Babsi verschwindet spurlos

 

In der Nacht gab es ein heftiges Gewitter. Blitz und Donner folgten unmittelbar aufeinander. Manchmal war es hell wie am Tage.

„Blitz – Bumm!“, sagte Antonia immer wieder und hielt die Augen fest geschlossen.

Trotzdem sah sie die grellen Lichter und den Donner konnte sie sowieso nicht überhören.

„Noch einmal, dann geh ich zur Mama“, drohte sie dem Gewitter, aber das störte sich nicht daran.

Ein greller Blitz zuckte über den Himmel, machte ihr Zimmer taghell und gleich darauf grollte und knallte es heftig.

„So! Jetzt reicht es mir. Jetzt geh ich zur Mama“, sagte sie entschlossen, lief die Treppe herunter und sprang ins Bett der Mama.

„Na, da bist du ja. Jetzt sind wir komplett“, seufzte die Mama; Annalisa und David hatten sich schon nach dem ersten Knall in Mamas Bett gestürzt.

„Komm zwischen uns!“, rief David und Antonia plumpste wie ein Sack dazwischen.

Das fanden alle so toll, dass sie überhaupt nicht mehr aufhören konnten mit dem Lachen.

„Könnt ihr wohl ruhig sein?“, grummelte der Papa und zog sich das Bett über die Ohren.

Es donnerte und blitzte weiter und nun zählten sie laut die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Aber da gab es nicht viel zu zählen; das Gewitter hing direkt über ihnen.

Draußen auf dem Hof rumpelte es; ein Eimer kollerte über den Kiesboden.

„Einbrecher?“, fragte David und zog sich die Bettdecke über die Ohren.

„Kannst wieder auftauchen“, sagte Annalisa, „Das war der Sturm.“

„Oder Einbrecher? Kann doch sein?“, murmelte David; man konnte ihn nur undeutlich hören, weil er die Bettdecke über dem Kopf liegen hatte.

„Nein, Burschi“, beruhigte ihn seine Mutter. „Das war nur der Wind.“

Max lag unten im Hausflur. Er knurrte! „Grrrrr!“ Er wollte gar nicht mehr aufhören mit dem Geknurre. Manchmal machte er leise „Wuff!“, als wäre er sich nicht sicher, ob er die Hausbewohner wecken sollte.

„Max hört auch die Diebe“, nuschelte David undeutlich unter der Bettdecke.

„Ruhe!“, sagte sein Vater.

„Sag das dem Wetter“, meinte die Mutter.

„Ob Babsi Angst hat, Mama?“, fragte Antonia.

„Kann schon sein; es ist ja ihr erstes Gewitter. Aber ihre Mama ist ja bei ihr, so wie ihr hier bei uns in den Betten liegt. Sie wird sie schon trösten und ihr alles erklären.“

„Ob ich mal nach Babsi schaue? Vielleicht einmal das Licht anmache?“, fragte Antonia.

„Ruhe!“, schnaufte der Papa. „Ihr seid ja schlimmer als das Gewitter.“

„Bleib lieber hier, Antonia. Es regnet stark und Babsi ist im warmen Stall gut aufgehoben“, sagte ihre Mama. „Und jetzt ist es mucksmäuschenstill! Klar?“

Das war schwer und sie mussten immer wieder lachen. Irgendwann tauchte sogar David wieder unter der Bettdecke auf.

„Sind die Diebe weg?“, fragte er.

„Nee“, sagte Antonia. „Die holen dich jetzt“, und schwups war die Nase von David wieder unter der Decke.

Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis sich das Gewitter verzogen hatte und die drei wieder in ihre Betten mussten.

 
Als Antonia am Morgen aus dem Fenster schaute, waren die Dächer von Scheune und Stall blitzblank; das feuchte Gras in der Wiese leuchtete in der Sonne.

Sie wusch sich schnell, zog sich an und sprang wie ein Gummiball die Treppe herunter.

„Ich bin eben im Stall!“, rief sie, als sie an der Küche vorbei kam. „Muss nur schnell Guten Morgen sagen.“

„Beeil dich! Das Frühstück ist fertig“, rief ihre Mama.

„Wir haben Hunger“, schrie David. „Es gibt Eier!“

Antonia sprang über die großen Pfützen im Hof und bremste erst am Stall. Max war schon wieder vor ihr an der Tür und wedelte aufgeregt. Diesmal hielt sie ihn nicht zurück. Die Stalltür stand offen, aber das wunderte Antonia nicht. Ihr Papa war bestimmt schon im Stall gewesen; er stand immer früh auf.

Babybell wieherte aufgeregt, schlug mit den Hufen gegen die Wand der Box, dass es dröhnte.

„He! He! Was ist denn? Das Gewitter ist doch längst vorbei, Babybell. Brauchst keine Angst zu haben“, sagte Antonia und streichelte den Kopf des aufgeregt schnaubenden Tieres.

Sie schaute durch das Gitter, suchte Babsi und konnte sie im Halbdunkel nicht finden.

„Babsi? Wo steckst du denn, mein kleines Fohlen?“

Sie schaltete die große Neonleuchte an, schaute noch einmal in die Box und schrie laut auf.

„Babsi! – Babybell, wo ist sie? Wo ist Babsi? Papa! – Mama! – Hilfe, Mama, Papa! Babsi ist weg!“, schrie sie und rannte über den Hof ins Haus.

Sie platschte mit beiden Füßen in die tiefen Pfützen, aber sie merkte das noch nicht einmal. Max war vor ihr in der Küche und bellte aufgeregt.

„Was schreist du so“, sagte ihr Vater, als sie atemlos in die Küche stürzte. „Und warum bellt dieser Köter wie verrückt?“

Albrecht saß am Frühstückstisch und las die Zeitung – und dabei durfte man ihn eigentlich nicht stören. Annalisa und David löffelten schon ihr Ei und grinsten Antonia an.

„Warum bellt der Hund?“, fragte Antonias Mutter jetzt auch.

Antonia bekam kaum Luft, so aufgeregt war sie. „Papa! Mama! Babsi ist weg!“

„Was?“, rief ihr Papa und die Zeitung fiel herunter. „Was sagst du?“

„Sie ist wirklich weg. Ganz weg! Kommt schnell!“

„Spinnst du?“, fragte David. „Ballaballa?“

„Sie hat geträumt. Wie die Geschichte mit dem Eimer Wasser. Träumst du noch?“, fragte Annalisa.

„Wenn Antonia es sagt, dann stimmt es auch. Oh, mein Gott!“, rief ihre Mutter und dann rannten alle zum Stall. – Max war zuerst an der Tür.

„Wuff!“, machte er und legte die Schnauze auf die Vorderpfoten.

Babybell wieherte immer noch aufgeregt und schlug mit den Hufen um sich. Ihre großen Augen standen richtig weit vor und man sah manchmal nur das Weiße in den Augen.

Der Vater riss die Tür der Box auf und drängte Babybell an die Seite. Antonia, Annalisa, David und ihre Mutter, standen starr auf dem Gang und schauten verwirrt in die Box.

Babsi war nicht da!

„Das gibt es doch nicht“, sagte Antonias Vater.

„Oh, mein Gott! Wo ist die Kleine bloß?“, jammerte ihre Mutter.

„Ja, spinn ich denn?“, fragte David und rieb sich die müden Augen. „Waren etwa doch Einbrecher da?“

„Geklaut! Einfach geklaut!“, sagte Annalisa und hatte damit wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Der Hund ist kein Wachhund, sonst hätte er wütend bellen müssen. Dann wäre ich aufgestanden“, sagte der Vater.

„Du bist Schuld!“, sagte David wütend zu Max und der wedelte erfreut.

„Die Stalltür war offen, aber die Tür von der Box war zu“, sagte Antonia. „Sie kann also nicht alleine weggelaufen sein.“

„Genau!“, stimmte Annalisa zu.

„Ich hab Recht gehabt. Es waren Diebe, Mörder und Einbrecher“, sagte David und stampfte wütend mit dem rechten Fuß auf den Betonboden.

„Mörder wohl nicht; aber sonst scheint es zu stimmen. Wären wir doch bloß aufgestanden“, sagte seine Mama. „Max hat es gewusst.“

„Ich auch!“, sagte David.

„Genau! David hat’s gewusst. Hätte ich doch bloß …“

„Das Gewitter! Da hat jemand den Lärm ausgenutzt und unser Fohlen geklaut. Zeiten sind das!“, sagte Albrecht und schnaubte vor Wut.

„Ruf die Polizei an!“, forderte Dagmar und sofort rannten alle ins Haus.

Mit fahrigen Bewegungen Händen packte sich Albrecht das Handy und wählte 110.

„Hallo! Ist da die Polizei von Pletschbachdorf?“, fragte er und Antonia sah, dass seine Hand ganz doll zitterte.

„Ah! Hauptwachmeister Grünstein? – Gut, dass ich Sie erreiche. – Nein, nein! Hören Sie doch erst mal. – Unser Fohlen ist gestohlen worden – ja, heute Nacht. Äh … Babsi!“

Der Vater hörte zu und alle sahen ihn gespannt an. Er schüttelte den Kopf, brummte ganz tief und schnaufte, wie immer, wenn er sich ärgerte.

„Herrrrr Grünstein! Quatsch! Die Kinder waren im Haus! – Nein, kein Streich! – Nein, die Tür der Box war geschlossen! – Ja, der Hund hat gebellt, leise. – Nein, kein Witz! – Ja, gut. Sie kommen also.“

„Dieser Grünstein!“, sagte er, als er auflegte. „Der fängt nie einen Dieb.“

Schon nach fünf Minuten hörten sie das Signalhorn des Streifenwagens. Sie standen vor der Tür, sahen das blitzende Blaulicht schon ganz weit hinten, an der Landstraße.

„Unser Frühstück!“, sagte die Mutter. „Alles wird kalt.“

„Wer kann denn jetzt essen?“, fragte der Vater.

„Genau!“, bestätigte Antonia. „Ich hab gar keinen Bauch mehr vor Angst und Wut.“

Endlich fuhr der Polizeiwagen auf den Hof und mit einem grässlichen Jaulen verstummte das Signalhorn.

„Guten Morgen!“, sagte Hauptwachmeister Grünstein, als er ausstieg. „Dann sehen wir uns den Stall einmal genauer an.“

„Ich zeige Ihnen den Tatort!“, rief David.

„Tatort!“, sagte Annalisa und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich!“, sagte Antonia und nahm Herrn Grünstein an die Hand. „Ich habe es entdeckt. Und es ist meine Babsi!“

Herr Grünstein untersuchte die Stalltür, fühlte am Holz, roch am Eisenbeschlag und am Schloss.

„Hm!“, machte er und notierte sich etwas.

„Riecht man Diebe?“, fragte Antonia.

„Ballaballa“, sagte David. „Polizisten machen so was. Könnte ja sein, dass der Parfüm hatte.“

„Du bist ballaballa“, fauchte Antonia. „Diebe mit Stinkparfüm!“

Nun war die Tür der Box dran. Wieder musste Herr Grünstein alles genau betrachten und beriechen. Und wieder machte er „Hm!“ und notierte etwas in seinem kleinen Büchlein.

„Kann man Diebe wirklich riechen?“, fragte Antonia. „Ich kann bloß Tiere riechen, aber genau.“

Herr Grünstein runzelte die Stirn, betrachtete Antonia, als sehe er sie zum ersten Mal.

„So, so?“, sagte er. „Ich will riechen, ob die mit Fett und Öl und so …“

„Siehst du David?“, fragte Antonia. „Doch ballaballa.“

Der Polizist ging nach draußen, suchte auf dem Hof den Boden ab, zeigte mit dem Finger auf eine Reifenspur.

Max folgte dem Finger und leckte einmal an der Polizistenhand.

„Pfui! Sitz!“, sagte Herr Grünstein.

„Macht der nie. ‚Aus!’, muss man sagen. Max ist ein guter Spurenleser“, behauptete Antonia. „Er könnte Babsi bestimmt finden.“

Herr Grünstein runzelte die Stirn, schob die Mütze in den Nacken und brummte: „Na ja. Der Köter taugt höchstens zum Hühnererschrecken.“

„Max ist kein Köter“, sagte Annalisa.

„Jedenfalls, die Spuren sind sonnenklar, was? Sind mit einem Pferdeanhänger gekommen, die Diebe.“

„Das ist alles, was Sie hier sehen?“, fragte Antonias Vater.

„Indianer wüssten längst, wer Babsi gestohlen hat“, behauptete David.

„Was nun? Soll ich es der Versicherung melden?“, fragte Antonias Vater.

„Hm. Wird schwierig werden. Kein Schloss am Stall! Das ist leichtsinnig.“

„Hier stielt doch niemand!“, rief Antonias Mutter. „Noch nie hat hier einer gestohlen!“

„So? Und was ist heute Nacht passiert? Hat ein Blitz das Fohlen unsichtbar gemacht?“

„Oh ja! Daran hätten wir denken sollen, Mama! Vielleicht hat ein riesiger Blitz unsere Babsi verzaubert und sie ist nur unsichtbar.“

„Quatsch! Sei still!“, sagte David. „Mädchen sind blöd.“

„Jungs! Bäh! Keine Ahnung von Blitzen, überhaupt keine!“, sagte Antonia.

„Hm!“, machte Hauptwachmeister Grünstein. „Dann müssen wir nach dem Fohlen fahnden lassen. Wie sah es denn aus?“

„Ganz klein und sehr süß“, sagte Antonia.

Oh!“, staunte der Polizist.

„Rotweiß gefleckt“, ergänzte Annalisa.

„Vier Beine und ein Schwanz“, sagte David und grinste.

„Ha, Ha! Blödmann!“, fauchte Antonia. „Eine ganz weiche Nase und sehr dünne Beine hat es.“

„Hm!“, machte der Polizist noch einmal und hängte sich die Jacke über die Schulter. „Wie sollen wir das Fohlen denn mit dieser Beschreibung finden?“

„Hurra!“, schrie Antonia. „Ich hab’s! Ich habe ein Foto, ein ganz dolles Foto von Babsi. Selber gemacht!“

Sie rannte ins Haus, suchte das Foto in ihrem Schreibtisch, unter dem Bett, auf dem Bücherbord, im Kaufladen, neben und im Puppenwagen – und dann fiel ihr ein, dass es ja noch in der Kindergartentasche war. Atemlos kam sie in den Hof gerannt, streckte Herrn Grünstein das Bild entgegen.

„Hier! Ich hab’s! Sehen Sie? Ist sie nicht so schön, wie ich gesagt habe?“, fragte sie Hauptwachtmeister Grünstein.

„Ja, es ist wirklich schön, das kleine Fohlen. Wir werden es schon finden, keine Bange. Ich lasse das Foto sofort an alle Streifenwagen im Umkreis verteilen.“

So sprach er, setzte sich in den Streifenwagen und sauste – diesmal ohne Tatütata – vom Hof.

„Und jetzt wird gefrühstückt! Wir müssen uns stärken!“, ordnete Mama an und alle folgten ihr in die Küche.

„Meine arme Babsi! Sie muss doch Hunger haben! Wer kann sie denn bloß gestohlen haben?“

„Indianer?“, fragte David und zog schlürfend den Kakao mit dem Strohalm hoch.

„Indianer gibt es hier nicht. Könnten höchstens reisende Vagabunden gewesen sein. Keiner aus dieser Gegend“, sagte der Vater.

„Hm!“, sagte David und schluckte sein Brot herunter. „Vagabunden? Mir fällt was ein.“

„So? Was denn, Burschi? Kein Blödsinn?“, fragte seine Mama.

„Mach ich doch nie! Und in so einem Kriminalfall schon gar nicht.“

„Kriminalfall? Rede nicht so! Also? Was ist dir eingefallen?“, fragte sein Vater und alle starrten David neugierig an.

„Ein Stück weit weg von Pletschbachdorf liegt dieser kaputte Zirkus.“

„Was ist ein kaputter Zirkus?“, fragte Antonia.

„Oh, Mann! Einer, der gar keiner mehr ist, weil sie keine Vorstellung mehr machen. Und das machen sie nicht, weil sie zu arm sind, um das Zelt zu flicken. Das ist nämlich total kaputt. Darum ist das ein kaputter Zirkus! Sie haben ihre Wagen beim Bauer Huber aufgestellt, bei dem sie Wasser und Heu für die Tiere bekommen.“

„Langsam!“, sagte Davids Mama. „Nicht alle, die arm sind, stehlen auch.“

„Aber die! Sagen alle in der Schule.“

„Na gut. Und was machen wir mit deinem Einfall?“

„Wir beide, Annalisa und ich, sausen nach dem Frühstück mit dem Rad hin und spionieren.“

„Oh, nein!“, sagte der Vater.

„Nie!“, sagte die Mutter.

„Oh, doch! Aber nur mit mir!“, schrie Antonia.

„Na gut, dann eben mit dir. Uns kennt doch keiner von denen. Wir sausen halt mit den Rädern durch die Gegend und sehen uns um.“

„Nein!“, sagte der Vater.

„Doch!“, sagte Antonia.

„Meinetwegen“, sagte die Mutter.

„Na gut“, seufzte der Vater. „Aber wenn ihr was entdeckt, kommt ihr sofort nach Hause. Ist das klar?“

Der Vater drohte mit dem Marmeladenlöffel und sah alle der Reihe nach streng an. „Hast du gehört Antonia? Sofort zurück!“

„Na gut“, sagte Antonia und man sah an ihrer Nasenspitze, dass sie schon überlegte, ob sie gehorchen sollte.

„Ja, ja! Machen wir“, rief David und schneller als der heftigste Blitz in der letzten Nacht, waren die Drei verschwunden.

 

 Fortsetzung folgt