„Zwangsarbeiter gruben ihr eigenes Grab“

Dormagen - Das Gefühl, dass Vergangenheit und Gegenwart plötzlich zu verschwimmen scheinen, kann einen umhauen. Wenn sich ein düsteres Kapitel wie jenes des deutschen Umgangs mit Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg wie eine gewaltige Welle den Weg ins Jetzt bricht, wirkt das erdrückend. Bei der Lesung aus seinem ersten Roman „Das fremde Land“ in der Buchhandlung „Seitenweise“ hat der Dormagener Schriftsteller Eduard Breimann genau jene Wirkung erzeugt.

Im Roman verschwimmen Vergangenheit und Gegenwart, weil der Autor seine Romanheldin Aja nicht nur als zwölfjähriges Mädchen auftreten lässt, die in eine rheinische Kleinstadt verschleppt und dort auf einem Bauernhof schwer misshandelt wird, sondern auch 60 Jahre später. Als eine Gesamtschule sich für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter stark macht, lädt sie Aja und ihren Cousin Vladimir als Zeitzeugen ein.

Den Zuhörern wurde Vergangenes auch deswegen gegenwärtig, weil Breimann sein Buch zwischendurch weglegte, um pikante Details aus der regionalen Vergangenheit zu berichten. Breimann sprach von 100 Zwangsarbeitern im Kloster Knechtsteden, die 14 bis 16 Stunden täglich gearbeitet hätten; er sprach von „Tausenden Zwangsarbeitern bei der IG Farben, die in oft menschenunwürdigen Verhältnissen lebten, geschlagen wurden und nur Wasserkohlsuppe zu essen bekamen“; er sprach von Zwangsarbeitern auf Bauernhöfen und solchen, die sich vor dem Neusser Obertor „ihr eigenes Grab schaufeln mussten, bevor sie erschossen wurden“, und davon, dass „solche schrecklichen Dinge vielen Menschen leider nicht bekannt sind“.

Ängstliche Erwachsene

Nicht gänzlich düster geriet der Vorleseabend, weil auch der Roman nicht 236 Seiten lang von Unmenschlichkeit handelt, sondern Hoffnung zulässt. Da sind zwar Politiker, Wirtschaftsbosse und Schulleiter, die die Vergangenheit so gut als möglich totschweigen wollen, um keinen ökonomischen oder persönlichen Schaden zu nehmen; da sind aber auch engagierte Menschen wie die Übersetzerin, die sich nicht den Mund verbieten lässt, oder der Schüler, der in einer Fabrik recherchiert, wo Zwangsarbeiter zu Kriegszeiten würdelos behandelt wurden, und der sich in der Gegenwart entschieden gegen ängstliche Erwachsene durchsetzt, die Erinnerungen am liebsten verbieten würden. Uwe Koopmann, der das Thema Zwangsarbeit mit Schülern der Dormagener Bertha-von-Suttner-Gesamtschule aufarbeitet, seit die Bundesregierung sich im Jahr 2000 zur Entschädigung der früheren Zwangsarbeiter entschloss, schmunzelte, als der Autor Passagen über die Reaktionen von Schülern las. Er habe viele Dinge ähnlich erlebt wie im Roman beschrieben, sagte er später, wobei Breimann betonte, dass Parallelen zur Bertha-von-Suttner-Schule rein zufällig seien.

Schmunzeln ließ sich auch, wenn der Autor mit kraftvollen Bildern vom einfachen Leben seiner Heldin in einem winzigen russischen Dorf sprach, oder wenn er die Zerrissenheit eines Lehrers beschrieb, der von einer attraktiven Schülerin berechnend angeflirtet wird. Als Breimann sagte, dass „die Arbeiter natürlich längst nicht überall schlecht behandelt wurden“, hellte sich manche Miene in der Buchhandlung auf.

Seine stärksten Momente indes hatte die Lesung, als die düsteren Kapitel der Vergangenheit mit der Gegenwart zu verschwimmen schienen. Als Breimann liest, wie die 72-jährige Aja sich vor deutschen Schülern an die Vergewaltigungen durch Bauer Adolf 60 Jahre zuvor erinnert, als er liest, dass „Fremdarbeiter“ auch in der Region um Dormagen von Kirchen, Landwirten und vielen Firmen „beschäftigt“ wurden, als er sagt, dass es Leute gibt, die das alles bis heute nicht wahr haben wollen.

Breimann, Eduard, Das fremde Land, Roman, Verlag Universal Frame 236 Seiten, ISBN 978-3-952298-13-8