der Hauswand lehnten ein paar Fahrräder, deren Teile erkennbar aus anderen Rädern zusammengesetzt waren. Ein rostrotes Auto mit drei Rädern stand auf dem Platz vor dem Haus; unter der rechten Vorderachse hatten sie vier graue Steinplatten aufgeschichtet. Ansonsten war der Platz, auf dem der Wind Papierschnipsel tanzen ließ, völlig leer.
Der Kasten mit seinen grauen Satellitenschüsseln, der einen breiten Schatten auf den Platz warf, stand weit ab von den anderen Häusern, die sich verschämt hinter ausladenden Nussbäumen und dichten Kirschlorbeerhecken duckten.

Der Fußweg aus der Siedlung führte am Spielplatz vorbei, der an der Schmalseite des Blocks endete. Ein kleines Mädchen hockte im schmuddelig wirkenden Sand, sang leise vor sich hin und stocherte in ihrem Eimerchen herum.
„Willst du auch ein Eis haben, Tante?“, rief sie Frauke nach, die Mühe hatte, ihren Zwillings-Kinderwagen über den sandigen Weg zu bugsieren.
Sie reagierte nicht, schaute mit halb zugekniffenen Augen starr auf den Weg, schob den Wagen zur mittleren Tür des Wohnblocks, lehnte Schulter und Po an die schorfige Haustür und drückte sie mühsam auf. „Frauke, dir fehlen Saft und Kraft – aber das ist ja auch kein Wunder“, stöhnte sie.
Die Tür schrammte über graue Fliesen und fügte den unzähligen Schleifspuren vielleicht noch eine hinzu. Sie schob sich rückwärts in den Hausflur, zog den Wagen über die ausgetretene Stufe und hielt dabei mit der Linken die Tür fest. Durch ein kleines Flurfenster fiel etwas Licht auf die Steinplatten. Sie tastete nach dem Druckknopf des Lichtschalters, schlug heftig mit der Faust drauf und wusste, dass der Zeitschalter sie gleich wieder aufregen würde. „Ich krieg noch die Krise bei diesem Sparding“, dachte sie wütend.
Die kugelförmige Deckenlampe beleuchtete einen langen, schmalen Flur. Drei braune Wohnungstüren unterbrachen die quittegelb gestrichenen Wände. Schroff hob sich das aufdringliche Graffito ab, leuchtete grün und rot, an manchen Stellen aber auch bedrohlich schwarz. Kaum lesbare Hieroglyphen, obszöne Zeichnungen und bösartige Sprüche bedeckten fast die ganze Wand, bis zum Treppengeländer.
Neben der Galerie der blechernen Briefkästen hatte ein Witzbold einen dicken Pfeil gesprayt und darunter ‚Lottogewinne in den dritten Kasten’ geschmiert. Der achte Kasten von links gehörte ihr und Peter.
Sie atmete schwer, lehnte sich an das Bild einer nackten Frau mit der verschnörkelten Inschrift ‚Fuck you’ und strich sich die Haare aus der Stirn. Ihr Blick glitt über die schlafenden Jungen, Felix, dessen Harre schweißnass waren und Carlo, der mit leicht verzogenen Lippen lächelte. Sie waren gerade ein Jahr alt geworden.
„Ein echter Witz. Ausgerechnet Felix musste Peter ihn nennen; Felix der Glückliche“, dachte sie. „Und ob Carlo jemals wirklich der Tüchtige wird – ich weiß nicht.“ Die Kinder hatten ihre Gesichter einander zugewendet und schliefen fest.
Ihr Blick glitt zur Holztreppe, die schwarz und steil in das Obergeschoss führte. Von irgendwoher wehte ein Geruch nach Frittierfett. Sie überlegte, in welcher Reihenfolge sie alles nach oben schaffen sollte.
„Immer die Klamotten zuerst“, hatte Peter kürzlich gesagt, als er die Kinder unten hatte stehen lassen; sie hatten vor Wut oder Angst das halbe Haus zusammen geschrieen. „Ist doch egal. Die Klamotten klauen sie, die Schreihälse wohl kaum.“
Sie bückte sich und zog die blaugelbe Plastiktasche mit dem Werbeaufdruck des Discounters aus dem Netz unter dem Kinderwagen. Nach einem nochmaligen Blick in die Kindergesichter stieg sie die Treppe rauf. Sie dachte daran, dass die dritte Stufe stark knarrte, machte einen großen Schritt, wäre fast ins Straucheln geraten und fluchte leise vor sich hin.
Im Obergeschoss gab es sechs Türen; braunrot gestrichen und keine mit einem Namensschild – auch ihre nicht.
Sie pochte mit dem Ellenbogen gegen ihre Wohnungstür, wartete einige Sekunden, murmelte „Scheiße!“, suchte in der Jackentasche den Schlüssel, fand ihn nicht, ließ die Tragetasche zu Boden gleiten, entdeckte den Schlüssel in der Handtasche, schloss auf und drückte die Tür mit dem rechten Knie nach Innen.
„Drecksbude!“, dachte sie und der Kloß war wieder da; dieser Druck im Hals, den sie meistens spürte, wenn sie ihre Wohnung betrat. „Von wegen Zuhause! Nicht diese Bude!“

„Peter?“, rief sie scharf. Und als es still blieb: „Na prima! Wie immer.“
Sie stellte die Tüte ab und ging zurück ins Erdgeschoss. Gerade als sie auf dem ersten Absatz war, verlosch das Licht. Sie tastete sich herunter, suchte den nächsten Türrahmen, fand den Schalter und schlug mit der geballten Faust drauf.
Die Jungen schliefen fest, als sie beide gleichzeitig auf die Hüften nahm und nach oben trug. Sie legte sie im Schlafzimmer ins Kinderbett, ging noch einmal runter und schob den Kinderwagen unter den Treppenaufgang. Das Licht verlosch schon wieder.
„Mist! Verdammter Mist!“, fluchte sie halblaut, als der Wagen sich nicht reinschieben ließ. Sie fand den Lichtschalter neben der nächsten Wohnungstür und sagte noch einmal „Mist, verdammter!“, als sie die Plastiksäcke entdeckte, die unter der Treppe lagen.
Wütend über sich, weil sie schon wieder solche Ausdrücke benutzt hatte, und über den ‚Schweinehund’, der das gemacht hatte, zerrte sie drei städtische Abfallsäcke raus und warf sie in den Flur. Es schepperte mächtig und Glas klirrte.
Das Licht ging mit einem satten ‚Klack’ aus. Sie lauschte mit angehaltenem Atem. Aus der Tür neben der Treppe dröhnte eine Stimme. Diese Stimme! Sie hörte sie fast täglich. Meistens röhrte sie heiser, schwang sich manchmal zu einem schrillen Tremolo auf, endete in unartikuliertem Geschrei. Die Worte fielen ineinander, Ausdruck schierer, sinnloser Wut.
Jetzt war die Stimme noch verständlich: „Fass mal an, du Drecksau … Du Hure! … Hau ab! …“Oben wurde eine Tür geöffnet und aus einem Radio plärrte ein Sänger ‚Kill me or kill my wife’ und eine Frauenstimme schrie irgendetwas dazwischen. Die Tür knallte zu, der Sänger war nicht mehr zu hören, die Frau auch nicht. Schwere Schritte polterten die Treppe herunter. Jemand grunzte, spie aus und sie hörte, wie die Spucke auf die Fliesen klatschte.
„Schwein, elende Drecksau!“, dachte sie und schämte sich, weil sie nur noch vulgäre Ausdrücke fand, um ihre Wut oder ihren Abscheu auszudrücken.
Als die Haustür zuknallte, trat sie langsam aus der Dämmerung des Treppenüberhangs, schlug mit der Faust auf den Lichtschalter und ging nach oben.

Als Peter in die Wohnung trat, hörte Frauke vom Flur mehrere Frauenstimmen, die hitzig ihre gegensätzlichen Standpunkte vertraten.
„Hallo! – Na?“, fragte sie und lächelte ihren Mann an.
„Was, ‚Na’?“
„Hallo! Sag erst mal Hallo“, antwortete sie spitz. „Hast du was erreicht?“
„Erreicht! Frag nicht so einen Mist! Wie soll ich denn was erreichen – he?“
Sie presste die Lippen aufeinander und quetschte sich in die kleine Kochnische, in der gerade eine Person Platz hatte; das freute nur Peter, der sich deshalb vor dem gemeinsamen Abwasch drücken konnte.
„Ich dachte ja nur … Wolltest du nicht fragen, ob die im Baumarkt eine Stelle frei haben? Du sagtest doch …“
„Hör auf! Klar hatten die eine. Lagerist! Kartons auspacken und die Gänge fegen. Glaubst du wirklich, dass ich mich dafür hergebe? Du scheinst nicht zu wissen, wo ich herkomme, was ich bisher gemacht habe. Ich bin kaufmännischer Geschäftsführer!“
„Gewesen!“, sagte sie.
„Und? Büroleiter, Geschäftsführer – das kann man annehmen. Aber so eine Hilfsarbeitergeschichte? Nee! Man muss wissen, was man wert ist.“
„Ja, das muss man wohl. Besonders, wenn man hier wohnen muss – in einer alten verlotterten Kaserne, einer städtischen Unterkunft für Strandgut, und nur noch Sozialhilfe bekommt.“
„Du machst mich verrückt mit deiner Nörgelei. Meine Zeit kommt schon noch.“
„Wann?“, fragte sie schnippisch und wollte nicht mehr drüber reden. „Es gibt Erbsensuppe – aus der Dose. War im Angebot, im Aldi. Würstchen auch. Ich hab gleich drei Dosen von jedem mitgebracht.“
Er gab keine Antwort, aber sie hatte auch keine erwartet. Für Erbsensuppe machte er sich die Mühe nicht. Dabei hatte er früher oft gesagt, dass Erbsensuppe sein Lieblingsgericht sei. Aber das war vor hundert Jahren oder noch früher.
„Das Geld ist fast alle. Ich weiß nicht ob …“
„Hör mit der Jammerei auf. Das ist doch jeden Monat derselbe Mist. Du musst eben mehr sparen.“
„Na klar. Wie der Herr befehlen. Wo soll ich denn anfangen? Die Würstchen weg lassen? Oder für Felix und Carlo die Milch?“
Der zerkratzte Wohnzimmertisch war niedrig und sie mussten sich tief bücken, um nicht zu kleckern. Peter aß die Würstchen kalt und zog sie mit den Fingern aus dem Glas.
„Holst du Meike gleich ab? Ist noch ’ne halbe Stunde. Brauchst dich nicht zu beeilen.“
„Hm“, machte Peter und sah Frauke an.
„Du hast Erbsensuppe auf der Oberlippe“, sagte er mit vorwurfsvollem Unterton und angewidertem Gesicht.
„Na und?“, sagte sie und wischte mit dem Handrücken über den Mund. Sie sah ihn müde an, betrachtete seine schlanken Finger, die ein Würstchen aus dem Glas angelten.
„Nimm die Gabel. – Die Würstchen sollten eigentlich für zwei Mal reichen“, sagte sie und diesmal hatte ihre Stimme den vorwurfsvollen Unterton. „Sparen, nicht wahr?“
Er warf aus seiner gebückten Haltung einen scharfen Blick hoch und schlürfte den Löffel leer.
„Muss das sein? Kann die nicht endlich alleine …“
„Nein, verdammt! Fang nicht schon wieder an. Du hast Zeit genug und dir fällt keine Zacke aus der Krone, wenn du bis zur Grundschule spazierst“, sagte sie erregt.
„Du machst dich verrückt und mich wahnsinnig mit deiner unnötigen Angst. Hat sie schon mal einer belästigt? Nein, hat noch keiner gemacht. Aber du musst sie ja verängstigen. Du tust so, als wenn wir in einem Getto leben würden, in dem nur Kriminelle wohnen. Verdammt!“
„Ist es denn nicht so? Aber darum geht’s nicht mal. Gestern hab ich sie abgeholt, weil du wieder nicht da warst. Einer muss sie abholen. Die sollen sehen, dass Meike eine Familie hat, einen Vater und eine Mutter. Weißt du, warum? Nein, natürlich nicht. Was weißt du schon von deiner Familie! ‚Sozi’, rufen sie die Kleine! ‚Sozi!’, hast du verstanden? Sozialhilfeempfänger! Verprügelt haben sie unser Mädchen, diese gutbürgerlichen Arschlöcher aus den schönen neuen Häusern der Siedlung, weil sie keine tollen Klamotten an hat.“
„Du sollst nicht so gewöhnlich, so primitiv daher quatschen und fluchen. Das ist nicht unser Stil.“
„Ach ja? Unser Stil? Was ist denn unser Stil? Das hier?“, fragte sie scharf und zeigte hektisch auf die Wände, „Das hier, das ist unser Stil, was? – Und außerdem lasse ich Meike hier nicht ohne Begleitung durch das Treppenhaus gehen, in dem ständig das Licht ausgeht – nie!“
„Ok, ok! Hab verstanden. Aber danach hab ich noch was vor. Ich muss mal raus hier, aus diesem Loch. Ich ersticke sonst noch. Ich will mal mit dem Rad zu Borchers fahren, weißt ja, meinem ehemaligen Kollegen, den sie frühpensioniert haben. Der hat ’ne Menge Beziehungen. Vielleicht weiß der, was ich …“
„So? Du musst raus hier?“, unterbrach sie ihn. „Ich fass es nicht! Hab ich uns in diese Bude gebracht oder du? Wer hat denn den Mist gebaut? Ich etwa? Wer hat in seiner Firma betrogen und sich erwischen lassen? Ich?“
„Halt den Mund, Frauke! Ich musste das …“
„Du musstest? Nee, mein Lieber! Nee! Du hast uns die ganze Kiste eingebrockt – du ganz alleine. Ich war nicht daran beteiligt, mich hast du nicht gefragt und nicht einmal entschuldigt hast du dich bei uns, bei den Kindern und mir, für das, was du uns angetan hast, was wir hier unser Scheißleben nennen müssen“, schrie sie erregt und knallte den Löffel in den leeren Teller.
„Was soll das werden? He? Willst du mich noch einmal anklagen? Irgendwann muss man auch mal abhaken. Es ist vorbei! Denk daran, welche Ausbildung ich habe, wie hoch ich qualifiziert bin. Und? Haben die mich entsprechend gefördert oder bezahlt? Ich musste was ausgleichen.“
„Was ausgleichen? Belüg dich doch nicht selber. Du hast deine Firma mit einer Riesensumme betrogen. Und wo ist das Geld? Weg! Weg! Nur die Schulden, die haben wir behalten. Bis auf den letzten Cent müssen wir alles zurückzahlen.“„Bin ich nicht genug gestraft? Und du weißt genau, dass ich das nur für euch getan habe. Ihr solltet es besser haben und das Geld war nur für euch – nicht ein Cent war für mich. Es ist halt bloß … Hab mich verkalkuliert. Ein saublöder Tipp von dem saublöden Bänker war das – mit dieser Bahamafirma. Alles weg, alles.“
„Oh, mein Gott! Ist das neu? Schuld sind immer nur die anderen. Wenn ich daran denke, wie wir vor acht Jahren gedacht und geplant haben, als wir heirateten. Wie habe ich mich auf unser Leben gefreut. Bloß gut, dass man vorher nicht weiß, wie es wirklich kommt. – Ach, was soll’s“, seufzte sie und ihre Augen wurden feucht.
„Mach jetzt bloß nicht auf rührselig. Ich hab dir keinen Himmel der Glückseligkeit versprochen, ich nicht.“
„Nein, das hast du nicht. Aber du hast vergessen, dass du für eine Familie zuständig bist; für Meike und mich. Und du hast gewusst, dass da was unterwegs war. Jetzt bist du rechtskräftig verurteilt wegen Betrug in einem besonders schweren Fall, weil du ein Mehrfachtäter bist. – Und wir alle sind mitverurteilt!“
„Euch hat keiner was getan, keiner hat euch beschuldigt.“
„Ach nein? Der Richter hat uns alle verurteilt. Meike, Felix und Carlos genau so wie mich. ‚Ich weise euch in einen städtischen Saustall ein; bei gerade so viel Geld, dass ihr nicht sterben müsst. Um euch herum soll Elend und Dreck sein.’ – Das war die Strafe deines Richters für uns – für deine Familie. Und stimmt es nicht, dass wir mehr darunter zu leiden haben als du?“
„Das ist mies. Mach es mir nicht noch schwerer.“
„Ach? Und wir? Du musst hier mal raus? Na prima! Was denkst du, was ich möchte? Was glaubst du, wie mir ist, wenn ich in dieses Haus komme? Was fühl ich wohl, wenn mich die besoffene Sau von nebenan im Treppenhaus an die Brust fasst? Welche Angst hab ich wohl, wenn Meike mal unbeaufsichtigt durchs Treppenhaus läuft? Und du bist nie da. Nie!“
„Ich suche Arbeit!“
„Ach ja? Als Prokurist? Als Geschäftsführer? Auf dich haben die gerade noch gewartet. Was steht denn in deinem Abgangszeugnis? Mir hast du das nie gezeigt. Du musst aufhören mit deinen Fantastereien, such dir eine vernünftige Arbeit und wenn es im Steinbruch ist.“
„Du bist verrückt. Noch mal: Man muss wissen, was man wert ist! Und ich kann eben was – ich mach so einen Türkenjob nicht. Nicht dein Peter!“
„Genau das hast du denen auf dem Arbeitsamt ja auch um die Ohren geschlagen. Warum haben die dir denn sonst das Arbeitslosengeld gestrichen? Na? Weil du ein eingebildeter Kerl bist und jeden vernünftigen Job pauschal abgelehnt hast. Du willst gar nicht arbeiten!“

Sie war immer noch wütend, als sie die Teller ins Waschbecken stellte. Diese Diskussion, das wusste sie, brachte nie was – und trotzdem musste sie es immer wieder tun; sie wär sonst an ihrer Wut erstickt. Peter war wie immer. Er war der Arme, der Unglückliche. Und niemand verstand ihn. Keiner begriff, dass er zu Höherem geeignet war. Und seine Verfehlung? Ach Gottchen, das war doch alles abgestraft und das sollte man gefälligst vergessen. Sie und die Kinder?
„Ha!“, dachte sie und warf die Löffel ins Waschwasser. „Wie wir leben, das beschäftigt ihn wohl nur am Rande. Der Spinner!“
Während sie den letzten Teller abtrocknete, reifte ihr Entschluss. Sie ging leise ins Schlafzimmer, bemüht, die Zwillinge nicht aus dem Mittagsschlaf zu wecken, zog sich um und kämmte sich im Dämmerlicht vor dem Kommodenspiegel.
„Ich muss mal weg, Peter. Pass bitte auf die Kinder auf, ja? Meike, wenn du fertig bist mit den Hausarbeiten, kannst du etwas Fernsehen gucken.“
„Ja, Mama. Darf ich danach raus?“
„Nur mit Papa und unseren Kleinen zusammen, wenn sie ausgeschlafen haben.“
„Wie? Wenn sie ausgeschlafen sind? Wann willst du denn wieder hier sein? Was hast du überhaupt vor?“
„Ich muss … Ach … Warte ab. Ich muss los. Bis nachher.“
Auf sein „Aber …“ reagierte sie nicht mehr. Sie war schon im Flur, als sie laut „Kann spät werden!“, rief.

„Ich brauch eure Hilfe, Mama. Wir sind … Ach – Mama, ich hab mir da was ausgedacht.“
„Oh, mein Gott! Kind! Muss das sein? Ihr seid doch eine eigenständige Familie. Könnt ihr nicht alleine zurecht kommen – wie andere auch?“
„Mama! Weißt du nicht mehr, dass du immer gesagt hast: ‚Dies ist und bleibt dein Zuhause. Wenn du mal Sorgen hast, komm zu uns. Papa und ich sind immer für dich da.’ – Hast du’s gesagt?“
Sie saß im Wohnzimmer auf der Couch, auf der sie schon als Kind gesessen hatte; ihre Eltern waren sparsam, konnten nichts wegwerfen. Jedes Möbelstück hier erinnerte sie an ihre Kindheit. Ihre Mutter lag im Fernsehsessel, hatte die Beine hochgelegt, die wieder mal ‚unerträglich’ schmerzten – wie immer, wenn es unangenehme Sachen zu besprechen gab.
Ihr Vater hockte am Schreibtisch und sortierte seine Münzen. Mit dieser Sammelleidenschaft war sie aufgewachsen. Er beugte sich nach vorne und sie sah nur seinen Rücken und den weißen Haarkranz. Er war abgetaucht; seine Münzen hatten denselben Zweck wie Mutters schmerzende Beine.
„Kind!“, sagte ihr Mutter und strich mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam über ihr rechtes Bein. „Damals war alles noch anders. Papa und ich waren noch gesund, du hattest eine gute Zukunft vor dir und ihr hattet noch keine drei Kinder zu versorgen.“
„Hilfe braucht man nicht, wenn’s einem gut geht.“
„Mussten denn die Zwillinge noch sein? Konntet ihr nicht aufpassen? Nimmst du keine Pille? Jeder nimmt die doch heute.“
„Nein, die konnten wir uns schon da nicht mehr leisten – und Peter hat eben nicht aufgepasst. Was erzähl ich dir das eigentlich? Außerdem ist das nicht das Problem. Du lenkst nur ab.“
„Belehr mich nicht! Jedenfalls hat sich seitdem vieles geändert. Du hast doch einen gesunden Mann!“
„Mein Mann! Der ist doch gerade das Problem. Er ist arbeitslos – nein, noch viel schlimmer: Er ist Sozialhilfeempfänger! Weißt du, was das heißt? Wir bekommen Sozialhilfe, um unseren Grundbedarf an Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Heizung decken zu können. Die nennen das ‚soziokulturelles Existenzminimum’. Und genau so leben wir; im Existenzminimum, wer immer das auch definiert hat. Wir vegetieren in einer Umgebung, in einer Art, die mich krank macht. Wir müssen da raus, bevor die Kinder – eure Enkelkinder – kaputt gehen.“
„Wir können doch nichts tun. Wir haben auch nur unsere Rente.“
„Ich will kein Geld von euch. Nicht einen Cent! Ihr habt ein großes Haus mit ungenutzten Zimmern und …“„Dein Mann hat sich geweigert, mit uns in diesem Haus zu wohnen.“
„Ja, ja! Damals. Meinst du, ich wüsste das nicht mehr? Es geht auch nicht darum; er will das noch immer nicht. Stolz oder so – du kennst ihn ja. Ich möchte nur, dass ihr die Kinder am Tage nehmt, nur die Zwillinge. Morgens brächte sie Peter zu euch und abends würde ich sie wieder abholen. Es sind doch nur zwei S-Bahnstationen von uns zu euch. Das würde alle Probleme lösen. Mit Meike, die ist schon so vernünftig, ginge das schon; das bekäme Peter schon hin.“
„Weißt du, was du uns da zumutest?“, sagte ihre Mutter und die Hände fuhren rhythmisch die Beine rauf und runter. „Ich kann ja kaum noch laufen und so kleine Kinder …“
„Wenn du mal Hilfe brauchst – du kannst immer kommen, was?“
Der Rücken ihres Vaters war rund wie ein Bogen; sie konnte nicht mal mehr den Haaransatz sehen.
„Kind, ich …“
„Du hast mich nicht mal gefragt, warum ich euch das zumuten wollte. Das ist dir gar nicht wichtig. Ach, scheißegal …“
„Frauke! Versündige dich nicht! Mäßige dich im Ton. – Wir würden dir – euch – ja gerne helfen, anderseits … Wenn Papa gesund wäre, dann … Ich weiß auch nicht wie, aber so einfach …“
„Lass nur. Ich war blöd und naiv“, sagte Frauke, stand schnell auf, hauchte ihrer Muter einen Kuss auf die Stirn und dem Vater in den Nacken.
„Bis dann“, sagte sie und sah sich nicht mehr um.

„Mama! Das stinkt!“, schrie Meike. „Iiiiiih! Da geh ich nicht durch. Guck mal! Da hat einer gekotzt!“
Frauke starrte auf die obersten Treppenstufen, auf denen sich das Ausgebrochene breit ausdehnte und bestialisch stank. Auf jeder Hüfte trug sie einen der Zwillinge.
„Peter! Komm mal!“, rief sie in die Wohnung.
„Was ist denn?“, fragte Peter unwillig und steckte den Kopf durch die Tür. „Verdammt! Das stinkt!“
„Eben. Wie soll man da durchkommen? Klingel mal nebenan, bei dem Säufer. Der hat bestimmt wieder … Ein Schwein, dieser, dieser, na du weißt schon … Der soll das gefälligst weg machen.“
„Ich? Meinst du …?“
„Ja, ich meine! Oder soll etwa ich?“
Peter ging langsam zur Nachbartür, zögerte lange, bevor er den Klingelknopf drückte. Er legte den Kopf an die Tür und lauschte. Frauke balancierte an dem Erbrochenen vorbei, hielt die Luft an. „Hörst du was?“, fragte sie und blieb vor der Wohnungstür stehen.
„Still, der kommt.“
Die Tür flog auf und ein bulliger Mann starrte sie an. Bis auf eine schmuddelige Jeans war er nackt und an den Füßen trug er ausgetretene Latschen. Er schwankte leicht, hielt sich an der Türklinke fest, drehte den Kopf hin und her, stierte Peter mürrisch an.
„Wat willste? Is wat? “
„Haben Sie auf die Treppe gekotzt? Wenn ja, machen Sie das bitte weg. Das stinkt.“
„Wat geht dich dat an? Bisse vom Ordnungsamt oder wat?“
Er trat in den Flur, zog dabei die Linke aus der Hosentasche und funkelte Peter zornig an. Der wich einen Schritt zurück und warf einen abschätzenden Blick auf die rettende Wohnungstür.
„Sie wissen genau, dass wir Ihre Nachbarn sind. Tun Sie nicht so. Und machen Sie den Dreck weg. Was würden Sie sagen, wenn wir vor Ihre Tür kotzen würden?“, rief Frauke.
„Wat willste, du Nutte?“, schrie der Mann, wankte auf sie zu und stieß ihr die Faust vor die Brust.
Sie schrie auf, taumelte und kippte nach hinten. Schwer atmend lehnte sie sich an die Wand, hielt die Zwillinge mit letzter Kraft fest.
„Lassen Sie meine Frau in Ruhe, Sie Subjekt, Sie!“, schrie Peter, rannte zur Wohnungstür und zog Meike mit sich.
„Frauke! Komm! Lass den. Wir rufen beim Sozialamt an, dann kriegt der, was er braucht. Und die Polizei ruf ich auch!“, schrie er, während Frauke rückwärts in die Wohnung ging.

„Na, du warst ja ein besonderer Held. Was hättest du gemacht, wenn der weiter auf mich eingeschlagen hätte?“
„Die Polizei gerufen – was denn sonst? Mit so einem Pack kann und darf man sich nicht anlegen. Das bringt nichts. Die sind hemmungslos.“
„Ach nein? Merkst du nicht allmählich selber, was ich hier ertragen muss, Peter? Jetzt reicht es mir! Ich mach das nicht mehr mit. Ich will hier raus. Wenn du heute nicht zum Arbeitsamt gehst und dich anbietest, dann …“
„Was dann? Was dann? Was meinst du mit ‚anbieten’? Soll ich etwa jeden bescheuerten Job annehmen? Ja? Meinst du das? ‚Ach, lieber Mann, geben Sie mir doch die Stelle bei der Müllabfuhr. Wissen Sie, bei uns hat einer auf die Treppe gekotzt und deshalb wollen wir unter allen Umständen da raus. Darum nehme ich sofort jede Stelle an.’ – Du spinnst!“
„Ja? Ich spinne? Gut! Gut! Dann war’s das. Ich bleibe hier nicht mehr. Jetzt ist Schluss mit lustig. Du bist ein Versager, ein Nichtstuer. Wir sind dir doch völlig egal. Du träumst nur von einem Managerjob, den es nicht gibt – wenigstens nicht für dich.“
„Mensch, Frauke! Mach doch nicht alles noch schlimmer. Euch geht’s doch nicht so schlecht. Ihr braucht doch nicht zu hungern“, rief Peter, sichtlich erschrocken über ihre Reaktion.
„Hungern? Als ob’s darauf ankäme. Schau dir nur Meike an. Das Kind ist völlig verstört. Da schlägt so ein Schwein ihre Mutter und muss nicht mal um Entschuldigung bitten. Das hier ist die letzte Absteige – ich beende mein Leben nicht in diesem Dreckstall. Und auf eine Lösung durch dich warte ich auch nicht mehr – nicht einen Tag.“
Sie stürmte aus der Wohnung, knallte die Tür zu, hielt sich am Treppengeländer fest und sprang über das Erbrochene.

Es dämmerte bereits, als sie zurückkam. Etliche Jungen und Mädchen spielten im Sandkasten neben dem Haus. Peter saß auf der Bank davor, hatte den Kopf auf beide Hände gestützt und stierte auf die Kinder, die ruhig mit Förmchen spielten und Sandburgen bauten. Die Zwillinge wühlten mit den Händchen im lockeren Sand, warfen Sand in die Luft und krähten dabei vor Vergnügen. Meike hockte auf der Umrandung und sah den Kleinen zu.
„Hallo, ihr!“, rief Frauke und trat hinter Peter.
„Mama!“, rief Meike und winkte.
Peter sah demonstrativ lange auf seine Armbanduhr. „Wo warst du?“, fragte er und sie hörte die unterdrückte Wut in seiner Stimme. „Ich sitz hier wie ein Blödi und pass auf die Kinder auf. Die Leute lachen ja schon über mich. Wo warst du?“
„Später! Lass uns erst mal die Kinder ins Bett bringen. Dann reden wir. – Meike! Komm, es wird Zeit. Abendessen und danach geht es ab ins Bett. Ihr schreibt morgen eine Mathearbeit!“
„Die Kotze ist weg“, murmelte Peter. „War an der Telefonzelle; hab die vom Sozialamt angerufen; die haben eine Putzfrau geschickt. Der Kerl von nebenan wird verlegt. Brauchst dich nicht mehr aufzuregen“, sagte er, widerwillig mit kaum geöffnetem Mund.
Sie warf ihm einen rätselhaften Blick zu, nahm Meike an die Hand und ging ins Haus.„Also?“, sagte Peter und sah sie an. „Was willst du beichten?“
Er hatte während des Essens und auch, als sie die Kinder ins Bett brachte, kein Wort gesprochen. Eine ziemliche Spannung hatte sich aufgebaut und sie fürchtete einen seiner plötzlichen Ausbrüche. Seine Gesprächseröffnung kam ihr wie ein Unheil verkündendes Wetterleuchten vor.
„Beichten? Ich? Nichts. – Also, Peter. … Also … Ich bitte dich nur, werd’ nicht laut, ja? Lass die Kinder schlafen. Sie hören nebenan jedes Wort.“
„Wieso? Gibt’s denn einen Anlass zum Schreien?“
„Vielleicht. – Ich kenn dich zu gut. Also! Ich habe dir gesagt, dass ich das hier nicht mehr lange aushalte. Versteh das, bitte. Ich musste was unternehmen, weil du nichts tust, damit wir in einer normalen Umgebung leben können – und ich habe eine Lösung gefunden.“
„Du? Ich. Ich hab was unternommen. Der Scheißtyp, der dich angepackt hat, der zieht aus. Und ich suche jeden Tag nach einer Lösung für uns – für mich. Und du, du hast sie so mir nicht dir nichts gefunden?“
„Mach dich nicht lächerlich. Mir ist es egal, was du unternimmst. Ich gehe wieder arbeiten – das ist es, was ich heute festgemacht habe. Du weißt, ich bin eine ausgebildete Drogistin und wollte als solche wieder arbeiten. Ich habe überall in den Drogeriemärkten und Parfümerien nachgefragt – vergeblich. Trotz guter Zeugnisse hatten sie angeblich keine Stelle frei. Ich …“
„Wem erzählst du das? Ich weiß doch, wie’s mir ergeht. Gute Leute werden nicht gebraucht.“
„Ja, aber das ist der Unterschied. Ich hab mich bewegt. Ich hab meine Ziele angepasst. Im Supermarkt, beim Aldi, du weißt ja, wo ich immer einkaufe, da hat es geklappt. Die kennen mich ja als Kundin. Die haben mich sofort genommen – als Kassiererin. An diesen neuen Kassen, wo man nichts mehr eintippen muss, du weißt doch. Ich kann schon am Montag anfangen und …“
„Halt! Halt! Ganz langsam, damit ich mitkomme. Du willst in dem Billigladen arbeiten, wo nur die Minderbemittelten kaufen – an der Kasse? Das ist ein Witz, ja? Sag, dass das ein Scherz war. Dann lach ich auch.“
„Minderbemittelte wie wir, die kaufen da auch, ja. Und alle anderen auch. Nein, mein Lieber, das ist kein Witz. Ob du lachst oder nicht, das ist mir egal. Ich halte mich nicht an dein bescheuertes: ‚Man muss wissen, was man wert ist.’ So hätten wir nie eine Chance. Ich verdiene gut, da an der Kasse. Das reicht für ein Ziel, für ein bisschen Hoffnung.“
„Was für ein Ziel? Was ist, wenn ich morgen eine Stelle bekomme? Du nimmst deine – unsere – Kinder mit zur Arbeit? Haben die etwa einen Kinderhort? Und wenn ich keinen Job bekomme? Verdienst du genug, um die Lohnpfändung, die Miete und unseren Lebensunterhalt davon zu bestreiten?“
„Oh nein, mein Lieber! Kein Kinderhort. So nicht! Du wirst ab Montag den Hausmann spielen. Unsere gemeinsamen Kinder wirst du betreuen, Windeln wechseln und Dosengerichte aufwärmen – das schaffst du bei deiner Qualifikation. Ja, ich muss tatsächlich noch zwei Monate meinen Lohn teilweise pfänden lassen. Dann ist Schluss damit. Ich war bei der Bank und hab einen Kreditvertrag abgeschlossen.“
„Das geht nicht. Keine Bank gibt uns einen Kredit.“
„Oh, doch. Du vergisst: Ich habe einen Arbeitsvertrag. Nur einen Monat Probezeit, bis ich die Stelle und den Kredit habe. Mit diesem Kredit wird der Schaden, den du verursacht hast, Euro für Euro gelöscht. Die monatlichen Raten sind so angelegt, dass wir zwar noch lange abzahlen müssen, aber mit dem Rest wie normale Menschen leben können.“
„Ich glaub das einfach nicht“, sagte Peter tonlos. „Ich will das nicht glauben. Wenn das wahr sein sollte, bist du mich los. Das kannst du mit mir nicht machen. Ohne mich zu fragen! Geht als Kassiererin in so einen Laden! Und ich soll Kochen und Kinder hüten? Hausmann? Nicht mit mir!“
„Ja, Peter. Stell dir vor: Damit habe ich gerechnet. Es gibt zwei Möglichkeiten für dich – für uns: Du machst mit und wir bleiben zusammen oder ich gehe. Im zweiten Fall, wenn du nicht mitmachst, zieh ich zu meinen Eltern ins Haus und nehme mir bei denen im Ort eine Halbtagsstelle; ich finde schon was. In diesem Fall wirst du hier in Dreck und Kotze ersticken. Im ersten Fall suchen wir uns gemeinsam draußen vor der Stadt eine klitzekleine Wohnung, nicht größer als diese, und leben als normale Menschen. Es wird schwer werden, wir werden enorm sparen müssen, aber wir leben.“
Er schaute sie lange an und sie hielt den Blick aus. Wortlos stand er auf, zog die Jacke vom Haken und ging raus.

Sie lag mit offenen Augen im Bett und lauschte auf die Atemgeräusche der Kinder. „Es ist aus. Das macht er nicht mit. Ich wusste es. ‚Man muss wissen, was man wert ist’. Ja, so ist er; der ändert sich nie.“
Sie weinte still und trocknete die Tränen nicht ab. Noch einmal ließ sie den Tag passieren, rechnete durch, was der Mann in der Bank mit ihr besprochen hatte, dachte verächtlich an das überhebliche Gelaber des Mannes im Sozialamt und erst, als sie sich an die nette Filialleiterin beim Discounter erinnerte, hörte sie mit dem Weinen auf. Als Peter leise ins Zimmer kam, war sie eingeschlafen, wurde erst wach, als er sich auf die Bettkante setzte.
„Kommst du mal mit raus?“, flüsterte er.
Sie stand langsam auf, schlüpfte in die Hausschuhe und folgte ihm ins Wohnzimmer. Sie fror, verschränkte die Arme vor der Brust und zitterte. Er blieb mitten im Zimmer stehen und sah sie traurig an.
„Wo warst du? Du siehst so – so traurig aus.“
„Musste mal alleine sein und nachdenken.“
„Das kannst du nicht hier, bei mir?“
„Nein. Du machst es dir zu einfach, Frauke, viel zu einfach. Ich – ich bin doch der Mann, ich bin doch für euch zuständig.“
„Aber warum änderst du nichts? Warum sitzt du da und wartest auf ein Wunder? Hast du dir da draußen nur das überlegt, weiter nichts?“
„Doch, doch. War ’ne harte Nuss. So einfach geht das alles nicht. Für mich steht ja auch viel auf dem Spiel. Also … Ich hab’s mir überlegt. Also … Fall eins.“
„Was? Was meinst du? Fall eins? Ach so! – Oh, mein Gott! Oh, mein Gott! Er hat’s begriffen! Du bist einverstanden?“
„Sag ich doch. Hausmann. Komm mir zwar saublöd vor, aber …“
„Peter! Brauchst du nicht, nein!“, rief sie und ihr war nicht mehr kalt, das Zittern war weg. „Wir schaffen das!“, rief sie und legte die Arme um seinen Hals. Sie drückte ihre Brust den ganzen schmalen Körper an den Mann, der ihr immer so viel bedeutet hatte. „Komm“, flüsterte sie in sein Ohr. „Komm ins Bett, kuscheln, wie früher.“
„Mal sehen. Jedenfalls haben wir wieder ein Ziel. Und du brauchst mich ja. Ohne mich, also Fall zwei, das würde doch nur schief gehen. Ohne mich geht’s eben nicht.“
„Oh, Mann! Man muss eben wissen, was man wert ist, was?“
„Na klar!“ sagte er und drückte sie an sich. „Sag ich doch immer. Selbst zum Kuscheln brauchst du mich. Stimmt’s“